Vor neunzig Jahren war Arthur Schnitzler nicht nur in die Aufregungen um die Aufführung seines "Reigen" verwickelt, sondern auch in einen Scheidungsprozess.
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Das Jahr 1921 brachte für Arthur Schnitzler und seine Familie Unerfreuliches. Nach bewusst gesteuerten Eskalationen der "Reigen"-Aufführungen in den Wiener Kammerspielen und im Berliner Schauspielhaus standen zwei Aufsehen erregende Prozesse an. In Wien musste sich Bürgermeister Jakob Reumann vor dem Verfassungsgerichtshof verantworten, weil er angeblich weisungswidrig die Aufführungen des skandalträchtigen Stücks nicht untersagt hatte. Aber zum Groll der "Person Seipel" (O-Ton Schnitzler) wurde Reumann freigesprochen, weil die Zuständigkeiten verworren waren und das Höchstgericht das Zustandekommen einer rechtsgültigen Weisung verneint hatte.
Die Berliner Affäre brachte wiederum das gesamte Theaterpersonal auf die Anklagebank, darunter den Wiener Schauspieler Karl Etlinger, doch auch hier endete das spektakuläre Verfahren vor der Strafkammer des Landgerichts mit Freisprüchen im Spätherbst.
Nicht genug mit den politischen und juristischen Ärgernissen, aus denen der Autor unbeschadet hervorging, hing auch noch der Haussegen schief. Sohn Heini fiel bei der Matura am Döblinger Gymnasium in Mathematik durch, woran der Schnitzler übel gesonnene Direktor angeblich maßgeblichen Anteil hatte.
Darüber hinaus stand die seit zwei Jahren gefährdete Ehe der Schnitzlers vor dem endgültigen Aus. Eine Affäre seiner Frau Olga mit dem Musiker und Komponisten Gross hatte die Wiener Gesellschaft aufhorchen lassen. In das vorgebliche Mitleid mischte sich auch Schadenfreude, weil ausgerechnet der Erfinder des "süßen Mädels" als der Gehörnte erschien. Und der 59-Jährige litt unter diesem Getuschel heftig.
Das Ende der Harmonie
Olga Schnitzler, geborene Gussmann, war zwanzig Jahre jünger als Arthur. Sie hatten 1903 geheiratet und damit den unehelichen Sohn Heini (geboren 1902) legitimiert. Schnitzler war zum Zeitpunkt seiner Hochzeit immerhin bereits 41 Jahre alt. Entgegen allen Unkenrufen verlief die Ehe zunächst harmonisch. Als 1909 die Tochter Lili auf die Welt kam, schien die Idylle perfekt. Zudem hatte die Familie das Glück, eine gemütliche und herrlich gelegene Villa in der Sternwartestraße im Währinger Cottage zu erwerben.
Die Verkäuferin war die Schauspielerin Hedwig Bleibtreu, deren Gatte und Fachkollege Römpler im Geburtsjahr Lilis verstorben war. Der Kauf erschien als durchaus vorteilhaft, da wenige Monate später das Anwesen auf 200.000 Kronen geschätzt wurde, der Preis aber deutlich darunter lag. Schnitzler finanzierte den Immobilienerwerb durch Ersparnisse und einen Hypothekarkredit, der bis Anfang 1922 lief sowie durch Ausleihen von Geld bei seinem Bruder, dem erfolgreichen Chirurgen Julius Schnitzler. Den Vertrag wickelte der Familienanwalt Dr Geiringer ab, die Beglaubigung und Aufsandungserklärung erfolgte vor einem örtlichen Notar.
Geiringers Aufgabe im "Reigen"-Jahr 1921 war die schonende Abwicklung der Scheidung, denn die Schnitzlers wünschten kein Aufsehen. Olga hatte wörtlich vor einem Anwalt gewarnt, der ein "Sensationsbratl" aus der Sache zu machen trachtete. Spätestens zum Jahresende 1920 kristallisierte sich immer stärker heraus, dass die Ehe nicht mehr zu retten war. Neben die außereheliche Affäre trat auch künstlerische Frustration. Olga war im Sommer 1919, entgegen dem Rat ihres Mannes, in Salzburg gewesen. Ihre Konzerttournee knapp nach dem Ersten Weltkrieg erwies sich als Fehlschlag. Wahrscheinlich waren die Zeitumstände für das Konzert einer singenden "Dichtersgattin", die sich noch keinen Namen gemacht hatte, nicht günstig.
Die Menschen lebten in Furcht vor einem (bolschewistischen) Umsturz, hungerten und hörten des Öfteren den unheilvollen Begriff "Staatsbankrott", wenn auch nur gerüchteweise. Die wenigen Kulturschaffenden, die jetzt überleben konnten, waren etablierte Künstler wie Schnitzlers "verfreundete" Kollegen Hugo von Hofmannsthal oder Stefan Zweig.
Olgas Tragik
Für Olga, eine selbstbewusste und begabte Frau, war es quälend, nur als Gattin und Mutter wahrgenommen zu werden. Viele Musiker attestierten ihr Talent, wobei mitunter auch Schmeichelei für den dichtenden Ehemann eine Rolle spielte; manche Komponisten wünschten Libretti von ihm, z. B. Richard Strauss, der hauptsächlich mit Hofmannsthal zusammen arbeitete; Frau Strauss schlug sich auch im gemäßigten Rosenkrieg ganz auf die Seite Arthurs, während Alma Mahler und die "Hofrätin" Zuckerkandl neutral bleiben wollten.
Die Verhältnisse zwischen den Künstlern waren damals wie heute spannungsgeladen. Schnitzler, der im Sprechtheater neben Schönherr und Hauptmann zu den am meisten aufgeführten Dramatikern zählte, fühlte sich zurück gesetzt, als die Erfolge der musikalisch-literarischen Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bekannt wurden. Als Theaterautor kam Hofmannsthal aber lange nicht an Schnitzlers Aufführungsfrequenzen heran, was dessen Ego wohl tat. Bei aller Bescheidenheit wähnte sich Schnitzler (durchaus zurecht) in der "Champions League" rund um Ibsen, Strindberg und Shaw.
Aber so erfolgreich Arthur als Dramen- und Prosaautor war, so wenig nahm man Olga als Sängerin wahr. Daher musste etwas für ihr persönliches "Marketing" getan werden. In dem Umfeld, in dem sich die Schnitzlers bewegten, war das kein Problem. Befreundet waren sie mit namhaften modernen und Zwölfton-Komponisten, darunter Schönberg und vor allem Egon Wellesz.
Egon Wellesz und seine Frau Magda lebten nicht allzuweit von den Schnitzlers im Döblinger Kaasgraben. Der Autor hatte ihnen Gartenstühle zur Hochzeit geschenkt, obwohl er mit der Musik des Komponisten wenig anfangen konnte.
Im Herbst 1920 traf Schnitzler Maurice Ravel in Wien, was Anlass für seinen ersten Heurigenbesuch beim "Rockenbauer" in Grinzing war. Zweifellos wären Interventionen erfolgreich gewesen, um Olgas Karriere zu fördern. Paradoxer oder eben anständiger Weise wünschte sie das aber nicht, sie wollte sich selbst künstlerisch durchsetzen, was sie aber nicht daran hinderte, Schnitzler vorzuwerfen, dass er ihrer Laufbahn im Wege stünde.
Alma Mahler ging im Haus Schnitzler aus und ein, ihre Beziehung zu Franz Werfel war allgemein bekannt, aber nicht unumstritten, auch nicht im Familienkreis. Das Paar lebte in der eleganten, aber ungemütlichen Villa in der Steinfeldgasse (Hohe Warte), die heute als Botschaft Saudi-arabiens fungiert. Schnitzler hatte ein entspanntes Verhältnis zu beiden, die auch redlich für die Aufrechterhaltung der Ehe votierten.
Alma verstand sich als Mittlerin, die Arthur Schnitzler den Wunsch Olgas zutrug, bei ihm zu bleiben. Aber letztlich kam es anders, just anlässlich der "Reigen"-Generalprobe im Februar fuhr Olga nach Mannheim und München, wo sie bis zur Scheidung im Juni 1921 blieb. Schnitzler bereitete alles in Wien vor, auf Empfehlung von Freunden konnte er den rituellen Teil der Scheidung nach München delegieren. Dort wickelte der Oberrabbiner Dr. Baerwald die Sache diskret ab - und so blieb nur mehr ein Formalakt beim Währinger Bezirksgericht zu erledigen.
Die Ex-Frau als Ideal
Glücklicher wurden die beiden aber nach der formellen Scheidung aber auch nicht. Schnitzler war um 1921 ein äußerlich früh gealterter Dandy und Frauenversteher, der sich zu Tode ärgerte, wenn man ihn, den noch nicht Sechzigjährigen, als "Greis" apostrophierte. Er schwankte zwischen mehreren halbernsten Beziehungen, darunter jener zu der modernen jungen Bankangestellten Hedy Kempny und der Frau des Urologen Lichtenstern, der sanften aber unzufriedenen Vilma. Wiederholt konfrontierte er vor seinem geistigen Auge diese beiden bekannten und häufigen Begleiterinnen mit Olga und fand, dass seine frühere Frau letztlich - zumindest in ihrer früheren Gestalt und Art - die beiden Konkurrentinnen ausgestochen hätte. So hing er letztlich dem Traumbild seiner Ex-Frau nach, die sich in seinen Augen irreversibel verändert hatte.
Immer wieder machte er sich klar, dass es nun endgültig vorbei sei mit der emotionsgeladenen Beziehung zu Olga, was ihm letztlich doch lieber war als der vorangegangene Dauerstreit. Olga kehrte nicht mehr auf Dauer nach Wien zurück. So führte man auf "moderne" Art eine Familien-Beziehung weiter, in der gemeinsame Urlaube und Treffen nicht nur den Schein wahrten, sondern den Kindern auch die Chance boten, beide Elternteile zumindest kurzfristig wieder vereint zu sehen.
Dieser Modus vivendi währte bis zum frühen Tod der gemeinsamen Tochter Lili, die sich im Jahr 1928 in Venedig das Leben nahm, und in abgeschwächter Form noch bis zu Schnitzlers Tod im Oktober 1931.
Gerhard Strejcek, geb. 1963 in Wien, Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Leiter des Zentrums für Glücksspielforschung an der Universität Wien, und Autor.