Seit sich Europa nicht mehr beliebig verschulden kann, funktioniert die traditionelle Methode der Wählerbestechung nicht mehr.
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Europas Wähler sind zornig, sehr zornig sogar. Von der substantiellen Ausnahme Deutschlands abgesehen werden im Jahr 2017 rundum bisher staatstragende sozialdemokratische und christdemokratische Parteien und deren Exponenten bestraft, dass es nur so kracht. Das war bei der hiesigen Präsidentenwahl so, vor ein paar Wochen in Holland, in gewisser Weise beim Brexit-Votum und nun auch in Frankreich. Denn dass Emmanuel Macron ein vergleichsweise moderates, ausgewogenes Programm vorgelegt hat, ändert nichts daran, dass seine Wahl vor allem ein gewaltiges Misstrauensvotum jener sozialistischen und jener konservativen Partei gegenüber war, die Frankreich bisher regiert haben.
Was aber macht die Wähler in so unterschiedlichen Regionen Europas so wütend, dass sie ein jahrzehntelang stabiles politisches System nun mit der Abrissbirne demolieren? So sehr lokale Faktoren, Personen und Probleme dabei ein Rolle spielen dürften, so sehr dürfte eine Art ökonomischer Klimawandel hauptverantwortlich für den großen Zorn sein: die zunehmende Unfähigkeit des Staates, den Wohlstand - und damit die gute Laune - seiner Bürger durch die Aufnahme immer neuer Schuldenberge sicherzustellen. "Das Ende der schuldenfinanzierten Wohlfahrtsillusion" hat präzise der deutsche Makroökonom Daniel Stelter dieses Phänomen jüngst in einem Essay genannt.
Begonnen hat diese "schuldenfinanzierte Wohlfahrtsillusion" in den 1970er Jahren, seither wuchsen die staatlichen Schuldenberge in den meisten europäischen Staaten zu furchterregenden Gebirgen an. Teilweise wurden damit zwar Investitionen finanziert, der größere Teil jedoch floss in einen Konsum, der reell nicht zu finanzieren gewesen wäre. Das daraus resultierende Scheinwachstum hielt die Wähler bei Laune und sicherte damit den politischen Eliten den Machterhalt.
Doch spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise, dem nur knapp verhinderten Staatsbankrott Griechenlands, Portugals, Spaniens und Irlands ist klar sichtbar gewesen, dass schuldenbasierter Wohlstand irgendwann einmal nicht mehr geht - weil die Gläubiger einfach keine neuen Kredite mehr rausrücken wollen.
Natürlich weiß niemand genau zu sagen, wo diese Grenze liegt. Aber dass es sie gibt, muss seit den Tagen der Euro-Krise auch der unbedarfteste Zeitgenosse verstehen. Und deshalb ist es für die Regierungen in ganz Europa nicht mehr so leicht wie früher, die Wähler mit Bestechungsgeschenken, deren Kosten an die Kinder dieser Wähler weitergereicht werden, bei Laune zu halten. Stattdessen ist Geld wieder mehr als früher zu einer relativ knappen Ressource geworden, die nicht unbegrenzt für den Stimmenkauf zur Verfügung steht.
Dummerweise ist dieser Wähler aber in den vergangenen Jahrzehnten wie der berühmte Pawlowsche Hund darauf konditioniert worden, nur dann seine Stimme zu apportieren, wenn er vorher ein finanzielles Leckerli bekommen hat. Weil die aber knapp geworden sind, ist es mit der guten Laune vorbei. Kein Wunder, dass der Wähler so zornig wird.