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Das Echo des Urknalls

Von Christian Pinter

Wissen
Wirkt wir ein riesiges Hörrohr: die Hornantenne am Crawford Hill in Holmdel, New Jersey, mit der 1964 die ersten Radiowellen aus allen Regionen des Himmels empfangen werden konnten.
© Wikimedia

Vor 50 Jahren wurde eine seltsame Strahlung entdeckt, die das gesamte Universum ausfüllt. Mittlerweile gilt sie, auch dank jüngster Funde, als Bestätigung für die Theorie von der kosmischen Inflation.


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Ab 1960 schießen die USA erste Kommunikationssatelliten ins All, wie Echo-1, Courier 1B, Telstar oder Syncom. Die Bell Telephone Laboratoris wollen damals Störungen in den Griff bekommen, die beim Funkkontakt mit den orbitalen Relaisstationen auftreten. Dazu errichten sie eine Empfangsanlage am Crawford Hill in Holmdel, New Jersey. Auf einer Art Drehbühne installiert man eine sechs Meter große Hornantenne. Sie sieht aus wie ein völlig überdimensioniertes, eckiges Hörrohr.

Damit minimieren zwei Männer nun Antennen- und Empfängerprobleme: Der 1933 in München geborene Arno Penzias und der drei Jahre jüngere Texaner Robert W. Wilson. Es bleibt jedoch eine Störung, die sie nicht wegbekommen. Zunächst macht man den Mist eines Taubenpärchens verantwortlich. Die Vögel werden vertrieben, doch das feine Rauschen bleibt. Vom Juli 1964 bis zum April 1965 registrieren es die beiden unentwegt auf einer Wellenlänge von 7,3 Zentimetern. Tages- oder jahreszeitliche Schwankungen fehlen: Die Radiowellen kommen offensichtlich aus allen Regionen des Himmels - egal, ob diese nun reich oder arm an Sternen sind.

Rätselhafte Störquelle

Der deutsche Physiker Gustav Robert Kirchhoff entwickelte 1862 das Konzept des Schwarzen Strahlers. Der sendet zwar Strahlung aller Wellenlängen aus - doch die Hauptfrequenz ist von seiner Wärme abhängig. 1894 präzisierte der spätere Nobelpreisträger Wilhelm Wien diesen Zusammenhang. Mit Hilfe des Wienschen Verschiebungsgesetzes können Penzias und Wilson aus der stärksten Empfangsfrequenz tatsächlich auf die Temperatur der Störquelle schließen. Sie ist extrem niedrig, liegt anscheinend bloß 2,5 bis 4,5 Grad über dem absoluten Nullpunkt; den hat man mit minus 273,15 Grad Celsius definiert.

Damals glauben schon viele Astronomen an ein expandierendes Universum, wie es Alexander Friedmann und Georges Lemaître postuliert haben. Die gegenseitige Flucht der Galaxien, 1929 von Edwin Hubble entdeckt, stützt diese Theorie. Rechnet man die Bewegung der fernen Milchstraßen zurück, muss der Raum einst ex-trem klein, dicht und daher unfassbar heiß gewesen sein. So heiß, dass - wie George Gamow 1948 erkannte - Wasserstoffatome zu Helium verschmolzen. Die damals erzeugte Strahlung sollte sich im All sogar noch nachweisen lassen, rechnet Gamows Dissertant Ralph Alpher vor.

Auch der Physiker Robert H. Dicke ist von zumindest einer heißen Phase in der Vergangenheit des Universums überzeugt; wegen der kosmischen Expansion müsste man die einst freigesetzte Strahlung nun im Mikrowellenbereich finden. Dicke hat in Princeton studiert. Jetzt fahndet seine Forschergruppe auf dem Dach der dortigen Universität nach dem fossilen Signal - allerdings mit einem sehr kleinen Gerät.

Die viel mächtigere Hornantenne in Holmdel ist bloß 40 Kilometer entfernt. So erfährt Dicke, dass man dort gerade eine höchst rätselhafte Strahlung untersucht. Die Forscher treffen einander. Am 13. Mai 1965 entwerfen Penzias und Wilson einen Fachartikel für das "Astrophysical Journal". In derselben Ausgabe würdigen Dicke und seine Kollegen diesen Fund und diskutieren dessen kosmologische Bedeutung. Die Entdeckung der Mikrowellenhintergrundstrahlung, im Englischen "Cosmic Microwave Background" oder kurz "CMB" genannt, beschleunigt den Siegeszug der Urknall-Theorie. 1978 erhalten Penzias und Wilson dafür den Nobelpreis für Physik.

Im Urknall herrschten unvorstellbare Bedingungen. Der extremen Energie wegen waren die vier Grundkräfte in einer Art Superkraft vereint. Die Gravitation spaltete sich als erste ab. Dann folgte die starke Wechselwirkung, einst "starke Kernkraft" genannt. Später sollten sich die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung ("schwache Kernkraft") voneinander lösen.

Dazwischen aber blies sich der Kosmos, zuvor um vieles winziger als ein Atomkern, auf Metergröße auf. Das war, als würde sich ein Bakterium urplötzlich in ein Lebewesen groß wie unsere Galaxis verwandeln. Der US-Physiker Alan Guth stellte dieses Modell der Kosmischen Inflation im Jahr 1980 vor.

Materie kann sich relativ zum Raum nicht schneller bewegen als das Licht. Der Kosmos selbst darf dieses Höchsttempo aber überschreiten. Die Inflation begann eine Milliardstel-Milliardstel-Milliardstel-Milliardstel-Sekunde nach dem Urknall. Sie war in ähnlich knapper Zeit auch wieder zu Ende.

Noch in der ersten Sekunde entstanden die Protonen, Neutronen und Elektronen. Dann verwandelte sich ein Teil des allgegenwärtigen Wasserstoffs in Helium. Diese allererste Kernfusion währte zwar nur kurz, erklärt aber den hohen Heliumanteil im Universum. Bei weniger als einer Million Grad Celsius lag danach alles Gas als Plasma vor: Der Hitze wegen schossen die Elektronen viel zu rasch dahin, um sich an Atomkerne zu binden. Die im Feuerball entstandenen Photonen ("Lichtteilchen") kamen daher nicht weit. Sie wurden fortwährend an den freien Elektronen gestreut. Das Universum war so undurchsichtig, als stünde man im dichtesten Nebel.

Transparenter Kosmos

Ein Kücheneisschrank funktioniert, weil sich darin ein zuvor verdichtetes Kühlmittel ausdehnt. Im frühen Universum war es ähnlich: Während der weiteren Expansion sank die Temperatur der Plasmasuppe ständig. 380.000 Jahre nach dem Urknall hielt sie bei rund 2800 Grad C. Jetzt erst ließen sich die Elektronen von den Wasserstoff- und Heliumkernen einfangen: Astronomen sprechen vom Zeitalter der "Rekombination". Endlich durften die Lichtteilchen ungestört reisen. Der Kosmos, damals noch 1100 mal kleiner als heute, war zum ersten Mal transparent. Während er sich weiter ausdehnte, wurden die Lichtwellen in die Länge gezogen: Die Strahlung verabschiedete sich, 1100-fach gedehnt, in den Mikrowellenbereich. Das entspricht einer Temperatur von 2,73 Grad C über dem absoluten Nullpunkt.

In ihrem legendären Fachartikel bezeichneten Penzias und Wilson die Hintergrundstrahlung noch als isotrop: Sie schien aus allen Himmelsrichtungen mit der selben Intensität einzulangen. Demnach müsste der Kosmos 380.000 Jahre nach dem Urknall völlig gleichmäßig mit Materie erfüllt gewesen sein. Doch schon wenige hundert Millionen Jahre später zeigte er sich deutlich strukturiert - mit Galaxien, die von gähnenden Abgründen getrennt waren. Das ging schlecht zusammen.

Deshalb entsandte die NASA 1989 den Satelliten COBE ins All. Die Instrumente des Cosmic Mi-crowave Background Explorers entlarvten die Isotropie als Illusion. Der scheinbar gleichmäßige Hintergrund löste sich in ein Spiel von wärmeren und kühleren Flecken auf; allerdings mit Temperaturunterschieden von bestenfalls einem Zehntausendstel Grad. COBEs Nachfolger WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) besaß eine noch deutlich feinere Auflösung. Seine Ergebnisse wurden zwischen 2003 und 2012 veröffentlicht, ebenfalls erst nach eingehender mathematischer Analyse. Die ist nötig, um etwa die Strahlung unserer Milchstraße abzuziehen. Die Europäer schickten 2009 das extrem leistungsfähige Weltraumteleskop "Planck" hoch. Auch die bisher veröffentlichten Daten dieser Raumsonde passen ausgezeichnet zum Modell der kosmischen Inflation. Dieses postuliert auch die Entstehung von Gravitationswellen, die sich im CMB anhand von schwachen, gekräuselten Polarisationsmustern verraten sollten. Ein US-Team wies solche Muster jüngst mit einem verblüffend kleinen Radioteleskop am Südpol nach. Eine unabhängige Bestätigung steht noch aus.

Vor der Inflation, im noch winzigen Kosmos, stand gleichsam alles mit allem in Kontakt. Es herrschte thermisches Gleichgewicht. Das erklärt die Homogenität des Raums, also seine grundsätzliche Gleichartigkeit - sofern man ihn auf riesigen Skalen von mehreren hundert Millionen Lichtjahren betrachtet. Allerdings wurden Quantenfluktuationen während der blitzartigen inflationären Ausdehnung wie mit einem Diaprojektor in größere Dimensionen projiziert. So kam es zu geringfügigen Dichteschwankungen im Feuerball. Wo es dichter und somit heißer war, existierte nun ein Überschuss der rätselhaften Dunklen Materie. Sie formte unsichtbare, wolkenartige Halos. Und die griffen dank ihrer Anziehungskraft nach der normalen, "sichtbaren" Materie: Die einstigen Dichteschwankungen wurden zu den Keimen der Galaxien.

Universen-Kollision?

Aus dem CMB lassen sich fundamentale Parameter ableiten: Nach den Planck-Daten ist der Kosmos mit 13,8 Milliarden Jahren eine Spur älter als bisher angenommen. Die Dunkle Energie - sie beschleunigt die Expansion - stellt 68 Prozent des kosmischen Inventars, die Dunkle Materie 27. Die uns vertraute normale Materie mit ihren Protonen, Neutronen und Elektronen spielt mit einem Anteil von fünf Prozent eine recht bescheidene Rolle.

Allerdings gibt es Diskrepanzen. So wächst das Universum laut Planck in jeder Sekunde um 68 Kilometer. Das ist um neun Prozent weniger, als andere Studien ergaben. Die Wärmefluktuationen sehen nördlich des Tierkreises ein ganz klein wenig anders aus als südlich davon. Dieses Phänomen lässt sich vielleicht noch mit dem Hinweis auf statistische Zufälligkeiten wegdiskutieren. Bei einem merkwürdigen, großen "kalten Fleck" im CMB geht das aber nicht mehr.

Wie einige Forscher mutmaßen, könnten sich in Plancks Datenschatz sogar Hinweise auf eine "Zeit vor dem Urknall" verstecken. Manche suchen darin die Spuren eines Zusammenstoßes mit einem anderen Universum. Allerdings weiß niemand, ob andere Universen überhaupt existieren. Die nächsten Ergebnisse des Planck-Teams werden mit Spannung erwartet. Deren Freigabe folgt in den kommenden Wochen.

Christian Pinter, geb. 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt regelmäßig über astronomische Themen im "extra". Online:
www.himmelszelt.at