Kanzlerin Merkel will Nachfolger nun im Konsens SPD und Grünen suchen.
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Berlin. Was wird von Christian Wulffs kurzer Amtszeit als deutscher Bundespräsident bleiben - außer seinen Korruptionsaffären, über die der frühere niedersächsische Ministerpräsident schließlich stürzte? Seine Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit im Jahr 2010, als er mit der Aussage, der Islam gehöre "inzwischen auch zu Deutschland", kontroverse Reaktionen provozierte? Seine junge Frau Bettina und ihre Tattoos? Oder gar Marginalien wie der Regenwurm, der ihm bei einem Essen im Kreml serviert wurde?
Kanzlerin Angela Merkel versuchte jedenfalls am Freitag eine Würdigung des Abgetretenen, den sie einst gegen große Widerstände als Bundespräsidenten durchgesetzt hatte: Voller Energie habe sich Wulff für ein modernes, offenes Deutschland eingesetzt, habe gezeigt, dass die Stärke des Landes in seiner Vielfalt liege. "Diese Anliegen werden mit seinem Namen verbunden bleiben."
Die deutschen Medien sahen das anders: "Er hat es vermasselt", kommentierte da etwa der "Spiegel" die Präsidentschaft des Niedersachsen. Ihn zum Bundespräsidenten zu machen, sei "die dümmste politische Idee der vergangenen Jahre" gewesen: "Es hätte bessere gegeben, alle wussten es." Im Zuge der Kredit-Äffäre sei mehr und mehr deutlich geworden, dass Deutschland keinen Staatsmann als Präsidenten gehabt habe, sondern einen politischen Aufsteiger, der notorisch Privates und Dienstliches miteinander verquickte. "Es bleibt beim Bild eines Gernegroß, der zu klein war für das Amt, dem letztlich seine Mittelmäßigkeit zum Verhängnis wurde."
Gequältes Lächeln
Wulff zog am Freitag den Schlussstrich unter eine Präsidentschaft, die von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden hatte: Kurz nach elf Uhr trat er im Beisein seiner Frau am Freitag im Schloss Bellevue vor die versammelte Presse, um seinen Rücktritt zu erklären. Im Blitzlichtgewitter musste er beim Verlesen seines kurzen Statements mehrmals schlucken, während sich seine Frau ein Lächeln für die Fotografen abzwang. Deutschland, so Wulff, brauche einen Präsidenten, der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürger getragen werde. "Die Entwicklung der vergangenen Tage und Wochen hat gezeigt, dass dieses Vertrauen und damit meine Wirkungsmöglichkeiten nachhaltig beeinträchtigt sind." Deshalb könne er das Amt nicht mehr so wahrnehmen, "wie es notwendig ist".
Nachdem es in den letzten Tagen bereits so ausgesehen hatte, als würde sich die Aufregung über Wulff beruhigen, war am Vorabend in Hannover eine politische Bombe geplatzt: Die dortige Staatsanwaltschaft hatte die Aufhebung der Immunität des Präsidenten beantragt, um ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Vorteilsannahme einleiten zu können. Wulff steht seit Mitte Dezember wegen Vorwürfen zu einem Hauskredit, seinem Umgang mit der Öffentlichkeit und Gratis-Urlauben mit reichen Freunden in seiner Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens unter Beschuss. Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Aufhebung der Immunität eines Präsidenten beantragt wurde. Die Staatsanwaltschaft, der lange Zögerlichkeit gegenüber dem Bundespräsidenten vorgeworfen wurde, hatte offenbar neues Belastungsmaterial bekommen: Die "Süddeutsche" schrieb, die Ermittler seien - nachdem sie lange vor allem damit beschäftigt waren, die zahlreichen Medienberichte zum Thema auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen - erstmals an interessante Unterlagen gekommen. Mehr als ein Dutzend Ordner der Staatskanzlei Hannover und einige Hefter seien in dieser Woche eingegangen. Das habe zu dem historisch beispiellosen Schritt geführt.
Keine Immunität mehr
Mit dem Rücktritt Wulffs hat sich nun jedenfalls auch der Antrag auf Aufhebung der Immunität des nunmehrigen Ex-Präsidenten erledigt: Der konservative Politiker genießt keinen Schutz vor Strafverfolgung mehr, mit dem Ende der Amtszeit ist auch die Immunität erloschen. Beim Delikt der Vorteilsannahme, das Wulff vorgeworfen wird, drohen dem Ex-CDU-Politiker bis zu drei Jahre Haft. Und die Vorwürfe gegen Wulff weiten sich weiter aus: Der "Spiegel" berichtete, die deutsche Finanzaufsicht BaFin prüfe auch die Rolle Wulffs beim Übernahmekampf der Autobauer Volkswagen und Porsche. Es geht dabei um einen möglichen Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz. Wulff selbst zeigte sich in seiner Rücktrittserklärung überzeugt, dass die bevorstehende rechtliche Klärung der Vorwürfe zu seiner "vollständigen Entlastung führen wird". Er habe sich in seinen Ämtern "stets rechtlich korrekt verhalten", versicherte er. "Ich habe Fehler gemacht, aber ich war aufrichtig." Kritik übte Wulff an den Medien: "Die Berichterstattungen, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, haben meine Frau und mich verletzt."
Merkel beschädigt
Der Wulff-Rücktritt beschädigt vor allem auch Kanzlerin Angela Merkel, die den möglichen innerparteilichen Konkurrenten um die Macht in Berlin einst erfolgreich auf den Posten des Bundespräsidenten weggelobt hatte. Mit Wulff trat nach Horst Köhler bereits der zweite deutsche Bundespräsident, dessen Kandidatur Merkel durchgesetzt hatte, binnen nicht einmal zweier Jahre von seinem Amt zurück - während Köhler aber mit keinerlei Vorwürfen konfrontiert war und das Amt aus freien Stücken aufgab, gestalteten sich die Umstände von Wulffs Rücktritt ungleich dramatischer. Sein spektakuläres Scheitern lässt wohl auch viele in der CDU-FDP-Koalition darüber munkeln, ob es nicht besser gewesen wäre, bei der letzten Präsidentenwahl den von SPD und Grünen nominierten Ex-DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck gewählt zu haben, der als Antikommunist auch für die bürgerliche Reichshälfte ein respektabler Kandidat gewesen wäre. Dem Risiko, erneut einen nicht allgemein akzeptierten Kandidaten durchzusetzen, will sich Merkel jedenfalls nicht mehr aussetzen: Die Kanzlerin kündigte an, SPD und Grüne in die Suche nach Wulffs Nachfolger einbeziehen zu wollen - nur die Linkspartei nahm Merkel davon wegen "grundsätzlicher Differenzen" aus. Ob diese Suche friktionsfrei verläuft, wird sich noch weisen: Bereits am Freitag fanden zwischen Regierung und Opposition verbale Scharmützel statt. Die SPD warnte Merkel, sich auf einen gemeinsamen Koalitionskandidaten festzulegen. SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte, die CDU-Chefin solle nicht zum dritten Mal in Folge aus Kalkül einen Kandidaten durchboxen, um anscheinend Scheingespräche mit der Opposition zu führen.
Grundsätzlich begrüßten SPD und Grüne jedoch das Gesprächsangebot, während CDU und FDP bei der Kandidatensuche aufs Tempo drücken: Bereits am Freitag waren Gespräche zwischen CDU-Chefin Angela Merkel, FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler und CSU-Chef Horst Seehofer zur Causa Prima angesetzt. Seehofer ist es auch, der als Vorsitzender des Bundesrates bis zur Wahl eines neuen Präsidenten interimistisch dessen Agenden übernimmt.