Vor 20 Jahren fanden in Südafrika die ersten freien Wahlen statt. Botschafter Tebogo Joseph Seokolo zieht Bilanz.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es ist ein Jubiläum: Südafrika feiert dieses Wochenende zum 20. Mal den "Freedom Day". Damit gedenkt das Land der ersten freien Wahlen am 27. April 1994, als endlich die Apartheid überwunden wurde und Schwarze und Weiße gleichberechtigt wählen konnten. Die "Wiener Zeitung" sprach aus diesem Anlass mit Südafrikas Botschafter in Wien, Tebogo Joseph Seokolo.
"Wiener Zeitung": Erstmals feiert Südafrika den Freedom Day ohne Nelson Mandela. Was bedeutet das für das Land?Tebogo Joseph Seokolo: Es sind gemischte Gefühle: Niemand will ohne seinen Vater feiern, und Mandela ist der Gründungsvater unserer Nation. Aber es spendet uns Trost, dass er das Fundament für unsere Nation gelegt hat. Er hat nicht nur für Südafrika, sondern für ganz Afrika Werte hinterlassen: dass wir alle in Würde, in Demokratie und Achtung der Menschenrechte leben sollen.
Hätte der Übergang ohne Mandela funktioniert?
Er hat unser Streben nach Frieden und Gerechtigkeit personifiziert. Mandela selbst hat immer darauf beharrt, dass er Teil eines Kollektivs sei, dass er der Repräsentant einer Generation sei, die für Gerechtigkeit in unserem Land gekämpft hat.
Die politische Heimat von Mandela war der African National Congress (ANC). Aus der Anti-Apartheid-Bewegung wurde die überlegene Regierungspartei, die bei der letzten Wahl fast die Zwei-Drittel-Mehrheit erreichte. Ist der ANC nun zu dominant, zu mächtig?
Niemand kann sich in Südafrika Macht nehmen, die ihm die Verfassung nicht gewährt. Diese gestattet keine Diktatur der Mehrheit, es gibt eine ausgeprägte Gewaltenteilung. Selbst Mandela musste sich als Präsident auf Grundlage der Verfassung einem Gericht stellen. Es ging um die Frage, ob er als Präsident eine Untersuchungskommission einberufen darf. Wir hatten viele ähnliche Fälle, bei denen die Grundsäulen der Verfassung verhandelt wurden. Wir haben eine aktive Bürgergesellschaft, die von der Exekutive für ihre Taten Rechenschaft verlangt, wir haben eine unabhängige Justiz, deren Legitimität nicht in Frage gestellt wird. Unser demokratischer Weg ist unumkehrbar.
Nun haben zwar Schwarze und Weiße gleiche politische Rechte. Aber ist nicht der neue Graben der zwischen Arm und Reich?
Nach 1994 haben die Regierungen eine sehr beschädigte Wirtschaft geerbt. Die Apartheid gründete auf einer Philosophie der Enteignung der schwarzen Bevölkerung, die von den wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen worden war. Die demokratische Regierung, die 1994 an die Macht kam, musste diese historischen Ungerechtigkeiten beseitigen. Aber dafür war ja zuvor kein Geld zur Seite gelegt worden. Wir haben gehofft, dass das Wirtschaftswachstum auch zu den ärmeren Schichten durchsickert. Denn: Wir wollten nicht die eine Gruppe, die früher privilegiert war, zugunsten der anderen enteignen. Nein, das Eigentum unserer weißen Mitbürger, das sich über die Jahre angesammelt hatte, wurde nicht angetastet und war geschützt. Das war Teil der Vereinbarung. Gleichzeitig waren wir vor 1994 international isoliert. Danach wurden wir wieder Teil der Weltwirtschaft. Wir mussten uns öffnen, unsere Wirtschaft transformieren und gleichzeitig wettbewerbsfähig sein. Das war alles nicht leicht. Aber es wurde auch vieles unternommen: Seit 1994 wurden fünf Millionen neue Jobs geschaffen. Aber die Arbeitslosigkeit, die bei um die 25 Prozent liegt, bleibt eine der größten Herausforderungen all unserer Regierungen.
Muss nicht in ganz Afrika die Wirtschaft teilweise reformiert werden? Der Kontinent hat zwar jährliche Wachstumsraten von sechs, sieben Prozent, aber diese basieren ja sehr stark auf Rohstoffeinnahmen.
Afrika kann nicht nachhaltig wachsen, wenn wir den Kontinent nicht stärker industrialisieren. Südafrika hat natürlich eine stärker entwickelte Industrie, aber wir sind am Kontinent nicht alleine, deshalb soll die Afrikanische Union gestärkt werden, um strategische Projekte voranzubringen. Und wir müssen uns der Frage der Ausbildung und Fertigkeiten der Bürger annehmen. Auch in Südafrika: Wir investieren gerade in unseren Schienenausbau. Das soll neue Jobs schaffen, und damit verbunden ist auch ein Ausbildungsprogramm. Damit die ausgebildeten Leute samt ihrer Fertigkeiten nicht nur mit den internationalen Konzernen ins Land kommen und wieder gehen.
Südafrika ist auch Teil der BRICS, einer Interessensgemeinschaft mit Brasilien, Russland, Indien und China. Verliert Europa an Einfluss?
Nicht wirklich. Südafrikas Strategie ist simpel: Wir konsolidieren die Beziehungen mit unseren traditionellen Partnern im Norden und dehnen uns zu den aufstrebenden Märkten aus. Das eine schließt das andere nicht aus. Europa ist noch immer unser größter Handelspartner, der größte Direktinvestor und der wichtigste Markt für Südafrikas Tourismus.
Aber ist es nicht ein Vorteil für afrikanische Staaten, dass Länder wie China, Indien oder Brasilien sich immer stärker am Kontinent engagieren? Schließlich können die afrikanischen Länder nun zwischen immer mehr Optionen wählen.
Lassen Sie mich es so sagen: Wir begrüßen es, wenn es neue Akteure am afrikanischen Kontinent gibt. Wichtig ist aber, dass nicht die Muster des Kolonialismus wiederholt werden, dass wir einen Dialog auf Augenhöhe führen. Es gibt etwa ein Afrika-China-Forum, bei dem die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit festgelegt werden. Und wir hatten ja kürzlich auch einen EU-Afrika-Gipfel. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt und wollen in Afrika nun Bedingungen, die auch für uns von Vorteil sind. Wenn Sie sich zum Beispiel eine afrikanische Landkarte anschauen: Die ganze Infrastruktur aus dem Kolonialismus hat nicht Städte und Länder miteinander verbunden, sondern war nur auf Häfen ausgerichtet. Um die Rohstoffe aus dem Kontinent zu schaffen. Nun wollen wir die afrikanischen Länder stärker vernetzen, damit wir untereinander mehr Handel betreiben können. Die Vision eines zukünftigen Afrikas ist eine Zugverbindung von Kapstadt nach Kairo.
Tritt Afrika nun selbstbewusster auf?
Ja, die afrikanischen Staatschefs sind nun durchsetzungsfähiger und übernehmen mehr Verantwortung für das Schicksal ihrer Länder.