Erstmals kam aus der SPÖ der Wunsch nach Differenzierung im Sozialsystem. Ein Fanal oder eine Flucht nach vorne?
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Wien. Als der Linzer Bürgermeister Klaus Luger am Dienstag die Idee für eine Mindestsicherung für Flüchtlinge präsentierte, kam postwendend Applaus - von der FPÖ. Sozialsprecher Herbert Kickl schickte per Aussendung Grüße nach Linz, er erkannte in den Plänen ein Einschwenken auf freiheitliche Linie.
In den Sozialen Netzwerken wurde der Vorstoß ähnlich rezipiert, als Quasi-Schwenk der SPÖ. Tatsächlich hat Luger die bisherige Linie der Partei konterkariert, wonach bei der Mindestsicherung nicht nach Herkunft differenziert werden dürfe. Doch genauso kam die Botschaft an: auf Twitter, bei den Genossen - und der FPÖ.
Das dürfte nicht beabsichtigt gewesen sein. Hinter dem Modell steht Peter Binder, Sozialsprecher der SPÖ im OÖ-Landtag. Er war Büroleiter des ehemaligen Landesrats Josef Ackerl, einem prononcierten Linken. Als politisches Ziel nennt Binder auf seiner Webseite unter anderem die "Verbesserung der sozialen Netze", und als genau das empfindet er auch seinen Plan: als Verbesserung der Mindestsicherung. Das Motiv des Absenders steht damit allerdings der Wahrnehmung des Empfängers diametral entgegen. Was ist da passiert?
Mag sein, dass Luger nicht der ideale Botschafter der Idee war und die Argumentation mit dem hohen Anteil von Flüchtlingen in der Mindestsicherung nach klassischer Neiddebatte klang. Aber erstens ist das eine Tatsache und zweitens sagte Luger auch: "Die Mindestsicherung ist ein Instrument, das Desintegration verhindern soll, sie ist aber überfordert damit, Integration zu ermöglichen. Und daraus ergibt sich auch der Misskredit, in den die Mindestsicherung unverschuldet geraten ist." Auch das ist eine Tatsache, wie die Wahl zeigte.
Der Vorstoß der Linzer SPÖ ist auch eine Flucht nach vorne. Durch Differenzierung soll die kritisierte Mindestsicherung als letztes soziales Sicherungsnetz gerettet werden und gleichzeitig ein eigenes Modell zur Absicherung für Asylberechtigte aufgebaut werden. Und das soll eher ein Sprungbrett sein.
Akzeptanz des Sozialstaates
ÖVP und FPÖ haben schon seit geraumer Zeit bei dieser und anderen Sozialleistungen, etwa der Familienbeihilfe, Differenzierungen nach Herkunft gefordert. Beide Parteien sind damit auch in den Wahlkampf gezogen und haben, wohl auch deshalb, eine Mehrheit erhalten. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wies stets darauf hin, dass für ihn in der ethnischen Differenzierung der Schlüssel zur nachhaltigen Absicherung des Sozialstaates liegt.
Generell sei die Akzeptanz des Sozialstaates nach wie vor groß, erklärt Karin Heitzmann von der WU Wien, Professorin am Institut für Sozialpolitik. Sie registriert allerdings auch eine geänderte Stimmungslage, besonders beim Thema Mindestsicherung. Das habe, sagt die Forscherin, vorrangig mit der Anzahl von Geflüchteten zu tun. "Aber es ist schon eine komplexere Geschichte". Die österreichische Gesellschaft wird heterogener, nicht nur entlang von Herkunft und Staatsbürgerschaft. "Es gibt mehr atypische Arbeitsverhältniss, eine wachsende Lohnspreizung und damit auch mehr Menschen, die weniger Versicherungsleistungen erhalten", sagt Heitzmann. Sie bekommen eine zu geringe Pension oder zu wenig Arbeitslosengeld, um sich erhalten zu können. Auch sie benötigen die Mindestsicherung.
Eine zunehmend fragmentierte Gesellschaft stellt den Solidaritätsgedanken jedenfalls vor Herausforderungen. Darauf deuten auch Studien hin, etwa jene der beiden Harvard-Ökonomen Edward Glaeser und Alberto Alesina, die zeigten, dass die Akzeptanz staatlicher Wohlfahrt in ethnisch segregierten Vierteln größer ist als in durchmischten. Das wissenschaftliche Bild ist aber nicht einheitlich, wie eine rezente deutsche Untersuchung offenbarte. Demnach stehen ethnische Diversität und die Höhe staatlicher Wohlfahrtsausgaben nur in einem geringen Zusammenhang.
Neuer Name für die Sozialhilfe
Dass es in Österreich derzeit ein Bedürfnis nach Differenzierungen bei Sozialleistungen gibt, ist aber durch das Wahlergebnis gut dokumentiert. Die Frage ist, ob dies eine Momentaufnahme aufgrund der vielen Flüchtlinge darstellt, oder ob sich dieses Bild mit zunehmender gesellschaftlicher Heterogenität verfestigt. Sollte dies der Fall sein, braucht es Ideen, um den Solidaritätsgedanken aufrecht zu erhalten. ÖVP, FPÖ und nun eben auch die Linzer SPÖ brechen dafür mit dem Prinzip, dass der Sozialstaat seine Leistungen und Pflichten nicht ethnisch definiert. Sie setzen auf Unterscheidung. Allerdings anders.
Das Konzept der vermutlichen Koalitionspartner sieht Schlechterstellungen für Ausländer vor, bei der Mindestsicherung ebenso wie bei der Familienbeihilfe. Die Linzer SPÖ will primär einfach ein anderes System, das besser auf die Asylberechtigten abgestimmt ist. Es soll einen eigenen Namen erhalten, nämlich "LIFE" ("Lebensunterhaltsdeckende Integrationshilfe") und Flüchtlinge gezielt fördern und fordern, damit sie sich möglichst schnell, aber eben auch nachhaltig selbst erhalten können. Laut Binder sei das auch kein Sparprogramm, es könne sogar mehr Kosten verursachen. "Aber das ist eine Investition, um soziale Probleme in der Zukunft zu verhindern." Manchmal, sagt Binder, könne man mehr erreichen, wenn man Einzelnen weniger Bargeld, dafür stattdessen eine Sachleistung gebe, also etwa eine Wohnung. Die Linzer SPÖ will deshalb auch die Wohngenossenschaften für Asylberechtigte öffnen.
Dass die Mindestsicherung nicht die passende Konstruktion für Flüchtlinge darstellt, findet auch Heitzmann von der WU. "Sie war nie als erstes System gedacht, sondern als letztes Netz, wenn alle Stricke reißen." Die Mindestsicherung ist als Übergangslösung konzipiert worden, deshalb ist sie auch eingebettet in ein Regime aus diversen Anforderungen, die Bezieher erfüllen und auch nachweisen müssen.
Auch für Martin Schenk von der Armutskonferenz ist die Mindestsicherung nicht das ideale Absicherungssystem für Flüchtlinge. Deshalb gebe es ab 2018 auch das verpflichtende Integrationsjahr, im Rahmen dessen die Kompetenzen festgestellt sowie Sprachkurse absolviert werden, sagt Schenk. Er verweist auch darauf, dass es bei der Mindestsicherung bereits heute Möglichkeiten gebe, um die Bezieher individueller zu betreuen - auch durch mehr Sachleistungen.
"Es ist ein geringerer Aufwand, nur Geld zu geben", sagt Heitzmann. Das bietet mehr Wahlfreiheiten für die Bezieher, und es muss auch nicht zu schlechteren Ergebnissen führen. Wenn aber familiäre Strukturen, Sprachkenntnisse und Qualifikationen fehlen, wie bei vielen Asylberechtigten, so Binder, seien Geldleistungen oft ungenügend. Deshalb sind bei seinem Modell Sachleistungen sowie eine fortlaufende Betreuung und Kontrolle vorgesehen.
Wo endet Differenzierung?
Abgesehen von der rechtlichen Machbarkeit stellt sich aber die Frage, welche langfristige Auswirkung eine ethnische Differenzierung im Sozialsystem hat. "Ich sehe hier schon die Büchse der Pandora", sagt Heitzmann. "Dann liegen nämlich weitere Differenzierungen auf der Hand". Wer sagt, dass nicht irgendwann Raucher mehr Sozialabgaben leisten sollen, weil sie statistisch öfter krank werden? Oder Personen, die jahrelang nur Teilzeit gearbeitet haben und deshalb eine zu geringe Pension bekommen, keine Aufstockung mehr erhalten? Von der Mindestsicherung mehr bekommen sollen, weil sie zu wenig eingezahlt haben? Möglichkeiten für Unterscheidungen gibt es viele.
Heitzmann hält Differenzierung nur beim Vollzug als sinnvoll, etwa in den Sozialämtern, nicht aber gesetzlich. "Wie sieht die beste Förderung aus? Wie erreiche ich eine bessere Effektivität?", fragt sie. "Es wäre sinnvoll, über Ziele zu diskutieren. Bei Investitionen kommen Erträge zwar erst übermorgen, aber langfristig können sie mir höhere Erträge bringen." Die Politik werde aber von Wahlzyklen so stark beeinflusst, dass eher mit heutigen Kosten und weniger mit morgigen Erträgen argumentiert werde. Bei der Debatte um Differenzierungen bei der Mindestsicherung im Wahlkampf war dies nachweislich der Fall. Es ging vorrangig um die Kosten, die zu hoch seien - nicht um die Art der Anreize und Hilfestellungen.