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Das Eigentor

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die AfD könnte mit der rassistischen Attacke auf Nationalspieler Jerome Boateng den Bogen überspannt haben.


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Berlin. Der, um den es ging, wollte sich selbst auf gar keine großen Diskussionen mehr einlassen. "Ich kann darüber nur lächeln", sagte Jerome Boateng nach dem Fußball-Länderspiel Deutschland-Slowakei am Sonntagabend. Und es sei traurig, dass heute noch so etwas gesagt werde.

Als der dunkelhäutige Nationalspieler vor den Kameras der ARD stand, hatte allerdings schon halb Deutschland stundenlang über den 27-jährigen Verteidiger diskutiert und dabei so gut wie jedes andere Thema in den Hintergrund gedrängt. Vor allem in den sozialen Medien hatte es eine enorme Solidarisierungswelle für den in Berlin geborenen Boateng gegeben, nachdem sich Alexander Gauland, der Vize-Vorsitzende der AfD, abfällig über den Sohn eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter geäußert hatte. Wörtlich hatte Gauland in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" erklärt: "Die Leute finden ihn als Fußball-Spieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben."

Angriff und Rückzug

Dass sich die Empörung über Gauland binnen weniger Stunden zu einem gewaltigen Gewitter aufgeschaukelt hat, scheint auf den ersten Blick auch die restliche AfD-Führung ein wenig überrascht und verunsichert zu haben. Denn so knapp vor der EM könnte sich die Schmähung eines DFB-Stars im fußballverliebten Deutschland als kaum kontrollierbarer Bumerang entpuppen. Für die AfD, die bei der Sonntagsfrage mittlerweile bei deutlich über zehn Prozent liegt und 2017 in den Bundestag einziehen will, wäre das der Super-GAU.

Entsprechend beschwichtigend und versöhnlich liest sich auch die Meldung, die AfD-Chefin Frauke Petry bereits am Sonntagvormittag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter absetzt: "Jerome Boateng ist ein Klasse-Fußballer und zu Recht Teil der deutschen Nationalmannschaft. Ich freue mich auf die EM."

Doch für den politischen Gegner sind solche Beschwichtigungen vor allem auch Teil einer bewährten Strategie, die die Rechtspopulisten seit Beginn der Flüchtlingskrise immer häufiger anwenden. "Typisches Muster AfD: beleidigen, provozieren - später dann relativieren", sagt CDU-Vize-Chefin Julia Klöckner. Und auch der SPD-Politiker Ralf Stegner erkennt dahinter eine Methode: "Goldene Rechtspopulistenregel: Provokation, Debatte, Rückzug, ‚War nicht so gemeint‘."

Ganz ähnlich wie nun bei Boateng war es auch vor einigen Monaten gelaufen, als Petry in einem Interview einen Schusswaffengebrauch als letztes Mittel gegen Flüchtlinge bei unerlaubtem Grenzübertritt guthieß. Später unterstellte sie dem "Mannheimer Morgen" eine verkürzte und "völlig sinnentstellte" Fassung des Interviews. "Die AfD lehnt es strikt ab, dass auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlass in das Bundesgebiet begehren", erklärte Petry damals.

Der Boateng-Moment der FPÖ

Die AfD ist freilich nicht die einzige rechtspopulistische Partei, die sich dieser Methode bedient. Parallelen im politischen Stil ortet der deutsche Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder etwa auch zwischen AfD und der in vieler Hinsicht als Vorbild fungierenden heimischen FPÖ: "Man verursacht einen Skandal und nutzt dann die mediale Aufmerksamkeit und die Proteste der anderen Parteien, um sich als Opfer zu inszenieren."

Dass diese Strategie aber nicht immer aufgehen muss, zeigt allerdings das Jahr 2014, als just die FPÖ ihren eigenen Boateng-Moment erlebt hat. Damals war in der von FPÖ-Urgestein Andreas Mölzer herausgegebenen Zeitschrift "Zur Zeit" ein rassistischer Kommentar über den ebenfalls dunkelhäutigen Fußballstar David Alaba erschienen. In Kombination mit einer zuvor getätigten Aussage über die EU als "Negerkonglomerat" wurde Mölzer für die Parteiführung der FPÖ untragbar. Der langjährige freiheitliche EU-Mandatar durfte bei den Europawahlen im Mai 2014 nicht mehr antreten.

Dass nun Gauland etwas Ähnliches passieren könnte, scheint jedenfalls nicht ausgeschlossen. Denn der 75-jährige Jurist, der als graue Eminenz der AfD gilt, liegt schon seit längerem mit Parteichefin Petry über Kreuz und könnte folglich auch zum Bauernopfer der aus dem Ruder gelaufenen Provokationsstrategie werden. Denn um festzustellen, dass die Sympathien ganz eindeutig beim geschmähten Boateng liegen, braucht es nur einen kurzen Blick auf die Transparente, die derzeit in den deutschen Stadien hängen, oder auf die Kommentare in den sozialen Netzwerken und Zeitungen. Angesichts der vielen dort ausgesprochenen Einladungen dürfte der Bayern-München-Verteidiger nämlich der im Augenblick beliebteste Nachbar Deutschlands sein.