Einsamkeit betrifft alle Altersschichten und ist zu einem guten Teil die negative Auswirkung einer digitalisierten Gesellschaft. Eine Herausforderung für unsere Zivilisation.
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Es ist eine der größten Herausforderungen der Zivilisation. Zudem eine wesentliche negative Auswirkung einer digitalisierten Gesellschaft. Oder auch, wie in England nun festgestellt wurde, die traurige Realität des modernen Lebens. Dennoch scheint es so, als würde das Problem viel zu wenig adressiert, nach Lösungsansätzen gesucht oder in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Ja, manche Menschen beklagen sogar, dass es zu wenig davon gibt und dass es doch eigentlich gesund und verständlich sei, es zu wollen. Die Rede ist von Einsamkeit.
"Ich war die letzten Jahre eigentlich nicht draußen. Früher hatte ich eine Freundin, die hat eingekauft, aber seit dem Ende der Beziehung mache ich eigentlich nichts mehr." Thomas ist das erste Mal in dieser Runde der Gruppentherapie. Einer von zehn Menschen, deren Ziel es ist, wieder ein soziales Leben führen zu können. Interessant ist dabei, dass sich einige Voraussetzungen für die Einsamkeit der Teilnehmer nicht nur überschneiden, sondern gleichen: Verlust von Menschen oder Jobs, finanzielle Probleme oder gesundheitliche Einschränkungen. Einsamkeit ist somit eine "Nebenwirkung" von Armut und Digitalisierung.
"Alleinsein war früher nie ein Problem, im Gegenteil. Ich wollte alleine sein. Der Stress in der Arbeit und mit Partner und Kindern. Einfach abschalten, erholen und alleine sein", so Patrizia, die nach einem Burnout nicht mehr "zurück in die Spur fand", wie sie es nennt. "Sie sollten sich immer vor Augen halten, dass es ein wesentlicher Unterschied ist, ob man das Alleinsein freiwillig wählt oder aber unter Einsamkeit leidet. Wer wünscht sich nicht einen Moment der Ruhe oder sogar eine Auszeit fern des Alltags und der Probleme. Aber wer will wirklich sein Leben ohne Menschen verbringen?" Werner leitet die Gruppe und wird, wie alle hier, mit dem Vornamen angeredet. Namen, Rollenbilder, Titel, Beruf, Alter, Geschlecht oder Religion sind hier kein Thema. Denn Einsamkeit kennt auch keine Unterschiede und Grenzen. Apropos Grenzen. Gerade im Bereich der Integration zeigt sich Einsamkeit am deutlichsten. Wer aufgrund sprachlicher Barrieren, körperlicher Einschränkungen oder finanzieller Möglichkeiten nicht am öffentlichen Leben teilnehmen kann, verschwindet. Fühlt sich wert- und sinnlos. Daher sind auch Erzählungen über Suizidversuche oder zumindest das Denken darüber an der Tagesordnung.
Aus dem Teufelskreis der Einsamkeit ausbrechen
Wie aber nun aus dem Teufelskreis der Einsamkeit und Isolation ausbrechen? Es finden sich so viele Rezepte gegen die Einsamkeit wie Diäten, und dennoch scheint es auch hier genauso zu sein wie mit dem Gewichtsverlust. In der Theorie klingt es doch auch wirklich sehr einfach. "Lerne neue Leute kennen! Suche dir ein Hobby! Sei offen und strahle Ruhe und Zufriedenheit aus. Rede nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Lies Bücher und fange an zu studieren oder zumindest einen Kurs an der Volkshochschule zu belegen." Alles sehr einfach – auf den ersten Blick.
Streicht man nun alle Ratschläge, die einen gewissen Bedarf an Geldmitteln voraussetzen – oft wird zum Beispiel empfohlen, man solle einen Urlaub machen: Wie denn, wenn man nicht einmal seine Miete zahlen kann? –, bleibt deutlich weniger übrig. Wer dann nicht einmal einen Beruf ausübt oder ausüben kann, hat wahrlich wenig Möglichkeiten, sein Sozialleben wieder in den Griff zu bekommen. Die wichtigste Regel lautet wohl hinauszugehen. In der Stadt – einem Habitat, in dem überdurchschnittlich viele Menschen unter Einsamkeit leiden – bieten sich, zumindest in den wärmeren Monaten, Parks an. Wer darauf achtet, dem wird sicher schon aufgefallen sein, dass in den Sommermonaten die Parkbänke gut besucht sind: Einfach dazusetzen und mitreden. Am Land sind die Klassiker der Vergemeinschaftlichung, in der heutigen Zeit gerne zu "Communitybuilding" versprachlicht, Vereine, soziale oder kirchliche Organisationen.
Der Psychoanalytiker Alfred Adler meinte, dass die Einsamkeit zu überwinden und so Glück zu finden, nicht möglich ist, wenn man nur darauf aus ist, vom anderen etwas zu erhalten, so etwa zum Beispiel Liebe und Zuneigung. Er meinte: "Versuche dir jeden Tag zu überlegen, wie du jemandem eine Freude machen kannst." Und damit ist nun nicht gemeint, dass man sich mit Geschenken "Freunde" kaufen soll. Es geht vielmehr darum, sich zu öffnen, seinen Horizont zu erweitern. Gerade karitative Tätigkeiten können nicht nur sinnstiftend sein, sondern auch gegen die Einsamkeit helfen. Allerdings sollte man hier sehr gut auf seine Grenzen aufpassen. Ohne Begleitung und die entsprechende Supervision ist es nicht einfach.
Menschen, denen es schwerer fällt, zwischenmenschliche Kontakte von Angesicht zu Angesicht und ohne Hilfsmittel zu knüpfen, können Sport, Haustiere oder digitale Tools helfen. Auch wenn es immer wieder heißt, dass Katzen und Hunde die besseren Wegbegleiter und Freunde sein sollen, und selbst in Hinblick darauf, dass dies für so manche menschliche Zeitgenossen auch stimmen könnte, ist dies nicht bewiesen und sollte daher nicht unbedingt die Lösung auf Lebenszeit sein. Aber natürlich helfen Tiere – gerade im Alter oder bei Problemen, die Wohnung zu verlassen.
Gesellschaftspolitische Ansätze
Wie relevant das Problem ist, und vor allem, dass es ein Problem für die Gesellschaft darstellt, hat man in Großbritannien nicht nur erkannt, sondern auch politisch dingfest gemacht. In Großbritannien gibt es jetzt einen Regierungsposten gegen Einsamkeit. Diesen Aufgabenbereich übernahm die Sportstaatssekretärin Tracey Crouch (sie ist nach den Diskussionen um den Brexit-Vertrag kürzlich von ihren Ämtern zurückgetreten). Zum Zeitpunkt ihrer Ernennung meinte die britische Premierministerin Theresa May, dass Einsamkeit die traurige Realität des modernen Lebens sei und Crouch parteiübergreifend Projekte initiieren solle. Nach Regierungsangaben fühlen sich mehr als neun Millionen Menschen in Großbritannien einsam. Etwa 200.000 Senioren hätten höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten. Einsamkeit kann Studien zufolge auch die Lebenserwartung reduzieren.
Eine dieser Studien, vom University College in London, belegt, dass ältere Mensche, die vereinsamt und von ihrem sozialen Umfeld isoliert sind, früher sterben. Die Untersuchung an 6500 Männern und Frauen zeigt auch, dass soziale Isolierung häufiger in Bevölkerungsschichten mit weniger Bildung und Wohlstand vorkommt. Die Langzeitstudie begann in den Jahren 2004 und 2005 mit Menschen im Alter von über 52 Jahren. Ihre Lebensläufe verfolgten die Forscher akribisch bis März 2012.
Den Grad von Einsamkeit und Isolation maßen die Wissenschafter für ihre Untersuchung anhand einer international gültigen Skala. Von den 918 Männern und Frauen, die bis 2012 bereits gestorben waren, gehörten 21,9 Prozent in die Gruppe mit dem höchsten Isolationsfaktor.
Nur 12,3 Prozent der Todesfälle kamen in der Gruppe mit dem niedrigsten Isolationsfaktor vor. 19,2 Prozent der Verstorbenen waren auch der Gruppe mit dem höchsten Einsamkeitsfaktor zuzurechnen, 13 Prozent gehörten zur Gruppe mit dem niedrigsten. Die Untersuchung zeigte aber auch, dass besonders die Vereinsamung im Alter eine Häufung bei schweren Gesundheitsproblemen, zum Beispiel Herzerkrankungen, chronischen Lungenkrankheiten und Arthritis begünstigen könne, schreiben die Forscher. Bei sozialer Isolation sei diese Verbindung nicht so stark nachweisbar. Dies deute darauf hin, dass beide Effekte getrennt voneinander betrachtet werden müssten. Die Wissenschafter hoffen, aus den Ergebnissen künftig Rückschlüsse für die Altenhilfe ziehen zu können.
In China wiederum setzt man auf eine digitale Problemlösung eines auch durch verstärkte Digitalisierung auftretenden Problems. Ein Roboter in der Größe eines Fünfjährigen soll als "Babysitter" für einsame Kinder eingesetzt werden. "iPal", so sein Name, spricht Englisch und Chinesisch, gibt Mathematikunterricht und erzählt Witze, kommuniziert wird über einen Tabletbildschirm in seiner Brust, und zudem bietet er auch eine Überwachungsfunktion. Chinas junge, berufstätige Eltern stehen als Folge der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik oft alleine da bei der Betreuung und Pflege ihrer kleinen Kinder oder gebrechlichen Eltern – Großfamilien gibt es immer weniger. Erst seit 2016 dürfen chinesische Eltern wieder zwei Kinder haben.
Gleichzeitig bedient die chinesische Roboterbranche die Bedürfnisse der wachsenden Zahl von Senioren, deren Kinder aus dem Haus sind, die aber dennoch lieber zuhause alt werden als in einem Pflegeheim. Auch kann die Zahl der Heime mit dem Tempo der Überalterung in China nicht Schritt halten. Die Firma AvatarMind will daher bald einen weiteren Roboter auf den Markt bringen, der sich mit einsamen Senioren unterhält, sie an die Einnahme ihrer Medikamente erinnert und ärztliche Hilfe holt, wenn sie stürzen.
"Chinesen sind sehr empfänglich für neue Technologien", kommentiert Hattie He, Experte beim Beratungsunternehmen Canalys. "Unternehmen fördern (in China) gerne Sprachassistenten, und die Verbraucher sind mit dem Konzept bereits vertraut."
Dass die Idylle einer Großfamilie am Land, bei der sich jeder liebevoll um jeden kümmern, eine Illusion war und ist, scheint klar, dennoch träumen viele Menschen wieder von einem sozialen Auffangnetz, das zudem relativ wenig kostet. Die Realität mit immer längerer Berufstätigkeit, aber auch immer höherer Lebenserwartung zeigt allerdings, dass es anderer Lösungen und Ansätze bedarf. So finden sich in den Städten zum Beispiel auch immer mehr Generationenhäuser, die von Kindheit bis Seniorenalter positives Zusammenleben bieten und somit auch der Einsamkeit Einhalt gebieten sollen. Gerade das Zwischenmenschliche und die Bedürfnisse der Menschen scheinen in vielen Diskussionen um den technologischen Fortschritt allzu lange vernachlässigt zu werden. Ein Umstand, den es rasch zu ändern gilt.