EU-Bürgern soll die Migration nach Großbritannien erschwert werden. Nach dem Brexit will London den Familiennachzug einschränken.
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Wien/London. Die Zahl der "Skype-Familien" dürfte in Großbritannien nach dem Brexit deutlich ansteigen. Laut dem linksliberalen "Guardian" will die Regierung den Familiennachzug auch für EU-Bürger einschränken. Dann werden wohl tausende Familien auf den kostenlosen Instant-Messengerdienst angewiesen sein, um ihre Angehörigen regelmäßig zu sehen - wenn auch nur über Videokameras.
London geht es darum, die Migration von niedrigqualifizierten Arbeitern zu beschränken. Die Zeitung beruft sich auf ein 82-seitiges Positionspapier des Innenministeriums, das ihr zugespielt worden sei. Darin heißt es, Einwanderung sei nur dann wertvoll für das Land, wenn sie nicht nur den Migranten, sondern auch den schon im Land lebenden Bürgern zu einem besseren Leben verhelfe. Die Konsequenz: "Nach dem EU-Austritt wird die Personenfreizügigkeit beendet".
Konkrete Vorschläge sollen laut Verteidigungsminister Michael Fallon noch heuer folgen. "Es muss eine Balance geben, wir wollen das Land attraktiv machen für gut ausgebildete Menschen, die hierher kommen und ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten wollen - wir wollen ihnen nicht die Tür zuschlagen."
Billigt das Kabinett von Premierministerin Theresa May das Papier, werden sich EU-Bürger künftig um Aufenthaltsgenehmigungen bewerben müssen. Lediglich Einwanderer mit besserer Bildung dürfen länger als zwei Jahre im Land bleiben - nämlich für maximal fünf. Britische Arbeitnehmer werden bei der Vergabe von Stellen bevorzugt.
Auch beim Familiennachzug will das Innenministerium strengere Kriterien: Demnach sollen nur noch "direkte Familienangehörige", also Lebenspartner, Kinder unter 18 Jahren und auf Unterstützung angewiesen Personen nachkommen dürfen. Zudem sollen EU-Bürger verpflichtet sein, bei der Einreise nach Großbritannien ihren Reisepass herzuzeigen. Derzeit reicht der Personalausweis.
Für die komplette Umsetzung der strengen Neuregelungen soll es eine Frist von mindestens zwei Jahren geben. Das passt zum Vorhaben der britischen Regierung, nach dem Brexit im März 2019 erst einmal alles beim Alten zu lassen. Den großen Sprung will London wohl erst nach den nächsten geplanten Parlamentswahlen im Mai 2022 wagen. Zudem wäre es äußerst unklug, die Bande zur EU zu kappen, bevor ein Freihandelsabkommen vereinbart ist - das bis März 2019 zu erreichen gilt als unmöglich. Doch auch der Plan, den Deal bis 2022 auszuverhandeln ist ambitioniert, wenn nicht gar unmöglich.
Mit dem an die Öffentlichkeit durchgestochenen Papier wird zum ersten Mal deutlich, welche Ziele die britische Regierung beim Thema Einwanderung aus der EU verfolgt. London und Brüssel verhandeln derzeit über die Bedingungen des Brexit, sind aber in bisher drei Gesprächsrunden kaum vorangekommen.
Mehr als drei Millionen EU-Bürger leben in Großbritannien, viele davon arbeiten in der Landwirtschaft, Gastronomie und im Gesundheitssektor. Diese Branchen könnte der Brexit schwer treffen. So verzeichneten Bauern und Großbetriebe schon heuer einen eklatanten Mangel an Erntehelfern. Der Ansatz "britische Jobs für britische Arbeiter" könnte nach hinten losgehen.
Doch Nahrungsmittelproduzenten sind nicht die einzigen, die die geplanten Verschärfungen "alarmierend" finden. Auch der Einzelhandel und der Pflegesektor, beide stark abhängig von ausländischen Arbeitskräften, fürchten, künftig nicht mehr genug Leute anheuern zu können.
Tim Thomas, Chef der für das produzierende Gewerbe zuständigen Arbeitgeberorganisation EEF, bezweifelt gar, dass mit der neuen Regelung Niedrigqualifizierte noch kommen wollen: "Es gibt dann keinen Familiennachzug und keine Möglichkeit, sich dauerhaft niederzulassen - bleiben dürfen sie nur für zwei Jahre." Für Londons Bürgermeister Sadiq Khan ist der Plan gar eine "Blaupause dafür, wie man unsere Wirtschaft gegen die Wand fährt". Brexit-Befürworter begrüßen das Vorhaben hingegen als "richtigen Schritt auf dem Weg, die Kontrolle über unsere Grenzen zurückzubekommen" - ganz nach dem Motto "Great Britain First".