Mit dem Spatenstich wird der Tunnel durch den Semmering nun Wirklichkeit.
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Wien/Gloggnitz. Mit dem Spatenstich am Gelände des zukünftigen Nordportals des Semmering-Basistunnels bei Gloggnitz in Niederösterreich geht eine Jahrzehnte andauernde Odyssee zu Ende.
Und während die einen, darunter Umweltaktivisten und Bürgerinitiativen, nach wie vor die Realisierung des drei Milliarden Euro teuren Projekts kritisieren, macht sich bei anderen, vornehmlich bei den ÖBB und den zuständigen Politikern, Erleichterung breit.
Mehr als 20 Jahre wurde um die Baubewilligung für den Semmering-Basistunnel gestritten, bis dann die zuständigen Behörden im Vorjahr endlich grünes Licht gaben. Läuft alles nach Plan, so sollen spätestens im Jahr 2024 die ersten Züge durch die beiden 27,3 Kilometer langen Röhren zwischen dem steirischen Mürzzuschlag und Gloggnitz in Niederösterreich rauschen. Und damit die letzte Lücke in der innereuropäischen baltisch-adriatischen Eisenbahnachse zwischen Ostsee und Mittelmeer geschlossen werden. Kalkulierte Baukosten: 3,1 Milliarden Euro.
Geht es nach Infrastrukturministerin Doris Bures, soll ein Teil der Mittel aus dem EU-Förderprogramm für Transeuropäische Netze (TEN) bezogen werden. Über die Höhe wollen die EU-Verkehrsminister am Donnerstag bei ihrem Treffen in Brüssel beraten. Wien rechnet mit einer Förderquote von bis zu 30 Prozent. Den Österreichern einen Strich durch die Rechnung könnte allerdings noch das EU-Parlament in Brüssel machen. "Wenn jetzt in Gloggnitz der Spatenstich für den Bau des Semmering-Basistunnels erfolgt, heißt das nicht, dass wir uns zurücklehnen können", warnte der Europaabgeordnete Hubert Pirker (ÖVP) am Dienstag.
Demnach würden die EU-Gelder nur in vollem Umfang fließen, wenn eine Mehrheit der Abgeordneten auch für die Aufnahme des baltisch-adriatischen Verkehrskorridors in das europäische Kernnetz stimmt. Sicher sei das nicht. Weswegen es dafür eines "rot-weiß-roten Schulterschlusses" bedürfe, wie Pirker es formulierte. Geht alles gut, sei für das Semmeringprojekt eine Förderung in der Höhe von bis zu einer Milliarde Euro drinnen.
Pfadfinder mussten wegen des Tunnels umziehen
Wer aber denkt, dass die Mittel allein in den Tunnelbau fließen, der irrt. So mussten etwa im Vorfeld allein auf Gloggnitzer Gebiet nicht weniger als 23 Wohnhäuser den Baggern der ÖBB weichen - und der Verlust der Hausbesitzer um viele Millionen Euro abgegolten werden. Zu den Betroffenen zählt auch Erich Wolf, Vorstandsmitglied der Pfadfinder-Gilde der Stadt. "Als die ÖBB bei uns angeklopft haben und gesagt haben, dass unser Heim wegen des neuen Tunnelportals weg muss, war die Aufregung natürlich groß", erinnert er sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Erst wenige Wochen hatte die Gruppe, die mit 212 Mitgliedern zu den größten Pfadfindergruppen im Land zählt, einen Zubau beim Heim fertiggestellt. "Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir viel Geld sparen können", so der Pfadfinderleiter. Für die Ablöse der Häuser und ihren Abriss zahlen mussten zuletzt die ÖBB. Wolf ist zufrieden: "Wir wurden gut abgegolten und haben jetzt an einem anderen Standort ein Heim gebaut." Dem geplanten Bau des Semmering-Basistunnels sieht er dennoch "mit gemischten Gefühlen" entgegen.
Zu dem Festakt auf einer Wiese beim Schloss Gloggnitz unweit des zukünftigen Nordportals des Basistunnels haben sich die Spitzen der ÖBB sowie aus der Bundes- und Landespolitik angesagt. Neben ÖBB-Chef Christina Kern und Doris Bures werden auch die Landeshauptleute der Steiermark und Niederösterreichs, Franz Voves und Erwin Pröll, in die Kameras lächeln. Erwartet werden bis zu 600 Gäste.
Dass die Beteiligten mehr als 20 Jahre auf dieses Ereignis warten mussten, hängt nicht zuletzt auch mit der "Tunnelpolitik" des niederösterreichischen Landeshauptmannes zusammen, der das Milliardenprojekt, und hier insbesondere die damalige Trassenführung, bekämpft hatte. Prölls Waffe waren zum einen die negativen Naturschutzbescheide, mit denen ein Baustopp nach dem anderen erwirkt werden konnte.
Es kam zu einem jahrlangen Rechtsstreit, der mehrmals bis vor den Verfassungs- und den Verwaltungsgerichtshof getragen wurde - und woraus sich schließlich ein Katz-und-Maus-Spiel entwickelte: Wurde der niederösterreichische Bescheid gerichtlich aufgehoben, änderte St. Pölten das Landesgesetz und erließ einen Neuen. Das ging so 15 Jahre lang, bis dann schließlich 2005 das alte Projekt endgültig zurückgezogen und die Trasse neu ausgeschrieben wurde. Ironie der Geschichte: Noch während auf niederösterreichischer Seite gestritten wurde, war das Land Steiermark vorgeprescht und hatte an der Südseite des Semmerings bereits mit dem Vortrieb von Sondierungsstollen begonnen - und damit Finanzmittel in Millionenhöhe im Berg verbaut.
Umweltaktivisten wollen das Projekt weiter bekämpfen
Zum anderen konnte Pröll - damals noch nicht mit einer absoluten Mehrheit im Landtag ausgestattet - die in der Bevölkerung vorherrschende Negativstimmung gegen den Tunnelbau nutzen. Im Mittelpunkt standen damals wie heute Bedenken von Umweltaktivisten, die nun ihrerseits - auch das Projekt "Semmering-Basistunnel neu" - mit allen Mitteln bekämpfen. Neben Franz Fally (siehe Interview) zählt dazu der Chef von "Alliance for Nature", Christian Schuhböck, dem zuletzt mit dem Wechsel von Erwin Pröll ins Lager der Tunnelbefürworter ein wertvoller Bündnispartner abhanden gekommen ist.
Was Schuhböck aber nicht daran hindert, gegen das Land Niederösterreich zu Felde zu ziehen. Was ihn ärgert, ist, dass das Projekt - nach der positiven Umweltverträglichkeitsprüfung durch das Verkehrsministerium - erst im Dezember von niederösterreichischer Seite nun doch grünes Licht bekommen hatte. Noch dazu erließ die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen einen positiven 95-seitigen Naturschutzbescheid, wonach das Land in Edikten den Abschluss des Verfahrens für Wasserrecht, Luftfahrt und Denkmalschutzschutz bekannt gab. Beides machte den Weg für das drei Milliarden Euro teure Projekt frei.
Wobei "Alliance for Nature" dagegen hatte zu Jahresbeginn den niederösterreichischen Bescheid seinem "gesamten Inhalt und Umfang nach angefochten". Grund: Das Amt der NÖ Landesregierung habe den Sachverhalt und die dafür maßgeblichen Umstände unzureichend ermittelt. Zudem habe sich die Behörde "befangener Sachverständiger bedient und sachverständig begründete Einwendungen der Berufungswerberin ignoriert", sagt Schuhböck. Behördlich bestellte Gutachten seien zum Teil nicht richtig, teilweise würden sie auf "falschen Abschätzungen der einzuleitenden Bergwassermengen" aufbauen. Die Expertise des Sachverständigen für Denkmalschutz baue auf Verkehrszuwächsen auf, "die es nicht gibt" und sei daher "zur Gänze unbrauchbar und unbegründet".
Es ist allerdings ein Kampf, der angesichts des Spatenstichs verloren scheint. Denn auch was die Stimmung in der lokalen Bevölkerung betrifft, wollen viele nichts mehr über das Tunnelprojekt hören. Dazu zählt auch Herta Maier (Name geändert) aus der benachbarten Gemeinde Payerbach. So wie die delogierten Menschen in Gloggnitz war auch sie in den 90er Jahren gezwungen, Haus und Hof aufzugeben und umzuziehen. Weil ihr Wirtschaftsbetrieb damals der ersten Tunneltrasse, die noch über das Gemeindegebiet von Payerbach führen sollte, im Weg stand. Wie bei Erich Wolf wurde auch ihr der Verlust von den ÖBB abgegolten. "Der Umzug hat mir sehr weh getan, aber sonst hätten sie uns sicher enteignet", sagt sie heute zur "Wiener Zeitung". An das neue Haus, in dem sie seit 17 Jahren wohnt, hat sie sich mittlerweile gewöhnt.
Aufregung um "Ausladung" von Gemeindebürgern
"Wenn ich gewusst hätte, dass der Tunnel gar nicht kommt, hätten wir das sicher nicht gemacht", bemerkt dazu ihr Sohn. "Aber es ist eben so gekommen, da kannst du nichts machen." Dass erst jetzt, nach all den Jahren, in Gloggnitz der Spatenstich erfolgt, darüber kann er nur den Kopf schütteln. Ein Interesse daran, dem Festakt beiwohnen, hat die Familie Maier nicht. Auf jeden Fall kommen will aber Erich Wolf. Er wurde zu dem Festakt eingeladen. Dass die restliche Bevölkerung dem Spatenstich nicht beiwohnen darf, daran übte am Dienstag die Gloggnitzer Verkehrs-Bürgerinitiative "Biss" Kritik. Viele Menschen seien empört, dass der Festakt "nur" für 600 Gäste vorgesehen sei, nicht aber für jene Betroffenen, die die kommenden zwölf bis 15 Jahren mit den Belastungen durch den Tunnelbau leben müssten.
Ungeachtet dessen wird gefeiert. Nach einer "moderierten Gesprächsrunde" erfolgt der Spatenstich. Zeit: 11.15 Uhr.