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"Das Eis beginnt zu schmelzen"

Von Arian Faal und Thomas Seifert

Politik
Irans Außenminister Ali Akbar Salehi ist stolz auf die guten Beziehungen zu Österreich.
© Stanislav Jenis

Salehi ist im Atomstreit optimistisch und glaubt an Fortschritte.


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"Wiener Zeitung":Die Europäer, Amerikaner, Russen und Chinesen brachten eine gewisse Flexibilität zu den Verhandlungen im Atomstreit, die in Kasachstan abgehalten wurden, mit. Wo haben sie Flexibilität gezeigt?Ali Akbar Salehi:Im Namen Gottes, des Allmächtigen! Wenn man in Verhandlungen geht, dann heißt das, dass man einerseits etwas gibt, anderseits etwas nimmt. Bei Verhandlungen kann es nicht darum gehen, dass man einfach nur nimmt, man muss auch bereit sein, der anderen Seite etwas zu geben. Man muss also einen Weg irgendwo in der Mitte finden. Die eine Seite gibt gewisse Positionen auf, die andere Seite gibt ebenfalls gewisse Positionen auf. Wenn man das nicht tut, gibt es nie eine Einigung. Daher würde ich sagen, dass die Verhandlungen in Almaty ein Wendepunkt, ein Meilenstein, waren. Bisher ging es lediglich darum, den Prozess zu starten. Ich darf Ihnen ein lebendiges Bild liefern: Ein Stück Eis war gefroren, nun beginnt es zu schmelzen.

Damit das Eis schmilzt, muss aber die Temperatur noch ein wenig steigen. Die andere Seite erwartet, dass der Iran den IAEA-Inspektoren Zugang zur Militäranlage Parchin ermöglicht. Zudem gibt es Besorgnis über die Uran-Anreicherung: Bisher wurde eine ganze Menge Uran bis auf 20 Prozent des spaltbaren Isotops Uran 235 anreichert. Experten sagen nun, das bräuchte man für den Betrieb eines Atomreaktors nicht.

Man sollte die Öffentlichkeit nicht einseitig informieren: Wir haben bisher circa 250 kg dieses auf 20 Prozent angereicherten Urans produziert. Fast 100 kg dieses angereicherten Urans ist inzwischen zu Brennstoffplatten für den Forschungsreaktor in Teheran verarbeitet worden. Bisher haben wir pro Monat zwei dieser Platten produziert. In Zukunft wollen wir in jeden Monat drei, vier oder vielleicht sogar mehr Brennstoffplatten produzieren. So wollen wir den Vorrat an - auf 20 Prozent angereichertem - Uran mittelfristig abbauen.

Der Iran will auf längere Sicht einen Grand Bargain, wo alle Probleme zwischen dem Westen und Teheran ausgeräumt werden. Sie wollten auch Gespräche mit den USA. Der US-Vizepräsident Joe Biden hat bei der Sicherheitskonferenz in München Direktgespräche angeboten, worauf Sie sehr positiv reagiert haben.

Ich bin vor allem seit der letzten Gesprächsrunde in Almaty optimistisch.

Es gibt doch eine Reihe von Experten, die meinen, der ideale Zeitpunkt für eine solche Lösung sei jetzt gekommen. US-Präsident Barack Obama scheint interessiert an einer Entspannung. Das ist seine zweite Amtszeit, nun hat er größten politischen Spielraum. Sehen Sie das auch so?

Dieses Umfeld wird gerade geschaffen und geformt. Ich glaube, dass beide Seiten diese Gelegenheit nutzen wollen.

Die iranische Währung, der Rial, hat während der letzten zwölf Monate 55 Prozent ihres Wertes verloren. Sie waren stets jemand, der gesagt hat, dass die Sanktionen spürbar seien. Ist wirklich alles unter Kontrolle, wie ihr Präsident Mahmoud Ahmadinejad sagt?

Ich habe vor einigen Jahren gesagt: Sanktionen werden Auswirkungen haben. Aber: Der Iran ist eine große Volkswirtschaft. Fast eine Billion Dollar - gemessen in Kaufkraftparitäten. Die Öl-Einkünfte aus Exporten betragen zwischen 100 und 120 Milliarden Dollar. Das sind etwa 10 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Die Sanktionen stören also die Wirtschaft, aber sie können sie nicht nachhaltig schwächen. Denn unsere Wirtschaft basiert nicht auf Exporten, wie das in Deutschland der Fall ist. Ein großer Teil wird im Land erwirtschaftet und auch wieder konsumiert. Wir produzieren zwei Millionen Barrel Öl pro Tag, der Iran hat etwa 80 Millionen Einwohner. Es gibt auch Länder, die produzieren fast ebenso viel wie wir, haben aber nur eine Million Einwohner. Daraus ergibt sich, dass die Ölexporte für uns nicht vital sind. Wofür die Öl-Einkünfte aber sehr wohl notwendig sind: um Devisen für Importe zu bekommen. Und genau in diesem Bereich zeigten die Sanktionen Effekte. Wir erzeugen die meisten unserer Industrieprodukte selbst: Essen, Industrieprodukte, Autos. Beim Auto muss man wiederum das Autoradio importieren. Das ist einfach billiger, als es auch noch selbst im Land zu produzieren. Sie sehen: Aber so wie die anderen ihren Druck erhöht haben, haben wir immer und immer wieder innovative neue Methoden entwickelt, um mit den Folgen der Sanktionen fertig zu werden.

Es gibt nicht allzu viele Länder in Westeuropa, in die ein iranischer Außenminister eingeladen wird. Sie waren vor kurzem bei der Münchner Sicherheitskonferenz, nun sind sie bei der UN-Alliance-of-Civilizations-Konferenz in Wien. Wie sehen Sie die Beziehungen zu Österreich?

Wir haben eine lange Tradition guter Beziehungen zu Österreich, das geht Jahrhunderte zurück. Wir verstehen, dass Österreich heute im Rahmen der EU handelt. Wenn also bestimmte Regeln aus Brüssel kommen, sind alle Mitgliedsländer verpflichtet, diese Verordnungen und Regeln einzuhalten.

Manche Gruppen kritisieren die österreichische Regierung dafür, dass sie iranische Regierungsvertreter empfängt. Sie sollten, so die Forderung, Teheran boykottieren. Was halten Sie von solchen Gruppen?Sehen Sie, jede Gruppe hat das Recht, ihre eigenen Vorstellungen und Positionen zu haben. Was ich hier aber betonen möchte, ist, dass man bei seinen Entscheidungen immer Vorsicht und Weisheit walten lassen sollte. Sonst gerät man in Problemsituationen. Diejenigen, die nach Konflikten trachten, die werden zu keinem positiven Ergebnis kommen.

Mein Rat an diese Gruppen ist: Ihr mögt Eure Differenzen mit uns haben, Ihr mögt Eure Anschauungen haben, aber gleichzeitig raten wir Euch, etwas rationaler und vorsichtiger zu sein.

Wir forcieren den Dialog und das hat auch unsere Geschichte gelehrt. Der Iran hat eine Jahrtausende alte Geschichte und wir haben alle diese Höhen und Tiefen erlebt. Gleichzeitig sind wir ein friedvolles und friedliebendes Volk, und das zeigt sich in unserer Poesie und unseren Gedichten und so weiter.

Ein anderer Punkt ist, dass viele sagen, dass wir uns hier in Europa viel zu sehr mit dem Atomstreit befassen und dadurch die Diskussion über die Menschenrechte zu kurz kommt. Er gibt im Iran etwa nach wie vor öffentliche Hinrichtungen, die uns in Europa schockieren. Wie stehen Sie dazu?

Wir begrüßen einen Dialog zu den Menschenrechten mit europäischen Ländern. Es gab auch schon konkrete Vorschläge dazu von uns und von einigen europäischen Ländern. Ich möchte noch einmal wiederholen, was ich schon vor zwei Jahren hier in Wien betont habe: Wir geben nicht vor, in punkto Menschenrechte alles perfekt zu machen. Aber ich habe auch gesagt, dass wir auch dazu bereit sind, Fehler, die wir begangen haben, zu bereinigen. Gleichzeitig habe ich sehr klar betont, dass es weltweit kein Land gibt, das für sich eine Musterschülerrolle in Sachen Menschenrechte in Anspruch nehmen kann. In unserer Nachbarschaft finden sich viele Länder, die nicht einmal wissen, was Menschenrechte sind. Sie können sie nicht einmal buchstabieren, und niemand sagt dazu etwas. Wir sehen uns hier also wieder einmal konfrontiert mit einem Doppelstandard, sprich, es wird hier mit zweierlei Augenmaß gemessen, weil es sich um den Iran handelt. Unglücklicherweise muss ich aber auch noch hinzufügen, dass die Menschenrechte oft als politisches Instrument verwendet werden.

Mit Ihrer Unterstützung von al-Assad haben Sie es sich mit einigen Ländern verscherzt. Beispielsweise sind die Türkei, Saudi Arabien und Ägypten nicht sehr glücklich über die iranische Syrienpolitik. Andererseits ist es so, dass durch die Sanktionen der EU vor allem Russland, China und die Türkei im Interesse der iranischen Wirtschaft stehen.

Die Welt ist groß, da findet man immer Wege. Was Syrien betrifft, ist es schon richtig, dass wir mit der Türkei unsere Differenzen haben, aber dies beeinträchtigt unsere bilateralen Beziehungen zur Türkei auf wirtschaftlicher und politischer Ebene in keiner Weise. Ich bin in ständigem Kontakt mit meinem Amtskollegen Ahmet Davutoglu: Es mag sein, dass es gerade bei Syrien Differenzen gibt, aber die Themen, wo wir ein und derselben Meinung sind, sind wesentlich umfangreicher.

Am 14. Juni wählt der Iran einen neuen Präsidenten: Werden diese Wahlen klar und transparent sein, trotz der internen Konflikte?

Wir versichern Ihnen, dass wir in einem demokratischen Staat leben. Ob andere es nun glauben mögen oder nicht. Sehen Sie, wir haben in den vergangenen 34 Jahren zehn Präsidentschaftswahlen abgehalten. Bei vielen dieser Wahlen gab es bis zum letzten Moment eine Erwartung, und im Endeffekt hat dann ein anderer Kandidat gewonnen.

Sie sagen also: Erwartet das Unerwartete!

2005, im Präsidentenwahlkampf zwischen Rafsanjani und Ahmadinejad, wo alle mit einem Erfolg Rafsanjanis gerechnet haben, hat letztlich Ahmadinejad gewonnen. Auch in den USA haben wir dieses Phänomen gehabt. Denken Sie an Al Gore und Bush.

Der frühere Präsident Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani sieht die Wahlen mit Sorge und fordert einen klaren und transparenten Urnengang.

Wir haben im Iran immer transparente Wahlen.

Werden Sie antreten?

Nein, ich fühle mich nicht fit genug für diesen Job.

Zur Person

Ali Akbar Salehiübernahm am 13. Dezember 2010 das Amt des iranischen Außenministers von Manouchehr Mottaki, zunächst interimistisch, dann auch vom Parlament abgesegnet. Der rhetorisch versierte und erfahrene Chefdiplomat war zuvor in mehreren hochrangigen Funktionen für die Islamische Republik tätig. Bekannt wurde er in seiner Funktion als Chef der AEOI (Iranische Atomenergieorganisation) und als Vizepräsident unter dem derzeitigen Staatschef Mahmuoud Ahmadinejad. Österreich und speziell Wien sind dem 62-Jährigen übrigens sehr gut bekannt, da er fünf Jahre lang als Botschafter des Iran für internationale Organisationen hier war.