Vom IRA-Kommandanten zum Advokaten der Abrüstung: Mit dem Rückzug von Martin McGuinness aus der Politik geht eine Ära zu Ende.
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London/Belfast. Ist Martin McGuinness am Ende eines langen persönlichen Kampfes angekommen? Dass der Ex-IRA-Führer als Nordirlands Vize-Regierungschef zurücktrat, hatte natürlich erst einmal mit politischen Entwicklungen in Belfast zu tun. Ob er aber nach den nun erwarteten Neuwahlen noch einmal ein hohes Amt übernehmen wird, ist fraglich. Sein Gesicht ist von schwerer Krankheit gezeichnet. Allein die Rücktrittserklärung machte ihm größte Mühe. "Martin", wie ihn seine Anhänger bewundernd nennen, mag nicht mehr die Kraft haben für weiteres Engagement.
Damit wäre eine Zentralfigur der nordirischen Politik abgetreten. Denn mehr noch als sein langjähriger Kampfgefährte Gerry Adams hat Martin McGuinness den Schwenk vom bewaffneten Aufstand zur politischen Zusammenarbeit mit dem Erzfeind - "den Briten" - möglich gemacht.
Im Gegensatz zu Adams, der bis heute behauptet, niemals Mitglied der Irisch Republikanischen Armee (IRA) gewesen zu sein, räumt McGuinness ein, der paramilitärischen Organisation zumindest bis 1974 angehört zu haben. Vor vielen Jahren kämpfte der im katholischen Derry aufgewachsene Metzger-Lehrling mit der Waffe in der Hand gegen die britischen "Besatzer" der Grünen Insel. Anfang der 1970er Jahre, zu Zeiten krasser Benachteiligung der Katholiken und einer oft mit Gewalt niedergehaltenen Bürgerrechtsbewegung, war er einer der leidenschaftlichsten Verfechter paramilitärischer Aktionen zur "Befreiung der Nation".
Schon in seinen frühen Zwanzigern soll er Kommandant der IRA in Derry gewesen sein und Bombenanschläge auf Soldaten organisiert haben. Die Erschießung von 14 unbewaffneten Demonstranten durch britische Fallschirmjäger am "Bloody Sunday" in Derry bestärkte ihn in der Überzeugung, dass die britische Armee allein mit "bewaffnetem Widerstand" aus dem Land zu treiben sei.
Noch sehr viel später soll McGuinness dem Army Council, der Kommando-Riege der IRA, angehört haben. Dabei gewann für ihn wie für Adams auch die politische Arbeit in der Republikanerpartei Sinn Féin immer mehr an Bedeutung.
In den 1990er Jahren, als ihnen am Sinn der endlosen Opfer des Konfliktes Zweifel kamen, begannen die beiden Führer der republikanischen Bewegung umzudenken. Sie leiteten, gegen massiven Widerstand aus den eigenen Reihen, 1994 den ersten IRA-Waffenstillstand ein, bereiteten so den Boden für das Belfaster Friedensabkommen von 1998 und überredeten nach und nach die eigenen Truppen zur Abrüstung. Ohne McGuinness’ Autorität in der IRA wäre diese Entwicklung nie möglich gewesen.
Später besiegelte "Martin" den Pakt, indem er als Bildungsminister der neuen, beide Bevölkerungsteile repräsentierenden Regierung Nordirlands beitrat - und 2007 zusammen mit dem Unionistenführer und ehemaligen "Katholikenfresser" Ian Paisley als dessen Stellvertreter die Leitung der Regierungsgeschäfte übernahm.
Seither hat McGuinness sich als Vize-Regierungschef ebenso beharrlich für Verständigung eingesetzt wie ehedem für bewaffnete Auseinandersetzung. Selbst der Königin, einer alten Hassfigur militanter Republikaner, hat er sehr zivilisiert und mit dem ihm eigenen Charme die Hand geschüttelt.
"Mein Krieg ist vorbei", hat McGuinness einmal gesagt. "Ich will eine bessere Zukunft für unsere ganze Bevölkerung bauen." Dies sei, fügte er hinzu, "ein politisches, kein militärisches Projekt".