Unser politisches System steht auf einem Prüfstand, auf den es nicht vorbereitet ist. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gibt es in Österreich keine echte Krisenkommunikation.
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In der öffentlichen Diskussion ist die Klimakrise angesichts der drohenden Versorgungsengpässe bei Gas (und auch Öl) in den Hintergrund getreten - obwohl einige Politikerinnen und Politiker in ihren Sonntagsreden immer wieder sagen, dass es sich bei der Klimakrise um die existenzielle Krise unseres Planeten schlechthin handle. Über die Corona-Krise, deren Folgen bei weitem noch nicht überwunden sind (trotz der euphorischen Meldungen über phänomenale BIP-Wachstumsraten bis vor fünf Monaten), über die Krise des Wirtschaftssystems (bis vor kurzem noch in vieler Munde), über die systemische Verarmung immer breiterer Gesellschaftsschichten auch in den reichsten Ländern der Welt redet praktisch niemand mehr angesichts der Verheerungen, die durch den russischen Überfall auf die Ukraine angerichtet worden sind.
Unser politisches System steht auf einem Prüfstand, auf den es nicht vorbereitet ist. Die Politik, die sich auch jetzt noch in der Illusion wiegt, "niemandem wehtun zu müssen", durch massive Geldströme "alles, was nötig ist", lösen zu können, wird mit den Herausforderungen kurz- und langfristiger Art, mit den nötigen Prioritätensetzungen, mit den notwendigen "Zumutungen" an Bevölkerung und Unternehmen nicht fertig. Das gilt in besonderem Maße für Österreich.
Auf die Wirtschafts- und Finanzkrise nach 2008, auf die Verwerfungen im Wirtschaftssystem, wo seit Jahrzehnten Lohnquote und Investitionsquote sinken, die Unternehmensgewinne bei Privaten akkumulieren und in Realitäten und Finanzaktivitäten statt in Realinvestitionen gesteckt werden, auf die Klima- und Biodiversitätskrise und jetzt auf die Gas- und Inflationskrise hat die Regierung immer wieder mit Beschwichtigungen geantwortet, vorgeblich "um die Bevölkerung nicht zu verunsichern".
Allgemeines Krisenbewusstsein wurde nur bei Corona erzeugt
Einzig bei der Corona-Krise, die ja für viele Menschen zur tatsächlichen persönlichen Bedrohung geworden ist, wurde so etwas wie ein allgemeines Krisenbewusstsein erzeugt, aber dilettantisch umgesetzt, wodurch die Impfquote bei mageren weniger als drei Viertel liegt - und hier wurde mit gigantischen Geldtransfers ("Wir sind Europameister!") weitgehend undifferenziert der Eindruck erzeugt, mit Geld sei alles zu lösen: Werch ein Illtum, um mit Ernst Jandl zu sprechen.
Wurde dieses Geld tatsächlich dorthin gelenkt, wo es notwendig gewesen wäre? Nein, wie die späten Analysen zeigen. Wurden mit diesem Geld gleichzeitig Anreize für klimafreundliches Verhalten gesetzt? Nein, es wurden den Unternehmen Hilfen, Umsatzersatze, Fixkostenzuschüsse, Kurzarbeitsgeld gegeben, ohne ihnen aufzuerlegen, diese Zeit entsprechend zu nutzen und Transformationspläne für die Klimakrise zu erstellen.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern gibt es in Österreich keine echte Krisenkommunikation, es werden von der Politik weder alternative Lösungsansätze diskutiert noch deutliche Signale an die Bevölkerung und Unternehmen gegeben, dass wir an einer "Zeitenwende" (Zitat Deutschlands Kanzler Olaf Scholz) stehen und alle darauf reagieren müssen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Weil Gas knapp ist und Russland als früherer "verlässlicher Lieferant" ausfällt, werden wieder Kohlekraftwerke (für die Klimakrise am schädlichsten) in Betrieb genommen - ohne dass es dabei Zeitlimits gibt; es werden Atom- und Gaskraftwerke als "klimafreundlich" in die sogenannte EU-Taxonomie aufgenommen, wodurch auch Gelder des EU-Wiederaufbaufonds und andere billigere Gelder in diese Bereiche fließen können. Allenthalben wird über eine Deckelung der Gas- und Ölpreise gesprochen, Österreich hat das Inkrafttreten der CO2-Bepreisung einmal um drei Monate (vorläufig?) ausgesetzt. Wirtschaftskreise plädieren international bereits dafür, die heimischen Klimaziele zu verschieben und/oder aufzuweichen. Damit setzen sie ihren unser aller Existenz bedrohenden Lobbyismus im Windschatten der Ukraine-Krise fort.
Krisen verstärken einander und sind miteinander verbunden
Tatsache ist: Wir alle sind von einer Vielzahl massiver Krisen bedroht. Einige sind kurzfristiger, die meisten von langfristiger, Systemwechsel erfordernder Art. Diese Krisen verstärken einander und sind miteinander verbunden. Kurzfristige Placebo-Lösungen helfen nicht - sie kosten Geld, wiegen die Bevölkerung in falscher Sicherheit und werden uns später noch massiver treffen. Es muss endlich eine offene, den Krisen angemessene Diskussion über mögliche Folgen, alternative Lösungsansätze, Trade-offs geben. Wissenschaft, Bevölkerung, Sozialpartner und Politik aller Ebenen sind darin einzubinden.
Es muss uns klar werden: Weitermachen wie bisher geht nicht, unser gewohnter Wohlstand (so ungleich verteilt er ist) wird uns nicht erhalten bleiben. Was wir teurer importieren, senkt das Nationalprodukt. Kompensationsmaßnahmen der öffentlichen Hände sind notwendig für jene Bevölkerungsschichten, die sich ein "normales" Leben nicht mehr leisten können. Anreizwirkungen durch die hohen Preise dürfen nicht durch Kompensationszahlungen konterkariert werden, sondern müssen durch allgemeine Hilfszahlungen ergänzt werden (also kein Preisdeckel, nicht noch mehr Öko-Boni, keine weiteren Pendlerhilfen, sondern allgemeine Ausgleichszahlungen à la "Helikoptergeld", teilweise Risikoübernahmen von "stranded assets" durch die öffentliche Hand, Durchforstung der Hemmnisse für erneuerbare Energieanlagen zur Auslösung eines massiven Investitionssturms und vieles andere mehr).
Klare Krisenkommunikation als nationale Anstrengung
Vor allem aber brauchen wir - ganz besonders in einem autoritätsgläubigen Land wie Österreich - die richtigen Krisensignale seitens der Bundes- und Landesregierungen: Diese wirken sowohl symbolisch als auch durch Vorangehen mit gutem Beispiel der Regierung. Wie die Vorschläge des Klimarates zeigen, ist die Bevölkerung zu viel mehr Zugeständnissen bereit, wenn es klare Signale gibt und das Gefühl erzeugt wird, dass wirklich alle (je nach ihrer Leistungsfähigkeit) an den Problemlösungen mitarbeiten.
Die Zeit für regionalpolitisch oder wahlpolitisch dominierte Vorschläge, ohne deren Bedeckung zu diskutieren, ist vorbei. Alle sind - gemeinsam - in der Pflicht. Die multiplen Krisen erfordern ein Überspringen althergebrachter Gewohnheiten: Wie schon angesichts der Corona-Krise vom Autor dieser Zeilen vorgeschlagen, ist es Zeit für eine gemeinsame nationale Verantwortungsübernahme (mit allen Kräften, die dazu willens sind).