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Das Ende der Taubheit

Von Judith Belfkih und Eva Stanzl

Wissen

Der Nachweis der Gravitationswellen wird - beinahe erwartungsgemäß - mit dem Physik-Nobelpreis 2017 ausgezeichnet.


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Stockholm.Ein Meilenstein für die Kosmologie, eine späte Bestätigung von Einsteins Relativitätstheorie, ein Durchbruch in der Erforschung des Lebens und ein Ohr am Urknall: Dass es sich beim ersten Nachweis von Gravitationswellen im Jahr 2015 um eine wissenschaftliche Sensation handelte, darüber herrschte weit über Physiker-Kreise hinaus Einigkeit. Das Prädikat nobelpreiswürdig folgte so unmittelbar wie einstimmig auf die Publikation der Messungen Anfang 2016. Eine Einschätzung, die das Komitee in Stockholm nun bestätigte. Der Nobelpreis in Physik geht heuer zur Hälfte an Rainer Weiss und zur anderen Hälfte an Barry Barish und Kip Thorne. Die drei US-Forscher sind und waren maßgeblich am ersten Nachweis der Gravitationswellen mithilfe des Detektors am Observatorium LIGO an der US-Ostküste beteiligt - ein Forschungsprojekt mit mehr als 1000 Forschern, darunter auch österreichische Physiker.

Albert Einstein hatte Gravitationswellen 1916 als geheimnisvolle Kräuselung der Raumzeit vorausgesagt. Sie entstehen immer dann, wenn im Universum Massen beschleunigt werden und breiten sich wellenförmig in Lichtgeschwindigkeit aus. Vor allem kosmische Großereignisse wie Sternenexplosionen oder verschmelzende Schwarze Löcher sollten Gravitationswellen erzeugen, deren Auswirkungen auf der Erde messbar sind. Der Nachweis gestaltete sich jedoch aufwendig, denn eine solche Welle dehnt und staucht zwar den Raum - auf ein paar Kilometer allerdings nur um Bruchteile eines Protonendurchmessers. Entsprechend schwer ist es, eine derart minimale Abweichung aufzuzeichnen. Lange Zeit waren Messinstrumente daher zu schwach, um auf die feinen Signale überhaupt zu reagieren.

Signale von verschmelzenden Schwarzen Löchern

Das änderte sich vor gut zwei Jahren, genauer am 14. September 2015. Das Datum gilt als die Geburtsstunde der Gravitationswellen-Astronomie. Erstmals waren zu diesem Zeitpunkt jene Schwingungen gemessen worden, von denen sich Wissenschafter Zugang zum größten Teil des Universums erhofften und erhoffen: Um 5.51 Uhr US-Ostküstenzeit schlug der Detektor am LIGO (siehe Bild) an, dem Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory, das aus zwei nahezu identischen Detektoren in Hanford (US-Bundesstaat Washington) und 3000 Kilometer davon entfernt in Livingston (US-Bundesstaat Louisiana) besteht. In weiterer Folge stellte sich heraus, dass die Forscher die Signatur zweier verschmelzender Schwarzer Löcher in etwa 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung in einem Gebiet am Südhimmel in Richtung des Sternbilds Schwertfisch entdeckt hatten.

Jedes der beiden LIGO-Experimente verfügt über zwei vier Kilometer lange Röhren. Darin werden mit einem sogenannten Laserinterferometer exakt die Abstände zwischen Spiegeln überwacht. Dazu wird ein Laserstrahl von einem Strahlungsteiler in zwei Teilstrahlen aufgespalten. Diese werden dann in verschiedene Richtungen zu den meist mehrere Kilometer entfernten Spiegeln geschickt. Die Spiegel reflektieren das Licht schließlich wieder zurück zum Strahlteiler. Dort überlagern sich die Lichtwellen, wobei durch Abschwächung und Verstärkung der Lichtwellen ein bestimmtes Muster, ein sogenanntes Interferenzmuster, entsteht. Dieses ist sehr empfindlich gegenüber winzigsten Änderungen der Spiegelabstände. Trifft also eine Gravitationswelle auf einen solchen Detektor, verändert das die Abstände geringfügig und führt damit zu einer beobachtbaren Veränderung des Signals.

Der erste Nachweis 2015 markiert den Anfang einer neuen Dimension der Astrophysik. Vergangene Woche vermeldeten Forscher die vierte Gravitationswellen-Messung und nutzten dazu erstmals auch einen europäischen Detektor.

Was die Existenz der Gravitationswellen für die Menschheit bedeutet, erläutert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" Karsten Danzmann, Direktor des Max Planck Instituts für Gravitationsphysik der Leibnitz Universität in Hannover: "Wir haben tausende Jahre lang den Nachthimmel angeschaut und immer bessere Augen in Form von Teleskopen gebaut. Je nachdem, ob wir mit sichtbarem, Röntgen- oder Infrarotlicht schauen, sieht das Universum ganz anders aus. Was wir aber noch nie getan hatten, ist es zu hören. Uns fehlte ein Sinnesorgan. Das ist wichtig, denn mehr als 99 Prozent des Universums sind dunkel und werden nie mit elektromagnetischer Strahlung beobachtbar sein. Wir sind taub durch ein dunkles und sehr lautes Universum gelaufen wie durch den Urwald bei Nacht. Mit Gravitationswellen wird die dunkle Seite zugänglich."

Mit Gravitationswellen auf der Spur der Dunklen Materie

Derzeit weisen Wissenschafter mithilfe der Gravitationswellen Schwarze Löcher nach, "von denen niemand wusste, dass sie existieren", erläutert Danzmann den Stand der Forschung. Dabei sei man noch nicht einmal bei der höchsten Empfindlichkeitsstufe der Instrumente angelangt. Die Literatur sei im Augenblick voll mit Spekulationen darüber, was dieser Nachweis bedeutet: "Herkömmlichen Theorien zufolge kollabiert ein Stern, der so schwer ist, dass er ein Schwarzes Loch mit 40 Sonnenmassen erzeugen könnte, nicht am Ende seines Lebens. Sondern er explodiert und bläst seine gesamte Materie hinaus ins Weltall. Alle Schwarzen Löcher, die wir bisher über Röntgenstrahlung indirekt gefunden haben, sind leichter als 15 Sonnenmassen. Alles was wir aber nun finden, hat dutzende Sonnenmassen und die Konsequenz ist faszinierend." Es ist vor allem die Dunkle Materie, der Forscher mithilfe der Gravitationswellen auf die Spur kommen wollen, einem der größten Rätsel der Kosmologie: "25 Prozent des Universums bestehen aus Dunkler Materie. Wir haben keine Ahnung, was das ist, es entzieht sich der Detektion. Wenn wir aber weiterhin so viele Schwarze Löcher finden, könnte es sein, dass die Dunkle Materie genau daraus besteht. Sie müsste dann primordialen Ursprungs sein, also ganz am Anfang des Universums entstanden sein."

Der Nachweis der Gravitationswellen ist nicht nur die Krönung von 100 Jahren Forschung, er markiert vielmehr den Beginn einer neuen Ära der Astrophysik. Geht es nach Plänen der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, dann wird ab 2034 auch außerhalb der Erde in großem Maßstab mit der Laser Interferometer Space Antenna (LISA) nach Gravitationswellen gesucht. Mit der LISA-Pathfinder-Mission wurde erst kürzlich ein Testlauf erfolgreich abgeschlossen. Die Mission dient der Vorbereitung auf eLISA (evolved LISA). 2034 sollen dann die drei eLISA-Satelliten in Position gebracht werden, sodass sie im Abstand von einer Million Kilometer zueinander ein Dreieck bilden, um noch präziser lauschen zu können.

Ob das Universum je all seine Geheimnisse preisgeben wird, das wird wohl ein ewiges Rätsel der Menschheit bleiben. Mit dem Nachweis der Gravitationswellen hat die Menschheit jedoch ein neues Sinnesorgan dafür zur Verfügung, um die Fragen danach immer präziser zu formulieren.