Nach außen hin sucht Japans Premier die Annäherung an China - weil Japan die Volksrepublik wirtschaftlich braucht. | Doch im eigenen Land gibt Abe nationalistischen Kräften Auftrieb.
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Tokio. Wenn japanische Politiker etwas tun wollen, von dem sie befürchten, dass es der Öffentlichkeit missfällt, greifen sie zu einem einfachen Trick: Sie behaupten, das nicht im Rahmen ihres Amtes zu tun, sondern als Privatperson. Als zum Beispiel der japanische Premierminister Shinzo Abe im Dezember 2013 den Yasukuni-Schrein in Tokio besuchte, der umstritten ist, weil dort auch Kriegsverbrecher verehrt werden, betete er dort "als Privatperson". In Japan wird diese Doppelgesichtigkeit als "typisch Politiker" mit einem Schulterzucken akzeptiert.
Innenpolitisch ermöglicht dieser Trick, trotz der Lüge das Gesicht zu wahren. Außenpolitisch funktioniert das nicht: Jeder Yasukuni-Besuch löst eine neue Eiszeit mit Südkorea und China aus und verschärft Streitigkeiten um Territorien und das Erbe des Zweiten Weltkriegs.
Abe verzichtet wohl auf umstrittenen Schrein-Besuch
In den vergangenen Wochen gab es jedoch Anzeichen für eine vorsichtige Annäherung Japans an China, wenigstens pro forma. Das deutlichste ist, dass Abe wohl nicht zum Herbstfest des Yasukuni-Schreins von 17. bis 20. Oktober geht und nur eine Opfergabe schickt, wie 2013. Damals dachte man lange, Abe stelle Pragmatismus über Geschichtsrevisionismus - bis zu seinem Überraschungsbesuch Ende Dezember. Dieses Mal soll Abe von dem Besuch die Hoffnung abhalten, beim regionalen Wirtschaftsgipfel Apec in Peking im November endlich Chinas Präsident Xi Jinping zu treffen. In den zwei Jahren seiner Amtszeit blieb ihm dies bisher verwehrt.
Für beide Länder hatte der jahrzehntealte, wieder aufgeflammte Konflikt nicht nur politische, sondern auch handfeste wirtschaftliche Folgen. Sie sind eng verbunden: Japan nutzt China als Produktionsstandort und Absatzmarkt, China wiederum will japanische Investitionen und Know-how anziehen. Doch seit bei antijapanischen Demonstrationen Fabriken zerstört wurden, suchten japanische Firmen zunehmend nach Alternativen in Asien und zogen ihr Geld aus China ab. Premierminister Abe ging offensiv auf Partnersuche bei südostasiatischen Staaten.
Angesichts des gesättigten Marktes daheim kann Abe jedoch für den Erfolg seiner "Abenomics", mit der er durch Konjunkturprogramme und eine Geldschwemme die Wirtschaft wieder ankurbeln will, schlecht auf den chinesischen Riesenmarkt verzichten. Wie wichtig China für Japan sogar im eigenen Land ist, zeigt ein Beispiel aus Tokio: Während sich die Japaner vom Schock der Erhöhung der Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent im April erholen und ihren Konsum eingeschränkt haben, sprach eine Uhrenhändlerin auf der Edeleinkaufsmeile Ginza von einer "China Bubble", in Anlehnung an die Immobilienblase in Japan Ende der 1980er. Die sehr teuren Uhren würden vor allem Chinesen kaufen.
Die reichen Chinesen sindin Japan willkommen
Das Außenministerium kündigte nun an, reichen Chinesen die Einreise erleichtern zu wollen. Nach Angaben der Regierung wurden 2013 fast eine Million Visa für Chinesen ausgestellt, darunter 45.000 für mehrfache Einreisen, dreimal so viele wie noch vor fünf Jahren.
Ein weiteres Zeichen für politisches Tauwetter: Japanische Parlamentarier regten Anfang dieser Woche bei einem Besuch in Peking an, das auf Eis liegende bilaterale Austauschprogramm von Parlamentariern wieder aufzunehmen.
Es gibt aber Zweifel, dass sich die Beziehungen nachhaltig verbessern: Denn Abe treibt ein doppeltes Spiel. Einerseits gibt er den weltgewandten Staatsmann, der nicht müde wird, an Japans Image als fortschrittliche, demokratische Weltmacht, die er auf gleicher Höhe mit den USA sehen will, zu feilen. Anstatt sich weiter international über Chinas Verhalten beim Territorialstreit über Inseln im Ostchinesischen Meer zu beschweren, betont er inzwischen, wie sehr ihm an einem Dialog mit Xi Jinping liege. Da Kritiker den politischen Rechtsruck und die stärkere Rolle des Militärs in Japan unter Abe mit Sorge sehen, scheint er Vorwürfe entkräften zu wollen, er lege es auf einen bewaffneten Konflikt an.
Keine Distanz zu ausländerfeindlichen Gruppen
Andererseits besetzt er politische Spitzenämter mit rückwärtsgerichteten Hardlinern, von denen viele einer nationalistischen Gruppierung des rechten Flügels angehören. Ihre Vertreter sollen zum Beispiel Berichte über Massentötungen von Zivilisten durch die japanische Armee in China im Zweiten Weltkrieg für übertrieben oder gefälscht halten, wie das Massaker von Nanking. Einige seiner vor einem Monat ernannten Ministerinnen machten Schlagzeilen, weil sie sich neben erklärten Faschisten ablichten ließen. Angeblich hätten sie nicht gewusst, um wen es sich handelte, sie würden oft mit Leuten fotografiert. Ihr Amt durften sie behalten. Weder Abe noch die Ministerinnen selbst distanzierten sich eindeutig von rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Gruppierungen.
Shinzo Abe steht vor der Wahl zwischen dem Wunsch, die Erwartungen seiner Unterstützer aus dem rechten Lager zu entsprechen, und der Chance, mit der Volksrepublik China wieder ein Verhältnis aufzubauen, das einen reibungslosen wirtschaftlichen Austausch ermöglicht. Das dürfte schon die einheimische Industrie von Abe fordern. Seine "Abenomics", an deren Erfolg immer mehr Zweifel aufkommen, könnte die Hilfe gebrauchen. Mit gemischten Signalen wie seiner Ausrede vom Yasukuni-Besuch als Privatperson wird Japans Premier jedenfalls wie schon in der Vergangenheit nicht davonkommen.