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Das Drama um Rendi-Wagner ist auch ein Drama der SPÖ

Von Gerfried Sperl

Gastkommentare

Der Umgang der Partei mit der Mitgliederbefragung ist fahrlässig.


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Die SPÖ-Chefin stellt öffentlich die Vertrauensfrage. Das Ausmaß der Beteiligung und die Höhe der Zustimmung werden darüber entscheiden, ob nach dem Referendum ihre politische Karriere am Ende ist oder nicht. Wenn Pamela Rendi-Wagner gehen sollte, führt an Hans Peter Doskozil kein Weg vorbei. Die Partei stünde so oder so vor einer Zerreißprobe.

Jener politische Instinkt, der Rendi-Wagner seit ihrer Kür zur Nachfolgerin von Christian Kern an der Spitze der SPÖ völlig fehlte, hat sie spät, aber doch wie ein Virus infiziert. Da sie das Resultat auch selbst interpretieren will, könnte sie sogar bei einer (knappen) Mehrheit die Politik verlassen. Erhobenen Hauptes. Denn einerseits geht die SPÖ mit dieser Umfrage unter den 160.000 Parteimitgliedern fahrlässig um. Faktisch alle Spitzenleute haben sich gleichgültig gezeigt. Damit aber schaden sie nicht nur der Parteichefin. Eine schwache Beteiligung fiele andererseits langfristig der SPÖ insgesamt auf den Kopf. Man könnte sogar von einem Spiel mit dem politischen Suizid sprechen: mit Hilfe der Medien, die Rendi-Wagner gegenüber von Anfang an ablehnend bis reserviert gegenüberstanden.

Ablehnung auch bei Frauenund sogar in der Parteijugend

Dass sie bei den Männern keinen Rückhalt hat, wurde erst kürzlich in einer Straßenbefragung von einer vermutlich 60-Jährigen gut auf den Punkt gebracht: "Denen ist sie viel zu gescheit. Sie sagen es nur nicht offen." Beim weiblichen Teil der Bevölkerung ist das Pro-Rendi-Wagner-Lager in jüngster Zeit ebenfalls kleiner geworden. Mehr als 50 Prozent der Frauen (45 Prozent der SPÖ-Wählerinnen) votieren im Schnitt für Sebastian Kurz, nur 10 Prozent für Rendi-Wagner. Vorausgesetzt, sie hätte überhaupt gewollt, wäre Arbeiterkammer-Chefin Renate Anderl die kräftigere Alternative gewesen.

Erstaunlich aber ist die Ablehnung der SPÖ-Chefin durch die Parteijugend. Dies erinnert an die Konfrontation zwischen den jungen Grünen und der früheren Grünen-Sprecherin Eva Glawischnig. Beide sind naturwissenschaftlich geprägt, beide eher nüchterne Frauentypen, beide elegant und in ihrem Auftreten fern vom Schlabberlook. Die Gründe sind sicher diffiziler, aber manchmal sagt die Fassade viel über tiefere Strukturen.

Eva Maltschnig von der SPÖ Alsergrund (ihre Schwester Maria ist Chefin des Renner-Instituts) hat in einem Zeitungskommentar den gesamten Referendumstext eine "Ansammlung von Banalitäten" genannt und Rendi-Wagner vorgeworfen, "im Fragebogen keine Alternativoption" genannt zu haben. Aber auch sie selbst nennt in dem Text niemanden, der oder die Nachfolger(in) werden könnte. Sie schreibt: "Derzeit entscheidet eine kleine Machtelite, wer Vorsitzende der SPÖ wird. So bekam Rendi-Wagner ihren Job."

Die beiden Töchter eines SPÖ-Bürgermeisters in Zell am See (Salzburg) waren schon Vorsitzende des VSStÖ, Maria war Kabinettschefin von Kanzler Kern und davor dessen Assistentin bei den ÖBB. Eva war bei Wiener Wohnen, einem Unternehmen der Stadt Wien, beide leben also im Eingemachten der Partei. Als knapp über 30-Jährige sollten sie sich, anstatt sich über Rendi-Wagner auszulassen, im Ausland umsehen. Und generell in Betracht ziehen, dass in mehreren Ländern, darunter Großbritannien, die Kür des Chefs oder der Chefin der Labour Party ohne interne Abstimmung nicht mehr denkbar ist. Oder in Finnland, wo die jetzt 34-jährige Sanna Marin, eine ehemalige sozialdemokratische Kommunalpolitikerin, seit einigen Monaten Regierungschefin ist. Weiter ausgeholt nach Neuseeland, wo 2017 die damals 37-jährige Jacinda Andern als Chefin der Labour Party die Regierung übernommen hat. Mehrere Jahre ab 2007 war sie Präsidentin der "International Union of Socialist Youth" und hatte ihr Büro in London.

Die Sozialdemokratie ist von progressiver Faulheit befallen

Von Erneuerung ist in Österreich zwar die Rede, sie wird aber nicht umgesetzt. Die Wiener Sozialdemokraten halten die eben gestartete Umfrage für nicht zielführend, aus den Bundesländern außerhalb der Hauptstadt wird Desinteresse gemeldet und auf diese Weise verstärkt. Die Behauptung, das Referendum würde der Wien-Wahl im Herbst nur schaden, ist frei erfunden, weil man um die Spaltung der FPÖ seit dem Jahreswechsel weiß. Im Grunde sind die wenigsten unter den 160.000 SPÖ-Mitgliedern an innerparteilicher Demokratie interessiert. Die hat bisher nur bei den Grünen funktioniert, die Sozialdemokratie ist von progressiver Faulheit befallen.

Die Spekulationen über Rendi-Wagners Nachfolge haben trotzdem bereits begonnen. Denn das tun Parteifunktionäre und viele Journalisten am liebsten: jeden Tag ein neues Gerücht, jede Woche eine Intrige und erfundene "Geheimpläne" im Boulevard; dazu die Interpretationen von "Wahlexperten" im ORF und in den Privatkanälen. So tickt Österreich.

Tatsächlich handelt es sich um den Prozess einer Entwertung politischer Meinungsbildung, die möglicherweise nur noch in geografisch kleineren Bereichen zu funktionieren scheint. Ein Beispiel dürfte Vorarlberg sein, das zweite das Burgenland, wo man Politik noch aus eigener Anschauung beobachten kann.

Pannonien liegt zwar nahe bei Wien, hat aber seine ganz eigenen Strukturen. Es hat keine eigene Tageszeitung, sondern neben den journalistisch armen und als Plattform für Politikerporträts dienenden Wochenblättern lokale Mutationsseiten von "Krone" und "Kurier". Das im Vorjahr vom "Kurier" übernommene "Schau TV" hat die Burgenland-Inhalte dramatisch zurückgefahren. Bleibt der ORF mit politisch ebenfalls eingeschränkter Entfaltung, dafür aber mit viel Interessantem über Volksgruppen und regionale Besonderheiten.

Doskozil könnte locker auch Bundeschef der SPÖ werden

Das erklärt den schnellen Aufstieg Doskozils vom Polizeichef inmitten der Flüchtlingswelle 2015 zum Verteidigungsminister und 2020 zum pannonischen Fürsten mit Dreitagebart nicht restlos, ist aber besser begreifbar als viele Karrieren im Wiener Politikdschungel. Er könnte die zusätzliche Arbeit eines bundesweiten SPÖ-Chefs locker übernehmen. Das wäre vor allem eine Organisationsfrage. Die Wege in die "ZiB"-Sendungen und Talks nach Wien sind nicht weit.

Wie Doskozil ohne die Wiener Miesmacherei die politische Landschaft aufgerollt und überrollt hat, nötigt Respekt ab. Einen, der unter heutigen Bedingungen mit fast 50 Prozent eine - wenn auch kleine - Wahl gewonnen hat, sollten die SPÖ-Granden inklusive Bürgermeister Michael Ludwig nicht bremsen, sondern eher ermuntern, die Doppelrolle als Landeshauptmann und Bundesvorsitzender der Partei zu übernehmen.

Die Inhalte seines Burgenland-Programms zu plakatieren und in die Umsetzung für die ganze Republik zu pushen, dazu sind hochgediente SPÖ-Politiker(innen) ohnehin zu feig. Ihre Verbindungen mit den neoliberalen Banken und der großstädtischen Wirtschaft sind zu eng, als dass sie sozialdemokratischen Grundsätzen entsprechen würden.