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Das Ende der Geschlossenheit

Von Simon Rosner und Vilja Schiretz

Politik

Die Uneinigkeit der SPÖ offenbarte sich auch in den Gremien. Keine Mehrheit für Stichwahl, Showdown auf dem Parteitag.


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In keiner Partei ist das Attribut der Geschlossenheit von derart zentraler Bedeutung wie in der SPÖ. Immerhin hatte sich diese im Jahr 1888 in Hainfeld bei einem "Einigungsparteitag" auch begründet, als sich radikale und gemäßigte Gruppierungen der damaligen SDAP zusammenrauften, um das große Ganze voranzubringen: den Kampf gegen den Kapitalismus und die Ausbeutung des Proletariats.

Rund 135 Jahre später geht es zwar, überspitzt formuliert, nur um die Frage, wessen Name auf dem Türschild des Chefbüros in der Löwelstraße prangt, doch dass sich die Einigkeit als zentraler Wert der SPÖ erhalten hat, zeigte sich auch in den vergangenen Wochen - und führte die Partei nach der Mitgliederbefragung endgültig in ein nur schwer auflösbares Dilemma. Denn statt einer Klärung der Frage, wer die Partei anführen soll und in welche Richtung, wurde die Befragung zur Feststellung einer Lagerbildung mit drei de facto gleich großen Gruppierungen. Dem nicht genug, lieferten sich am Dienstag dann auch die Parteigranden im Vorstand ein Match, das mit einem hauchdünnen Ergebnis endete. Mit 25:22 Stimmen wurde eine Stichwahl abgelehnt.

Die einzige Klarheit, die am Dienstag bestand, war jene, dass die fünfjährige Amtszeit von Pamela Rendi-Wagner in Bälde endet. Vor den Sitzungen der Gremien erklärte sie wie erwartet, dass sie nicht auf dem Parteitag kandidieren werde. Es werde aber eine geordnete Übergabe geben, und zwar auch bei der Leitung des Klubs. Ihre Vorgänger Werner Faymann und Christian Kern waren dagegen von einem auf den anderen Tag gegangen.

Den Delegierten des Parteitags obliegt es damit, am 3. Juni in Linz eine Entscheidung über die Nachfolge zu treffen. Das hätte das höchste Gremium zwar in jedem Fall tun müssen, denn nur dem Parteitag obliegt laut Statut diese Kompetenz, doch knapp die Hälfte der Vorstandsmitglieder drängten angesichts der fast paritätischen Verteilung der Stimmen in der Befragung auf eine Stichwahl zwischen Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, die nur durch zwei Prozentpunkte getrennt waren. Dazu hätte der Parteitag verschoben werden müssen.

25:22 Stimmen gegen eine Stichwahl

Was genau hinter den verschlossenen Türen von Präsidium und Vorstand diskutiert wurde - und vor allem wie! - wird wohl erst in den kommenden Tagen publik werden. Doch es dürfte heftig gewesen sein. Zwischenzeitlich soll Doskozil seinen Rückzug für den Fall einer Stichwahl angekündigt haben, was vermutlich in eine Parteispaltung gemündet hätte. Die APA berichtete von "nicht druckreifen Ausdrücken" von Funktionären beider Seiten.

Auch bei den bisherigen Sitzungen der Gremien, als in mehreren Etappen die Mitgliederbefragung und deren Procedere beschlossen wurde, waren die Debatten lebhaft. Doch am Ende stand entweder ein einstimmiges Ergebnis oder zumindest eines mit nur wenigen Gegenstimmen. Anders diesmal.

Kurz vor 17 Uhr wurde ohne zuvor erlangten Kompromiss abgestimmt und eine Stichwahl, wie sie in Deutschland die SPD bei ihrem Entscheid zum Parteivorsitz 2019 durchführte, abgelehnt. Babler, der von Pamela Rendi-Wagner als Gast eingeladen wurde, zeigte sich unzufrieden, bekräftigte aber, auf dem Parteitag anzutreten - was sowohl Doskozil als auch seine Unterstützer eher verhindern wollten und lieber ein Solo des burgenländischen Landeshauptmanns gesehen hätten. Das wird es nun auch nicht.

Bei einer Stichwahl wäre vermutlich Babler Favorit gewesen. Auch bei der SPD hatten sich damals übrigens die basisnahen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans von Platz zwei aus in der Stichwahl gegen Olaf Scholz durchgesetzt, der danach aber als Kanzlerkandidat aufgestellt wurde. Die SPÖ setzt auf eine Kampfabstimmung auf dem Parteitag.

Für Doskozil war dieser Ausgang "in Ordnung", wie er danach sagte. Er zeigte sich auch optimistisch, dort zu gewinnen. Die Mitglieder des Vorstandes folgten am Dienstag auch mehrheitlich ihm, aber eben nur knapp. Das Gros der Delegierten auf einem Parteitag, insgesamt 350 Genossen, werden von den Bezirksorganisationen der SPÖ entsendet. Allein 50 kommen von der Gewerkschaft, weitere 30 von den SPÖ Frauen. Die Landesorganisationen spielen mit zusammen 30 Delegierten direkt nur eine geringe Rolle, haben aber natürlich einen Hebel über die Bezirke. Spannend könnte Niederösterreich. Die Landespartei hat sich zwar auf die Seite Doskozils geschlagen, andererseits ist Babler in den Bezirken gut vernetzt, nicht nur in Traiskirchen. Selbst der Arbeiter-Sängerbund schickt einen Delegierten. Ob vielleicht dieser am Ende das Zünglein an der Waage ist?

Die Grenzen der Wiener Macht

Auch die Rolle Wiens wird noch interessant. Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig wäre es "logisch" gewesen, die Mitglieder erneut zu befragen, um den Prozess zu Ende bringen, umso mehr als es drei etwa gleich starke Gruppen gegeben habe. Doch die mächtige Wiener Landesgruppe setzte sich im Vorstand nicht durch - zum wiederholten Mal. Auch Christian Kern war nicht der Wunschkandidat Wiens.

Was am Dienstag jedenfalls offensichtlich wurde: Der Prozess, der Klarheit und Geschlossenheit hätte bringen sollen, brachte der SPÖ bisher nur weitere Zerwürfnisse und Gräben, die tiefer als die inhaltlichen Differenzen sind. Und ausgerechnet die SPÖ, der Einigkeit über alles geht, bekommt nun eine so seltene Kampfabstimmung, die für die Partei per se eine große Herausforderung darstellt. Historisch hat die SPÖ damit allerdings gar keine schlechten Erfahrungen gemacht. Im Jahr 1967 unterlag der anfängliche Favorit und Wunschkandidat der Gewerkschaft und Wiener SPÖ, Hans Czettel, in einer Kampfabstimmung dem Herausforderer - einem gewissen Bruno Kreisky.