Prognose-Poker zweier Think-Tanks. | Wifo hat mehr Geld, IHS zumeist mehr Optimismus. | Beide Institute sind klare Gewinner der Wirtschaftskrise. | Eines werden die beiden Herren wohl niemals schaffen - einen Lotto-Sechser: Sowohl Karl Aiginger, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), als auch Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), haben nämlich beim Tippen traditioneller Weise nur wenig Glück.
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Die renommiertesten Wirtschaftsforscher im Lande liefern zwar in gemeinsamen Pressekonferenzen vier Mal pro Jahr ihre Konjunkturprognosen ab, doch dabei schaffen sie stets bestenfalls Annäherungswerte. Die nationalökonomische Realität wird von ihnen so gut wie niemals ganz präzise prophezeit.
Ihre Aufgabe, die Zukunft richtig zu deuten, ist mindestens eben so schwierig wie die der Meinungsforscher vor Wahlen. Auch wenn die beiden Gurus so wie diese häufig daneben hauen und beispielsweise die Auswirkungen der dramatischen Wirtschafts- und Finanzkrise erst relativ spät vorherzusagen im Stande waren, haben sie bislang kein Imageproblem.
Ohne den 61-jährigen Wifo-Chef und den 69-jährigen IHS-Direktor, deren Profession darin besteht, laufend etwa das Wirtschaftswachstum, die Entwicklung der Verbraucherpreise, des privaten Konsums oder der Arbeitslosenquote möglichst exakt zu prophezeien, wäre zum Beispiel die Bundesregierung aufgeschmissen. Die als so gut wie allwissend geltenden Top-Experten, die nach wie vor einen tadellosen Ruf genießen, liefern ihr unentwegt Expertise in Form von Entscheidungsgrundlagen für den politischen Alltag - von der Budgeterstellung bis zu aktuellen Steuerfragen.
Sie prägen mit ihren jeweiligen Prognosen die Stimmung im Lande und melden sich von Zeit zu Zeit mit kritischen Anmerkungen zu diversen Fragen der Wirtschafts-, Steuer- oder Sozialpolitik zu Wort. Das sichert ihn seitens der Politik allerdings keinen hohen Beliebtheitsgrad - im Gegenteil. Felderer, der beispielsweise von künftigen Vermögenssteuern absolut nichts hält: "Ich bin vielen ein Dorn im Auge, weil Kritik in Österreich sofort persönlich genommen wird." Aiginger wiederum, der etwa für die CO2-Steuer eintritt, hat kürzlich mit seiner Konsolidierungs-Studie "zunächst null Reaktion" ausgelöst - allmählich fand sie dann im Finanzministerium doch Beachtung.
Felderer: "Wir müssenimmer feilschen"
Während das Wifo-Institut grosso modo als Nummer eins gilt, ist der IHS-Chef öfter im Gespräch: Felderer, nebenbei Präsident des Staatsschuldenausschusses und damit der wohl unermüdlichste Warner vor dem drohenden Finanzkollaps, wurde im Vorjahr rund tausend Mal in Österreichs Medien erwähnt. Aiginger, dessen Vorhersagen ebenso gefragt sind wie seine prononcierten Wortspenden, kam auf nahezu 700 Presseberichte bzw. Auftritte in elektronischen Medien.
Die beiden Institute unterscheiden sich nicht nur durch ihre bisweilen erstaunlich abweichenden Prognosen - manchmal sind sie nicht einmal darin einig, ob es rauf oder runter geht -, sondern auch durch ihr Profil. Am Markt treten die zwei Wiener Think-Tanks naturgemäß als Rivalen auf, die um in- und ausländische Auftraggeber kämpfen. Aiginger und Felderer kommen jedenfalls über ein distanziertes, nicht immer friktionsfreies Verhältnis nicht hinaus.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut, 1927 von den späteren Top-Ökonomen Friedrich August Hayek und Ludwig von Mises gegründet, ist ein privater, gemeinnütziger und nicht gewinnorientierter Verein. Aiginger, der das Wifo seit 2005 leitet, steht ein Stab von 100 fixen Mitarbeitern und rund 30 Freien (meist Studenten) zur Seite. Das Jahresbudget beträgt 12 Millionen Euro und wird zu rund 40 Prozent aus eigener Kraft erwirtschaftet.
Für die Finanzierung des Wifo sorgen großteils der Bund (zu 25 Prozent) sowie Sozialpartner und Nationalbank (zu jeweils 15 Prozent). Sponsor Raiffeisen indes ist als Geldgeber ausgestiegen, die Industriellenvereinigung hat ihre Fördermittel stark reduziert. Begründung: Beide waren wegen der angeblichen Verbreitung linker Ideologien durch Wifo-Experten wie Markus Marterbauer und Stephan Schulmeister frustriert. Was insofern ein Problem darstellt, als es das Ziel des Instituts ist, "in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit unabhängig von Politik und Wirtschaft" zu sein.
Das IHS hingegen, ebenfalls eine private Non-Profit-Organisation, ist nicht nur für Wirtschaftsprognosen zuständig, sondern bildet auch Nachwuchs- und Führungskräfte aus. Diesen wird etwa einen dreijähriger Postgraduate-Lehrgang zum Thema "European Integration" angeboten. Das bereits seit 19 Jahren von Felderer gemanagte Institut wurde 1963 von den beiden Exil-Österreichern Paul F. Lazarsfeld und Oskar Morgenstern gegründet. Der Staff besteht aus 120 Mitarbeitern, das Jahresbudget macht 8,6 Millionen Euro aus. 43 Prozent davon werden durch Honorare für Studien und Gutachten sowie den Verkauf diverser Publikationen in Eigenregie aufgestellt. Felderer: "Wir müssen aber jedes Jahr ums Geld feilschen."
Finanziert wird das IHS, das bei Prognosen zumeist optimistischer als das Wifo ist, großteils vom Bund (2,7 Millionen Euro) sowie der Nationalbank (1,4 Millionen Euro). Mit kleineren Beträgen stellen sich die Stadt Wien und andere Institutionen ein. Auftraggeber des Instituts - laut Felderer "ein Juwel, das auch im Ausland unheimlich bekannt" sei - sind internationale sowie österreichische Institutionen, von der Weltbank und der Europäischen Kommission über das Bundeskanzleramt und die steirische Landesregierung bis zur Ärztekammer, der TU Wien oder der Bahn.
Auch das Wifo arbeitet nicht nur für österreichische Institutionen, von denen es teilweise mehrjährige Aufträge erhält sowie immer wiederkehrende Routinejobs wie die "Regionale Volkseinkommensrechnung" erledigt, sondern etwa auch im Auftrag der OECD, der EU und anderer internationaler Kunden.
Aiginger: "Wir sindpolitisch proaktiver"
Aiginger agiert in einem engmaschigen Netzwerk der Mächtigen, die als Wifo-Geldgeber naturgemäß eigene Interessen verfolgen: Wifo-Präsident ist WKÖ-Boss Christoph Leitl, der an der Spitze eines 12-köpfigen Vorstands steht. Aiginger, der bis zur seinerzeitigen Wende ÖVP-Mitglied war, schwört zwar so wie der bisweilen etwas griesgrämig wirkende Felderer auf "politische Objektivität", sieht aber einen deutlichen Unterschied zum IHS: "Wir sind politisch proaktiver." Sein Institut sei zum Beispiel "der größte Lobbyist für eine dreiprozentige Forschungsquote".
Die Wirtschaftskrise hat jedenfalls beiden Konjunktur-Gurus erhebliche Probleme bereitet, denn der Ernst der Lage wurde weder vom Wifo noch vom IHS lange nicht erkannt. Aiginger: "Die Krise hat uns gelehrt, dass wir unsere Modelle überdenken müssen." Und: "Sie hat zugleich Mehrarbeit gebracht, denn es gibt jetzt etwa mehr internationale Aufträge." IHS-Boss Felderer kann nur bestätigen, dass Wirtschaftsforscher in Zeiten wie diesen Hochkonjunktur haben und dabei erfreulicherweise zu den Krisengewinnern zählen.
Der Wettstreit Wifo gegen IHS2005: Bezüglich BIP verschätzten sich beide Institute gründlich, weil sie stets weniger als 2,5 Prozent Wachstum erwartet haben. Bei den Verbraucherpreisen schnitt das IHS, beim privaten Konsum das Wifo tendenziell besser ab, und bei der Arbeitslosenquote gab es letztlich ein Unentschieden. Spielstand: 1:1.2006: Mit der BIP-Prognose hatten beide wiederum kein Glück - sie lagen erneut zu niedrig. Beim privaten Konsum war das Wifo näher dran, bei der Arbeitslosenrate das IHS, detto bei den Verbraucherpreisen - Punktlandung gab es bloß im letzten Moment. 1:2 für das IHS.2007: Beim BIP-Wachstum war das Wifo stets näher an der Realität (3,5 Prozent) dran, aber zu pessimistisch; beim privaten Konsum (zu hohe Erwartungen) lagen beide weit daneben, und bei der Inflation (zu geringe Erwartungen) gab es keinen Treffer, wobei letztendlich das Wifo die Nase vorne hatte - so wie bei der Arbeitslosenrate das IHS. Spielstand: 2:2.2008: Das Krisenjahr Nummer eins war ein Roulettespiel: Das BIP-Wachstum haben sie zwar ab Oktober richtig eingeschätzt (2 Prozent). Die Prognosen des privaten Konsum, der Verbraucherpreise und der Arbeitslosenquote waren aber so unpräzise, dass man am besten den Mantel des Vergessens darüber legt. 3:3.2009: Das Minuswachstum wurde stets in stärkerem Ausmaß vom IHS vorhergesagt, aber das Wifo war mit minus 3,4 Prozent konstanter. Beim privaten Konsum taten sich beide schwer, wobei das Wifo letzten Endes richtig lag. Auch bei der Inflations- und der Arbeitslosenrate kam es der Wahrheit näher. Endstand: 4:3 für das Wifo.2010: Für heuer rechnen beide Institute mit 1,3 Prozent Wachstum, einer Inflationsrate um die 1,3 bzw. 1,4 Prozent und 0,7 Prozent plus beim privaten Konsum. Bei der Arbeitslosenrate hingegen ist das IHS pessimistischer und erwartet gemäß nationaler Definition 7,7 Prozent (Wifo: 7,4 Prozent).
Zu den PersonenBernhard Felderer, im März 1941 in Klagenfurt geboren, studierte Rechtswissenschaft sowie Volkswirtschaft an der Uni Wien, sodann in Paris. 1966 wurde er an der Princeton University Assistent von Fritz Machlup, ein Jahr später Professor an der University of North Carolina. 1968 ging er nach Karlsruhe, wo er sich 1973 habilitierte. 1974 wechselte er als Professor nach Köln, wobei er 1977 ein Forschungssemester in der UdSSR absolvierte. 1991 zog es Felderer nach Bochum, ebenfalls 1991 wurde er Direktor des IHS. Felderer fungiert nebenbei als Präsident des Staatsschuldenausschusses, er sitzt im Generalrat der Nationalbank und ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaft und Kunst. Er ist verheiratet und zweifacher Vater.
Karl Aiginger, Jahrgang 1948, hat von 1966 bis 1974 Volkswirtschaftslehre studiert und an der Uni Wien dissertiert. 1982 bekam er eine Gastprofessur an der Stanford University, ab 1984 war er zunächst für drei Jahre, dann wieder von 1996 bis 1998 stellvertretender Leiter des Wifo. 1991 wurde er Gastprofessor am MIT, ein Jahr später lehrte er an der Uni Linz und ab 2002 wieder an der Stanford University.
Im selben Jahr kehrte er ans Wifo als Vizechef zurück, im März 2005 wurde er dessen Chef. Aiginger ist Gastprofessor an der WU Wien, TU Wien sowie der Uni Linz und sitzt
wie Felderer in der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Verwaltungsreform.