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Das Ende der großen Friedensträume

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Israels orientierungslose Linke dürfte bei den Wahlen am Dienstag chancenlos sein.


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Jerusalem. Wenn Israel am kommenden Dienstag ein neues Parlament wählt, dürfte es vielen im linken Lager so gehen wie dem ehemaligen israelischen Spitzenpolitiker Avraham Burg. "Ich habe bis heute keine politische Heimat. Ich bin zu einem politischen Nomaden geworden", sagt der frühere Sprecher des israelischen Parlaments und ehemalige Abgeordnete der Arbeitspartei. Dabei streifte sein Leben viele der Institutionen, die den israelischen Staat Jahrzehnte lang aufgebaut haben: Er diente als Fallschirmjäger im Militär, war Vorsitzender der Jüdischen Weltorganisation, der Einwanderungsorganisation, und vertrat kurze Zeit den zurückgetretenen Staatspräsidenten Ezer Weizman. Betrachtet man den politischen Werdegang Israels in den letzten zwei Jahrzehnten entlang von Burgs Biografie, so entsteht eine Geschichte von Frustration und Desillusionierung über den Aufstieg eines neuen jüdischen Nationalismus und den Tod des sogenannten "Friedenslagers", das er lange vertreten hat. "Kontrolle über Territorium ist wichtiger geworden als die Solidarität unter den Menschen. Die israelische Gesellschaft hat sich stark gewandelt", sagt Burg. "Das linke Lager läuft Gefahr, irrelevant zu werden."

Der rechte, nationalistische Parteien-Block - bestehend aus der gemeinsamen Liste von Benjamin Netanyahus Likud-Partei und Israel Beitenu, sowie den ultrarechten Parteien Jüdische Heimat und Stärke für Israel - würde es nach jüngsten Umfragewerten auf 46 von 120 Sitzen bringen. Gemeinsam mit den jüdisch-ultraorthodoxen Parteien könnte der rechte Block eine Koalition mit 63 Mandaten bilden. Auf der anderen Seite könnte der Mitte-Links Block immerhin 57 Mandate besetzen, wenn man die arabischen Parteien dazurechnet. Dennoch steigt das Bündnis Likud-Israel Beitenu trotz leichter Verluste mit 32 Sitzen immer noch mit fast doppelt so vielen Mandaten in den Ring, wie etwa die Arbeitspartei, die als zweitstärkste Kraft zurzeit bei 17 Abgeordneten liegt.

Kein Anreiz für den Wandel

"Wer nicht für uns stimmt, stimmt für Netanyahu", sagte die Spitzenkandidatin der Arbeitspartei, Shelly Yachimovich, bei einer Partei-Gala am Donnerstag. Die Ex-Journalistin hofft, noch einige der 15 Prozent unentschiedenen Wähler für sich zu gewinnen. Die Straßen in Tel Aviv waren am Freitag voll mit Aktivisten der Arbeitspartei. Vielen Wählern fehlt jedoch der Anreiz zum Wandel.

Der Rechtsruck in Israel ist auch eine Frage der Demografie, sagt die israelische Meinungsforscherin Tamar Hermann. "Die Geburtenraten von Rechts-Wählern steigen rasant im Vergleich zu Links-Wählern. Sie haben im Schnitt sechs Kinder, die andere Seite zwei", sagt Hermann, die eine Studie namens Peace-Index an der Universität Tel Aviv leitet. Laut ihrer jüngsten Umfrage definieren sich mittlerweile 55 Prozent aller Israelis als politisch rechts, 21 Prozent sehen sich in der Mitte und nur 17 Prozent links.

Um den israelischen Grabenkampf zwischen links und rechts zu verstehen, müssen die Begriffe jedoch erst erklärt werden, sagt sie. Mit Österreich oder einem anderen Land in Europa könne man das israelische links und rechts nämlich nicht vergleichen. Denn in Israel gehe es hierbei hauptsächlich um die Einstellung zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Dass sich die israelischen Wähler seit Jahren nach rechts bewegen, hängt auch mit den fehlgeschlagenen Friedensverhandlungen zusammen. Die heutige israelische Öffentlichkeit sei frustriert und desillusioniert, wenn es um die Chancen auf Frieden geht. Außerdem fordert der Status quo für die meisten Israelis eigentlich kaum Opfer, während die Palästinensergebiete weiterhin besetzt bleiben.

In Fragen der Wirtschaft sei die Unterscheidung von linker und rechter Politik in Israel hingegen kompliziert, meint Hermann. Denn auch rechte Parteien setzen auf Aspekte des Wohlfahrtsstaates und Sozialpolitik. Angesichts der guten Wirtschaftslage in Israel fehle vielen der Ansporn zur Abwahl von Ministerpräsident Netanyahu. "Wähler vergleichen eine Regierung, die großteils geliefert hat, mit einer Arbeitspartei, die vorerst nur versprechen kann", sagt Hermann. "Die Ausgangssituation ist für die Opposition also nicht leicht."

Nach derzeitigem Stand könne nur ein dramatisches Ereignis eine Neuorientierung im Wahlverhalten auslösen, glaubt die Meinungsforscherin. Zum Beispiel, wenn der ägyptische Präsident Mohammed Mursi plötzlich von einer Verbesserung der Beziehungen zu Israel sprechen würde. Dann hätte auch das linke "Friedenslager" wieder mehr Aufwind. Denn nach den großen Umbrüchen in der arabischen Welt und der instabilen Lage im Nahen Osten haben Sicherheit und Ungewissheit bei vielen den Geschmack auf Friedenspolitik verdrängt. So wird nach Ansicht von 67 Prozent der im jüngsten Peace-Index befragten Israelis der Friedensprozess auch nach den Wahlen still stehen, egal welche Partei gewinnt. Gleichzeitig stehen aber weiterhin mehr als die Hälfte aller Israelis hinter den international anerkannten Prinzipien einer Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts. "Israels Rechte ist rechts, aber großteils moderat rechts", sagt Hermann.

Das gilt jedoch nicht für die ultrarechte Partei Jüdische Heimat von Naftali Bennett, dessen Anhänger mehrheitlich die Annektierung des Westjordanlandes durch Israel unterstützten, was die 2,3 Millionen Palästinenser dort in autonome Ghettos einkesseln würde. Seiner Partei sagen Umfragen derzeit 14 Sitze im Parlament voraus.

Phänomen Bennett

Religiöse nationalistische Parteien wie Jüdische Heimat und Vereinigtes Thorah-Judentum wollen eine Art biblisches Großisrael schaffen, und das am besten ohne Palästinenser. Dass Bennett, ein Ex-Elite-Soldat und der frühere Vorsitzende des Siedler-Rats, seine Partei in fünf Wochen von fünf auf vierzehn Sitze katapultierte, ist vor allem durch die wachsende Zustimmung der 350.000 jüdischen Siedler im Westjordanland zu erklären. Die Wurzeln dafür liegen auch in der Geschichte. Als die israelische Armee 2005 auf Anordnung von Ariel Sharon die 17 israelischen Siedlungen im Gazastreifen evakuierte, setzte sich in den Köpfen vieler nationalreligiöser Siedler ein Trauma fest: Selbst der Mann, der als Vater der Siedlerbewegung gilt, war bereit gewesen, jüdische Siedler aus ihren Häusern zu vertreiben.

Das schlägt sich heute in der Unterstützung für Bennett nieder, der sich wie kein anderer als Schutzpatron der Siedler im Westjordanland profiliert hat. Müsste er als Soldat eine illegale Siedlung räumen, würde er den Befehl verweigern, meinte Bennett einmal. Diese Worte haben sich als geeignete Medizin gegen das Siedler-Trauma herausgestellt.

"Woher Bennetts Energie kommt? Er wurde zum Auffangbecken für traumatisierte Siedler", sagt Avraham Burg, dessen Vater Josef ein führender Politiker der Nationalreligiösen Partei Mafdal war, aus der sich Jüdische Heimat später entwickelt hat. "Damals war das noch eine sozialistische Partei", sagt Burg. Statt der Menschen in den Siedlungen wählten die Mitglieder der Kibbuzim die Partei. Erst in den späten 70er-Jahren sei die Idee von Solidarität langsam durch einen neuen nationalistischen Fanatismus verdrängt worden. Daraus speise sich auch die "Tragik israelischer Gegenwart", dass die Bevölkerung in beinahe allen Grundfragen gespalten ist. "Egal, worum es geht, die Antwort liegt immer zwischen 45 und 55 Prozent", sagt Burg.

Glaubt man Burg, dann hat für die israelische Linke bereits der Überlebenskampf begonnen. "Diese Wahlen laufen noch normal über die Bühne. Aber die Wahlen von 2016 haben schon begonnen", prophezeit er. Um zu überleben, müsse der linke moderate Block die Angst vor den großen Fragen überwinden. "Anstatt eines ethnisch definierten jüdischen Staates muss die Linke einen radikalen Wandel fordern", meint Burg. "Die linke Wählerschaft existiert weiterhin. Nur ihre Vertreter in der Politik vielleicht nicht mehr."