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Das Ende der Kulturrevolution

Von Oliver Ramme

Politik

Zu Anfang gab es ein Bad. Symbolträchtig, von Vitalität beseelt, durchschwamm der Große Vorsitzende Mao Tsetung die braunen Fluten des Jangtsekiang. Im Sommer 1966 war das. Wenige Monate vorher erteilte er seiner kommunistischen Partei die Kampfansage. In einem internen Schreiben behauptete er: Die Kommunistische Partei Chinas stecke voller Revisionisten, die den Staat jederzeit auf einen kapitalistischen Weg führen könnten.


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Mao wörtlich: "In der Partei gibt es giftiges Unkraut und die Chruschtschow-Typen schlafen unter unseren Betten". Maos Warnrufe wurden zunächst von Studenten in Peking wahrgenommen. Wenige Zeit später erfasste die Bewegung ganz China, vor allem die Jugend diente der Verbreitung.

Mao konnte getrost im Jangtsekiang baden gehen; die Große Proletarische Kulturrevolution war in vollem Gange: Kinder denunzierten ihre Eltern, Schüler schlugen ihre Lehrer, Arbeiter folterten ihre Funktionäre, Studenten trieben ihre Professoren in den Selbstmord.

Ein damaliger Schüler erinnert sich: "Über Jahrtausende hinweg war es Brauch in China, vor allem der jungen Generation, denen zu folgen, die die Macht hatten. Doch in dem Wirrenjahrzehnt hatten die jungen Leute die Freiheit, sich gegen Personen aufzulehnen, die in der Hierarchie über ihnen standen, wie z.B. ihre Lehrer."

Vier alte Plagen

Mao rief dazu auf, die vier alten Plagen auszumerzen. Dazu zählte er: Die alten Ideen, die alte Kultur, die alten Sitten und die alten Gebräuche. Die Kulturrevolution wandte sich aber nicht nur gegen Leib und Leben. Kulturdenkmäler und Tempel wurden geschliffen. Bücher, die nicht revolutionären Inhalts waren, wurden verbrannt. Shakespeares Romeo und Julia beispielsweise war unvereinbar mit der Ideologie des Proletariats. Mao bediente sich der Jugend und ließ den Mao-Kult wieder aufleben. Hunderttausende marschierten auf und huldigten dem Großen Vorsitzenden. In der Hand das kleine rote Buch der Mao-Zitate. Die Sprüche in der Fibel dienten fortan als Persilschein für Gewalttaten. Nach wenigen Wochen geriet alles außer Kontrolle.

Die Kulturrevolution, Jahre des millionenfachen Leids - der Schriftsteller Ba Jin fasste es so zusammen: "Es waren endlose und schmerzhafte Tage der Erniedrigung und der Qualen. So viele von uns waren verwirrt, fühlten sich betrogen, wussten nicht mehr zwischen gut und böse zu unterscheiden, lebten mit Verrat und täglichen Ungerechtigkeiten".

Die erschreckende Bilanz der Kulturrevolution: Offiziell wurde die Zahl der Todesopfer mit 34.000 angegeben. Andere glaubten, dass mehrere Millionen Menschen den Tod während der Kulturrevolution fanden.

Machtkampf

Warum zettelte Mao das Blutbad an, diese Revolution nach der Revolution? Es war weniger die Besorgnis Maos um die Parteiideologie denn der Machtkampf um die Alleinherrschaft in der Partei. Mit der sogenannten Viererbande, darunter auch Maos Frau Jiang Qing, ersann der Große Vorsitzende die Kulturrevolution. Mao war mit seinen sozialistischen Experimenten gescheitert und trieb das Riesenreich in den 50er und 60er Jahren in den Ruin. Hungersnöte waren an der Tagesordnung. Immer mehr Spitzenmitglieder in der Partei wagten es, ihn deshalb zu kritisieren. Darunter Staatspräsident Liu Shaoqi oder KP-Generalsekretär Deng Xiaoping.

Nur Mao konnte stoppen

Der machtbesessene Mao wollte nicht hinnehmen, dass andere über die Politik bestimmen. 12 der 23 Mitglieder des Politbüros fielen dem Terror zum Opfer und wurden entmachtet. Die Kulturrevolution glich einem Staatsstreich. Am Ende war es nur noch Mao selbst, der die sich seit drei Jahren verselbstständigende Kulturrevolution stoppen konnte.

Auf seinen Befehl hin löste die Volksarmee die marodierenden Roten Garden auf, die das Land an den Rand der Anarchie brachten. Der Beschluss während des neunten Parteitags der Kommunistischen Partei am 27. April 1969 markiert das formelle Ende der Kulturrevolution.

Relative Ruhe kehrte erst 1976 ein, also zehn Jahre nach Beginn der Kulturrevolution. 1976 war das Todesjahr des Großen Steuermanns Mao Tsetung. Nominell ging Mao als Sieger aus dem Machtkampf hervor, doch fasste bald der pragmatische Flügel wieder Fuß. Heute spricht die offizielle Darstellung von den zehn Jahren des Chaos. Andere gehen weiter und sagen, dass die Kulturrevolution eine einzige Katastrophe für die Chinesen war. Der Jahrestag der Kulturrevolution wird von der Regierung heute übergangen. Denn am Denkmal Mao will die Partei nicht rütteln.

Dieser Text wurde uns vom Deutschen Programm der "Deutschen Welle" zur Verfügung gestellt und ist dort Teil der Sendereihe "Rück-Blicke". Er kann auch unter www.dwelle.de (dort: "Kalenderblatt") nachgelesen und online gehört werden.