Brüsseler Stadt-Skizzen, Teil I.
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Zuerst war Herman Van Rompuy da - und dann das Ei. Das wird aber dafür länger bleiben als der Ratspräsident. In dieser Funktion ist der Belgier nämlich nur noch bis Herbst tätig, danach wird jemand anderer die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Schuman-Platz mitten im Brüsseler EU-Viertel leiten. Die Sitzungen sollen dann teilweise in einem neuen Gebäude stattfinden, dessen Bau kurz nach Van Rompuys Amtsübernahme 2009 begonnen hat. Und kaum waren die Entwürfe bekannt, haben Medien schon einen Namen für das Haus kreiert: Van Rompuys Ei. Inspiriert haben sie dazu die Pläne, die einen vasenförmigen Komplex vorsehen, ummantelt von einem gläsernen Kubus.
Das Ei wächst und wächst. Vor kurzem erst sorgten die rundherum aufgestellten Glaswände, die aus hunderten Fenstern in Holzrahmen bestehen, für Verwunderung bei den Passanten. Doch daran, dass sich noch immer kein Ende der Bauarbeiten abzeichnet, haben sich häufige Besucher schon gewöhnt. Dass die Errichtung mehr als 300 Millionen Euro kosten wird, ist schon fix. Weniger klar ist, wann das Gebäude in Betrieb geht.
Seit Jahren ist die EU eine riesige Baustelle. Nicht im übertragenen Sinn, sondern wörtlich. Auf dem Schuman-Platz befinden sich wichtige Verwaltungshäuser der Gemeinschaft. Auf der einen Seite steht die EU-Kommission, jene Behörde, die Gesetzesvorschläge macht. Gegenüber liegt das Gebäude, in dem die Minister und Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten tagen.
Und zwischen diesen Glas- und Betonbauten stehen Baukräne, werden Absperrungen errichtet und Gehsteige renoviert; es wird gebohrt, gehämmert und Staub aufgewirbelt. Die Metro-Station ist über provisorische Treppenabgänge zu erreichen. Stolpern lässt sich über die genau so leicht wie über die losen Steine des Kopfsteinpflasters, das an vielen Brüsseler Straßen verlegt wurde. Deswegen verfluchen Frauen, die Stöckelschuhe tragen, das Brüsseler Pflaster. Daher, so wird gemunkelt, konnte sich keine Skater-Szene wie in anderen Großstädten entwickeln.
Brüssel ist keine geordnete Stadt. Jede der 19 Gemeinden verwaltet sich selbst, eine einheitliche Stadtplanung fehlt. Es ist sogar schwierig, auch nur einen Straßenzug zu finden, wo nicht die unterschiedlichsten Baustile vertreten sind: Ein Jugendstil-Prunkstück steht neben einem schäbigen Mietshaus, das sich an einen mehrstöckigen Wohnblock aus den 1960er Jahren lehnt.
Modernere Bauten entstehen gerade im EU-Viertel, rund um Kommission und Parlament. Ob das die Gegend auch außerhalb der üblichen Bürozeiten mit Leben erfüllt, ist unklar. Hier wird vor allem gearbeitet; die auf Mittagsmenüs spezialisierten Restaurants schließen bereits am Nachmittag, und am Wochenende leeren sich die Straßen. Zehntausende EU-Beamte aus 28 Ländern sind in Brüssel tätig, daneben beschäftigen Niederlassungen diverser Firmen, Nichtregierungsorganisationen und andere Lobbying-Agenturen weitere zehntausende Menschen. Den Belgiern bringt das Einnahmen und etliche Jobs - aber auch mancherorts höhere Mietpreise.
Diese Arbeitsmigranten machen allerdings nur einen Teil der Wahlbrüsseler aus. Es gibt da nämlich noch etliche andere. So wie es noch etliche andere Brüssel gibt.