US-Notenbankchef Ben Bernanke könnte den Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik erklären.
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Washington/Wien. Ist die Krise vorbei? Wenn der Chef der amerikanischen Zentralbank, Ben Bernanke am Mittwoch die weitere Geldpolitik der Fed darlegt, werden Ökonomen rund um den Globus daran ablesen, wie es um die Situation der USA bestellt ist. Es könnte der Anfang des Endes der lockeren Geldpolitik sein. Was wiederum bedeuten würde, dass die Fed die Situation inzwischen für stabil genug einschätzt, das geldpolitische Doping der US-Wirtschaft zurückzufahren. 85 Milliarden Dollar pumpt die Fed derzeit Monat für Monat auf den Markt.
Seit der Finanzkrise 2008 hält Bernanke die Leitzinsen nahe null, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. In Zeiten der Rezession sorgen niedrige Zinsen für zweierlei. Erstens ist der Anreiz zu sparen gering, wodurch das Geld vorzugsweise auf dem Markt landet, sprich: ausgegeben wird, was gut fürs Geschäft ist. Zweitens werden dadurch Kredite billig, was einen Anreiz für Unternehmen bieten soll, günstig Projekte auf Pump zu realisieren und gleichzeitig Hauskäufer lockt, die den Immobilienmarkt ankurbeln.
Doch was tun, wenn der Leitzins bereits fast bei null ist und die Wirtschaft dennoch noch nicht anzieht? Oftmals ist es dann so, dass der Leitzinssatz und der Zinssatz, den Banken wirklich anbieten, auseinanderklaffen. Da die Banken auf ihren Profit achten, verlangen sie in Krisenzeiten ob des Risikos höhere Zinsen.
Die Antwort der Fed lautete "quantitative easing", zu Deutsch quantitative Lockerung. Salopp (und unpräzise) ausgedrückt bedeutet es, dass der Staat elektronisches Geld druckt. Auf Knopfdruck wird jeden Monat der Kontostand um zig Milliarden Dollar einfach erhöht. Mit diesem Geld werden dann Anleihen gekauft, vorzugsweise eigene Staatsanleihen. Die Folge dieser gesteigerten Nachfrage ist, dass der Preis für die Anleihen steigt. Für die Banken, die über Reserven an diesen Staatsanleihen verfügen, ist es somit ein guter Zeitpunkt, diese zu verkaufen. Mit der Zeit bauen die Banken große Barreserven auf, was schließlich dazu führt, dass sie leichter Kredite vergeben, um ihr Geld loszuwerden und für sich arbeiten zu lassen. Das wiederum führt dazu, dass Personen und Gesellschaften Geld erhalten, das sie ausgeben können und so die Wirtschaft in Gang kommt.
Ohne diese Maßnahmen hätten Banken vermehrt Kredite fällig gestellt, was für manches Unternehmen den Bankrott oder manchen Bürger den Verlust des Eigenheims bedeutet hätte. Auf welchen verschlungenen Pfaden sich diese Geldpolitik positiv auswirken kann, zeigt folgendes Beispiel: Durch die leichteren Kredite boomt der Häuserbau, was wiederum dem Autoproduzenten General Motors satte Verkaufszahlen beschert hat, weil Häuserbauer vermehrt Geländewagen mit offener Ladefläche gekauft haben, um das Baumaterial zu transportieren. Angenehmer Nebeneffekt der quantitativen Lockerung: die Abwertung der Währung, was das Land grundsätzlich wettbewerbsfähiger macht, weil die eigenen Produkte für das Ausland billiger werden. So prangert man in Brasilien etwa schon seit langem diese Politik an und spricht schon von einem Währungskrieg.
Amerikanische Wirtschaft hat sich erholt
Wenn auch umstritten, ist die quantitative Lockerung in Krisenzeiten eine durchaus anerkannte Geldpolitik. Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass erreicht wurde, was diese Politik bezweckte: Die US-Konjunktur zieht an, es werden vermehrt Kredite vergeben, die Preise für Wohnimmobilien steigen und die Arbeitslosenrate lag im August bei 7,3 Prozent, während sie vor einem Jahr noch bei 7,8 lag.
Zeit also, die Ära der ultralockeren Geldpolitik allmählich zu beenden? Experten bejahten diese Frage im Vorfeld. Am wahrscheinlichsten ist es, dass die US-Notenbank ihre monatlichen Anleihekäufe von derzeit 85 Milliarden Dollar auf 75 Milliarden Dollar zurückfährt. Die Ökonomen der Deutschen Bank sind verwegen genug, sogar mit 70 Milliarden Dollar zu spekulieren. Warum verwegen? Weil bei der Reduktion viel Psychologie und Fingerspitzengefühl nötig ist. Ein zu harscher Entzug könnte die Märkte nervös machen. Denn die verlangen nach dem Geldfluss wie ein Drogensüchtiger. Wird dieser heruntergefahren, steigen wieder die Zinsen und wenn das geschieht, hat das Auswirkungen bis nach Europa, das sich dem nicht entziehen kann.
Das konnte man sehr gut in den letzten vier Monaten beobachten. Im Mai kündigte Fed-Chef Bernanke äußerst vage an, dass möglicherweise in einer fernen Zukunft ein Kurswechsel bevorstehen könnte. Die Folge waren heftige Reaktionen an den Anleihemärkten. Die Zinsen der amerikanischen Staatsanleihen stiegen von 1,63 Prozent im Mai auf mehr als 2,80 Mitte September. Dasselbe Bild ergab sich in Deutschland (von 1,17 auf 1,94) und Frankreich (von 1,71 auf 2,50). Dies könnte ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, was ein tatsächlicher Entzug in den kommenden Monaten auslösen wird.
Was für Sparer eine willkommene Entwicklung ist, ist vor allem für die angeschlagenen Euro-Staaten wie Griechenland, Italien und Spanien und auch für Frankreich, das auf einem hohen Schuldenberg sitzt, höchst unerfreulich. Denn steigen die Zinsen, steigt der Betrag, den diese Länder zu zahlen haben.
Daher hat allein schon das Ausscheiden von Larry Summers aus dem Rennen um die Nachfolge von Fed-Chef Bernanke für einen Höhenflug der Börsen gesorgt. Der Grund: Seine Konkurrentin und nunmehrige Favoritin Janet Yellen ist eine Miterfinderin der ultralockeren Geldpolitik, wie sie bisher geherrscht hat. Nicht, dass Summers ein knalliger Hardliner gewesen wäre, doch bei Yellen ist eben zu erwarten, dass das Geld noch lockerer sitzt.
Die Märkte blicken nun Bernankes Auftritt entgegen wie das Karnikel auf die Schlange. Rund um den Globus zögerten Investoren, große Transaktionen zu tätigen. Besonders wichtig wird auch der Ausblick, den Bernanke geben wird: Zum Beispiel wenn die Fed neue Angaben dazu macht, wann sie auch die Leitzinsen wieder erhöhen will - bisher ist dies daran gekoppelt, dass die Arbeitslosigkeit in den USA unter die Marke von 6,5 Prozent fällt.