Der liberale Radiomoderator Parchomenko über die Vernichtung des Journalismus in Russland.
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In der Ukraine tobt ein Bürgerkrieg. Zumindest laut russischen Medien. Die praktisch gleichgeschalteten Bilder verunsichern die Menschen in der Ostukraine - und fördern den Patriotismus im eigenen Land. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Sergej Parchomenko, einem der wenigen liberalen Journalisten Russlands über Propaganda und Repressalien gegen Journalisten. Der Aktivist und Moderator des Radiosenders "Echo Moskvy" referierte bei einer Konferenz über die Russische Zivilgesellschaft am Salzburg Global Seminar.
"Wiener Zeitung": Angesichts des Informationskrieges rund um den Ukraine-Konflikt: Wie viel kritische Presse gibt es noch in Russland?Sergej Parchomenko: Eigentlich keine mehr. Fast die gesamte Presse nimmt an der Propaganda teil. Eine Zeitung, eine Wochenzeitschrift, ein Radiosender und ein paar Websites sind übrig. Das hat aber nicht so viel mit der Krise in der Ukraine zu tun. Der Abbau begann, als Wladimir Putin an die Macht kam. Ich war damals Chefredakteur des Journals "Itogi". Eines Tages im April 2001 wurden mit einem Schlag 74 Redakteure entlassen und durch neue ersetzt. Das ist bis heute ungeschlagener Rekord. Oder nehmen Sie die Nachrichtenagentur Ria Novosti. Die ist zwar staatlich, hatte aber doch auch gute Projekte, wie das Programm zur Gerichtsberichterstattung. Das war sehr wichtig angesichts der fehlenden unabhängigen Justiz in Russland, die Journalisten brachten durch ihre Arbeit sehr viele Missstände ans Licht. Aber an einem gewissen Punkt wurde beschlossen, dass der Staat diese guten, aber aus Sicht der Propagandisten wenig effektiven Programme nicht finanzieren soll - und sie wurden eingestellt.
Konnte Dmitrij Kiseljow, der neue Chef von Ria Novosti, der als "Einpeitscher des Kreml" gilt, der Agentur bereits seinen Stempel aufdrücken?
Ja, natürlich. Er hat nicht nur eine riesige Anzahl von Mitarbeitern entlassen. Die Information, die heute herausgegeben wird, hat sich sehr stark verändert. Früher konnte man bei Ria Novosti nützliche offizielle Informationen über Ereignisse finden - etwa über Gesetzesbeschlüsse, wer diese vorgeschlagen hat, wer dafür gestimmt hat und dergleichen. Stattdessen findet man heute Propaganda vor, die sich ungefähr so liest: "Endlich hat die Duma Maßnahmen beschlossen, um die russische Eigenständigkeit vor der bösen Opposition zu verteidigen."
Was macht Medien mehr zu schaffen - der politische Druck oder der finanzielle, der sich durch die Wirtschaftskrise und Änderungen in der Medienlandschaft ergibt?
Das eine befördert das andere. Der Staat schafft absichtlich Umstände, in denen unabhängige Medien nicht wirtschaftlich selbstständig sein können. Das tut er aber nicht offensichtlich über bestimmte Gesetze. Medien finanzieren sich bekanntlich über Werbeeinschaltungen von Firmen. Diese Firmen wiederum sind sehr vom Staat abhängig, da es ja keine unabhängige Gerichtsbarkeit gibt. Es fällt ihnen daher sehr schwer, sich Angriffen des Staates zu widersetzen. Jegliches Business kann sehr schnell zugesperrt werden. Und die Firmen wissen, dass sie Ärger bekommen können, wenn sie in Kreml-kritischen Medien inserieren. Aber sogar Büroräume zu finden kann schwierig werden. Die Wirtschaft wird so zum Instrument des Druckes auf Massenmedien. Nehmen Sie das bevorstehende Ende des Internet-TV-Kanals "Dozhd". Niemand aus der Regierung ist aufgestanden und hat gesagt: "Wir sperren diesen Oppositionskanal nun zu." Nein. Vier wichtige Kabelnetzbetreiber nahmen ihn aus dem Programm, somit war sein Ende besiegelt.
Die Duma sinniert über immer schärfere Gesetze gegen Medien, etwa, dass man bestraft werden kann, sollte durch "lügnerische" Artikel ein Konflikt zwischen Ethnien verursacht werden. Zudem sollen Blogger den gleichen Gesetzen unterliegen wie Massenmedien und sich registrieren.
Schärfere Bestimmungen werden nach und nach durchgezogen. Damit wird ein System der "gesetzlichen Ungesetzlichkeit" geschaffen, eines Voluntarismus: Es gibt dann eine enorme Masse an verschiedenen Regeln, die angewendet werden können - oder eben auch nicht. Das ist die Idealform für ein totalitäres Regime.
Wie merken Sie Repressionen?
Erstens, indem ich sagen muss, dass der Mediensektor im Land zerstört ist. Es gibt den Beruf des Journalisten nicht mehr. Ich stelle zwar ein Informationsprodukt her, kann es aber nicht mehr verkaufen. Und ich stand auch bereits für erfundene Anschuldigungen vor Gericht.