Die Russen verlangen von Washington handfeste Beweise, dass IS-Chef al-Bagdadi tot ist. Es gibt Ungereimtheiten.
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Es ist äußerst merkwürdig, dass Abu Bakr al-Bagdadi ausgerechnet in der syrischen Provinz Idlib von den Amerikanern getötet worden sein soll. Noch vor kurzem hieß es in Bagdad, der Chef der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sei im Irak, genauer in der Provinz Anbar, die zwar an Syrien grenzt, aber weit von Idlib entfernt liegt. Angeblich wollte er seine Familie in die Türkei bringen, damit sie in Sicherheit sei.
Das heißt, seine Kinder und zwei Frauen waren in Idlib, während Papa im Irak war? Und noch eine Merkwürdigkeit: Anscheinend fühlte sich der Topterrorist ziemlich sicher, sonst wäre er nicht aus dem Irak nach Syrien gereist, hätte knapp 900 Kilometer zurückgelegt, um in die Türkei zu gelangen. Denn in Idlib ist eigentlich weit und breit nichts von den Amerikanern zu sehen. Provinz und Stadt werden von den Russen und Assad-treuen Kämpfern belagert. Diese operieren dort seit Monaten.
Fünfmal totgesagt
Die letzte Provinz der Aufständischen wird Idlib genannt. Dorthin sind alle dschihadistischen Kämpfer gebracht worden, die im Rückeroberungskampf des syrischen Diktators kapituliert hatten. Die letzte Rebellenprovinz im Nordwesten Syriens wird militärisch weitgehend beherrscht von einer Radikalengruppe, die früher als Nusra-Front mit der Al-Kaida verbündet war, sich dann umbenannte in Hayat Tahrir al-Scham. Dagegen gehen Russen und syrische Truppen, zusammen mit der libanesischen Hisbollah vor. Dass dort auch IS-Kämpfer gestrandet sind, ist nicht abwegig. Doch die Amerikaner sind dort nicht. Auch Kurden sind eher selten. Sie befinden sich weiter östlich. Dass also amerikanische Spezialeinheiten nach kurdischen Informationen auf al-Bagdadi in Idlib gestoßen seien, ist vor allem für die Russen schleierhaft. Sie verlangen denn auch von US-Präsident Donald Trump stichfeste Beweise für die Behauptung, die Amerikaner hätten Bagdadi getötet.
Mindestens fünfmal ist der im irakischen Samarra, 120 Kilometer nördlich von Bagdad geborene Ibrahim Awad al-Badri schon für tot erklärt worden - von den Russen, den Amerikanern und den Irakern.
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es ihn dieses Mal tatsächlich erwischt hat, ist groß. DNA-Proben hätten dies eindeutig ergeben, behauptete Trump. Erbärmlich soll sein Ende gewesen sei, er habe gewinselt und gefleht.
Wenn auf Trumps Äußerungen Verlass wäre, würde dies ein Triumph für ihn darstellen. So aber bleiben Zweifel. Wie kann einer winseln und um Gnade flehen, wenn er gleichzeitig einen Sprengstoffgürtel zündet? Drei seiner Kinder habe er mit in den Tod gerissen. Eine monatelange Ermittlung sei dem Zugriff vorausgegangen, heißt es aus amerikanischen Quellen. Man habe zwar gewusst, dass Bagdadi in Idlib sei, aber nicht genau, wo.
Das widerspricht den Informationen der Iraker und auch die Russen sind verblüfft. Stimmen die Behauptungen, wäre es demnach erwiesen, dass der amerikanische Geheimdienst CIA die Operation durchgeführt hat und in einer von Russen kontrollierten Provinz agiert.
Bei all diesen Ungereimtheiten würde es deshalb nicht verwundern, wenn demnächst ein Audiodokument oder Video auftaucht, das al-Bagdadis Botschaft nach dem Motto "Ich lebe noch" verbreitet, ungeachtet der Tatsache, ob es sich dabei um den wahren Terrorchef oder um einen Doppelgänger handelt.
Bagdadi war geschwächt
Denn schon längst ist die einstmalige Hierarchie des IS aufgelöst und mit dem Kalifat untergegangen. Bagdadi als über allen schwebender Emir hatte abgewirtschaftet. Sein Ziel, einen islamischen Staat zu errichten, dem Tausende aus aller Welt gefolgt sind, ist Geschichte. Seine Position wurde schwächer und schwächer. Nur so ist es zu verstehen, dass man ihn überhaupt orten, verfolgen und töten konnte. Bei Osama bin Laden war es übrigens ähnlich. Als die Al-Kaida schwächelte, konnte man seiner habhaft werden. Wenn Unterstützer und Sympathisanten anfangen zu zweifeln, ist der Verrat nicht weit. Abu Mussab al-Sarkawi, dem Begründer der Al-Kaida im Irak, ging es 2006 ganz genau so. Als er die eigenen Leute wegen verweigertem Gehorsams umbringen ließ, wurde seine Position an die Amerikaner verraten.
Es gibt trotzdem keine Ruhe vor Terror, auch wenn Ibrahim Awad al-Badri tot ist. Bagdadis gibt es längst schon überall auf der Welt - ob in Somalia, Nigeria, Ägypten, Libyen, Usbekistan, Tschetschenien, Indonesien, Pakistan, Australien, Frankreich, Spanien und auch Deutschland.
Radikalität ist derzeit weltweit auf dem Vormarsch. Radikale bestimmen zunehmend die Geschicke der Menschheit. Dass es nur ein schmaler Grat ist zwischen Radikalität und Terror, lässt sich sehr deutlich vor allem im Irak beobachten. Dort kochen gleich drei radikale Szenarien hoch.
Explosive Lage
Zwar gibt es verstärkt auch in anderen Ländern Demonstrationen und Aufstände von zumeist jungen Leuten gegen ihre Regierungen, ob in Chile, Haiti, Venezuela, im Libanon oder in Frankreich. Doch nirgends nehmen diese derart radikale Formen an wie im Irak.
Die Gemengelage ist hochexplosiv, die Sicherheitskräfte schlagen gnadenlos zu. Sie sind im Anti-Terror-Kampf ausgebildet und nicht mit einer Deeskalationsstrategie im Umgang mit Protestierenden. Gleichzeitig dominiert die Angst, die bislang weitgehend friedlichen Demonstranten könnten sich mit professionellen Terroristen verzahnen. Denn Bagdadis Kinder im Geiste operieren zunehmend wieder im Norden des Landes, dort, wo das Kalifat zwischen 2014 und 2017 existierte. Fast täglich verzeichnen irakische Sicherheitskräfte wieder Angriffe auf Dörfer in der Provinz Kirkuk, Sprengsätze gegen Raffinerien und Ölquellen in Dijala und Ninewa, Schutzgelderpressungen in West-Mossul, Raub und Diebstahl in Salah ad-Din.
Betroffene berichten, es seien dieselben Menschen, die früher der Al-Kaida, dann dem IS angehörten. Und dann sind da noch die zunehmenden Spannungen zwischen den USA, Saudi-Arabien, Israel und dem Iran, die ebenfalls auf irakischem Territorium ausgetragen werden.
"Auf hoher See bestattet"
Die sterblichen Überreste des Anführers der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, sind auf hoher See bestattet worden. Dies verlautete am Montag aus dem Pentagon. Genauere Angaben zu Ort und Verlauf der Bestattung Baghdadis wurden aber nicht gemacht.<p>Der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Mark Milley, hatte zuvor bei einer Pressekonferenz gesagt, die "Beseitigung" von Baghdadis Überresten sei "angemessen" gehandhabt worden und abgeschlossen.
Der IS-Chef hatte sich in der Nacht zum Sonntag bei einem US-Militärangriff auf sein Versteck in Nordwestsyrien durch Zünden einer Sprengstoffweste selber getötet. Seine Bestattung erinnert an jene von Osama bin Laden: Auch die Überreste des 2011 bei einem US-Militäreinsatz in Pakistan getöteten Chefs des Al-Kaida-Terrornetzwerks waren im Meer beigesetzt worden.