Stadt Wien kündigt Vertrag - Familie des Bio-Pioniers Alfred Polzer im 22. Bezirk muss Grundstück räumen.
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Wien. Eigentlich ein Idyll am Wiener Stadtrand. Doch seit Kurzem weht ein rauher Wind am Biohof Polzer. Denn die Gemeinde Wien hat den dort wohnhaften Nachfahren des Bio-Pioniers Alfred Polzer im Jänner den Nutzungsvertrag gekündigt. Die Familie soll nun bis Mitte April das Gut räumen. Diese wehrt sich und erhebt Einspruch.
Zur Vorgeschichte: Alfred Polzer erlangte in den 1970er Jahren Berühmtheit als Vorreiter des biologischen Landbaus in Wien. Er fand dazu eher zufällig, fast schon tragisch: Im Zuge der Einbringung von Insektiziden in seinem Glashaus erlitt der damals 34-jährige Bauer eine Vergiftung. Er brach aufgrund des mangelhaften Schutzes durch seinen Atemfilter im Spritzmittel-Nebel zusammen. Polzer überlebte nur knapp. Der Unfall prägte ihn aber nachhaltig: Er beschloss Gemüseanbau gänzlich ohne Spritzmittel zu versuchen und war damit einer der ersten in Österreich.
Adresse Alfred-Polzer-Weg
Im Jahr 2014 beschloss sogar der Gemeinderat, dass am Rande der Lobau, im 22. Bezirk, eine kleine Straße dem Wiener Bio-Pionier gewidmet sein soll. Seitdem haben einige der Einfamilienhäuser nahe dem Schillwasser die Adresse Alfred-Polzer-Weg.
"Seit den fünfziger Jahren haben die Großeltern hier gelebt" erzählt Polzers Enkelsohn, Günther Puk Junior, an diesem sonnigen Nachmittag in der Stube des Wohnhauses. "Der Opa war dann aber verschuldet und hat im besten Gewissen mit der Gemeinde etwas ausverhandelt, was uns jetzt leider auf den Kopf fällt."
Alfred Polzer, mittlerweile verstorben, hat den Hof der Gemeinde Wien überlassen. Er wurde abgelöst und hat dafür einen Prekariumsvertrag von der Stadt Wien erhalten. Das bedeutet, dass er den Hof nutzen darf, die Stadt aber das Nutzungsrecht entziehen kann. Ein Prekarium kann vom Eigentümer, also der Gemeinde Wien, jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden.
Bis heute belebt die Familie Puk den idyllischen, mehrere Hektar umfassenden Hof - bis vor Kurzem noch in vier Generationen. "Weil niemand weiß, wie’s weitergeht, haben wir schnell für die Oma einen Heimplatz besorgen müssen." Noch wohnen die Tochter der Polzers, Gabi, ihr Ehemann Günther Senior, deren Sohn, Ehefrau Bianca und Enkelkinder das Haus der Großeltern. Erstere treiben Landwirtschaft und verkaufen im Hofladen selbst Angebautes und andere lokale Produkte. Gleichzeitig haben sich auf ungenutzten Flächen im Umfeld des Hofs eine Vielzahl von gemeinschaftlich arbeitenden Landwirtschaftsinitiativen angesiedelt.
Mehr als hundert Menschen betreiben hier Gemeinschaftsgärten und -felder, wo sie selbstverwaltet und biologisch Gemüse und Obst anbauen. Initiativen mit klingenden Namen wie LoBauerInnen, das Barangay Center, Solidarische Landwirtschaft (Solila), Operation Grüner Daumen, Natur, Leben und Landwirtschaft (Nalela) und Permablüh bewirtschaften seit Jahren die an den Biohof Polzer angrenzende Flächen. Daneben betreut der Verein Lebenskoppel Pferde und Esel. Auch Bianca Puk arbeitet am Hof mit Pferden. Was ihr Ehemann, Günther Puk Junior, mit auf "den Kopf fallen" meint erklärt er mit gedrückter Stimme: "Mitte Jänner hat die Gemeinde Wien dann unseren Nutzungsvertrag widerrufen. Mitte April sollen wir den Hof räumen," erzählt der Vater zweier Kinder.
"Das hier ist unser Leben"
Was solch eine Kündigung für die Familie bedeutet, fasst Puk zusammen: "Das hier ist unser Leben. Es ist nicht nur unsere Arbeit oder ein Projekt auf Zeit, wie für andere vielleicht." Die "Anderen", auf die Günther Junior anspielt, sind dann wohl die Neo-Bauern der Kleinen Stadtfarm, einem Dachverband einiger Initiativen, die in Zukunft Alleinmieter der Fläche sein sollen.
Nicolai Ritter, Vorstandsmitglied der Kleinen Stadtfarm und Initiator zahlreicher Projekte, wie einer Food-Coop in der Lobau oder Gemeinschaftsgärten in Mariahilf, erklärt: "Wir pachten schon seit 2013 brachliegende Flächen von der Stadt Wien. Parallel dazu entstand bei der Stadt Wien das Bedürfnis, diese Initiativen zu bündeln, da es für die Stadt schwierig war, so vielen Ansprechpartnern gegenüber zu stehen." Zusätzlich soll auf dem begehrten Grund ein sozialökonomischer Betrieb entstehen, ein vom Arbeitsmarktservice gefördertes Projekt, zur Integration "arbeitsmarktferner" Menschen. Jugendliche sollen lernen kleinteilig Landwirtschaft zu betreiben. Damit erscheint die Kleine Stadtfarm für die Gemeinde Wien eine bessere Option zu sein als die alteingesessene Familie Puk.
Immerhin ist die Umgebung des Biohofs Polzer Objekt der Stadtentwicklung: Neue Siedlungen entstehen, die idyllische Umgebung der Lobau zieht kaufkräftiges Klientel an. "Wir wollen die Nutzung auf diesen Flächen optimieren und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen", sagt Andreas Januskovecz, Leiter des zuständigen Forst- und Landwirtschaftsbetriebs der Stadt Wien (MA 49).
Nach ihrer Kündigung kommt die Familie Puk in die schwierige Lage, beim zukünftigen Pächter, der Kleinen Stadtfarm, einen Projektantrag einbringen zu müssen, will sie die Arbeit auf dem Hof auch in Zukunft verrichten. "Unser Nutzungskonzept wurde mit der Begründung abgelehnt, dass meine Arbeit mit den Pferden nicht schlecht sei, aber dem Wohnen könne die Kleine Stadtfarm nicht zustimmen" erläutert Bianca Puk.
"Wir haben über zwei Jahre lang versucht, Lösungen zu finden, wie die Familie Puk dort weiter wirtschaften kann. Letztendlich ist die Kooperation aber vielfach gescheitert," zeichnet Nicolai Ritter von der Kleinen Stadtfarm sichtlich emotional die Entwicklungen nach. Es wird deutlich, hier klaffen die Ansichten völlig auseinander: "Alfred Polzer war ein wichtiger Pionier des biologischen Landbaus. Er hat seine Flächen aber Leuten übergeben, die mit Bio nix am Hut haben."
Komplett anders stellt sich die Situation für Walter Gaidos dar. Seit fünf Jahren betreibt er am Gelände des Biohofs ein Aquaponic-System. Dabei werden im Abwasser einer Fischhaltung Nutzpflanzen kultiviert. Dadurch wird das Wasser gefiltert. "Weil ich Vollzeit arbeite, bin ich auf die Hilfe der Familie Puk angewiesen wenn es um die Kontrolle und Fütterung der Fische geht. Ohne die Puks wäre mein Projekt nicht möglich."
Schon zurückgezogen vom umstrittenen Areal hat sich Patricia Ermes vom Verein Lebenskoppel Erst vorletzte Woche hat sie mit ihren Tieren den Hof verlassen. "Für mich als Energetikerin und Therapeutin ist es am Hof nicht mehr ruhig genug", sagt sie.
Die Familie Puk hingegen will noch nicht das Handtuch werfen und nimmt sich einen Anwalt. "Ich bin hier groß geworden und wohne seit 37 Jahren hier. Dafür muss man natürlich kämpfen!", so Günther Junior selbstbewusst.