"Retortenbabys" - erste Analyse von genetischem Material eines Embryos in einer Nährlösung.
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Wien. Menschliches Erbgut findet sich an unerwarteten Orten. Unsere DNA ist nicht nur in Zellen, im Speichel oder im Blut nachweisbar, sondern auch in den synthetischen Nährflüssigkeiten, die bei der künstlichen Befruchtung per In-vitro-Fertilisation (IVF) verwendet werden.
Der Wiener IVF-Pionier Wilfried Feichtinger und seine Kollegen haben einen Tropfen des Kulturmediums untersucht, in dem die befruchtete Eizelle zum Mehrzeller (Blastozyste) heranwächst, bevor er in den Mutterleib eingesetzt wird. Das Ergebnis verblüffte die Forscher: In der Flüssigkeit fand sich genetisches Material von Mutter und Vater, das sich extrahieren und vervielfältigen ließ, wodurch eine genetische Untersuchung möglich wurde. Die Analyse nach fünf Tagen der Embryonalentwicklung in dem Medium zeigte eine Monosomie am Chromosom 12, die ein frühzeitiges Absterben des Embryos verursacht, sowie eine Trisomie am Chromosom 21, die Down Syndrom zur Folge hat. Der Befund deckte sich mit jenem aus der Polkörper-Diagnostik - eine gängige Methode an einem Abfallprodukt der Eizelle zur genetischen Untersuchung bei IVF.
"Schon zuvor wurden im Rahmen von Studien Proteine und andere Substanzen gemessen, die Blastozysten in die Umgebungsflüssigkeit ausstoßen", erklärt Feichtinger: "Wir haben nun untersucht, ob auch Zellbestandteile austreten können - immerhin durchstechen wir die Eizellhülle bei der IVF einige Male."
Die Beobachtung, dass eine komplette und korrekte Chromosomenanalyse am Material in der Flüssigkeit durchgeführt werden könne, sei so weit ein Mal - und zwar dieses Wochenende - gemacht worden. "Jetzt müssen wir herausfinden, in wie viel Prozent der Fälle wir genug Chromosomen finden, um eine Aussage treffen zu können, und ob es in jedem Fall geht", sagt der Chef des "Wunschbaby Instituts". Wenn sich die ersten Ergebnisse als wiederholbar herausstellen, "wäre das eine medizinische Sensation."
Die genetische Analyse der DNA im Kulturmedium könnte eine elegante Möglichkeit darstellen, um befruchtete Eizellen auf Überlebensfähigkeit, Erbkrankheiten und andere schwere genetische Schäden zu testen. "Wir müssten dazu nicht mehr entwicklungsfähige Zellen biopsieren, sondern könnten uns die abgestoßenen Zellen in der Nährlösung anschauen."
Seit der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes Anfang des Jahres ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), also die invasive Untersuchung des künstlich befruchteten Embryos vor der Einsetzung in die Gebärmutter, unter streng geregelten Voraussetzungen erlaubt. Liegen sie nicht vor, greifen IVF-Mediziner zur Polkörper-Diagnostik, für die nicht die Eizelle selbst biopsiert werden muss, sondern nur deren Abfallprodukt mit dem abgestoßenen, identischen Chromosomensatz. Der Nachteil ist, dass hier nur der weibliche Anteil überprüft werden kann. Wenn sich die neue Beobachtung bestätigt, lässt sich das Erbgut beider Eltern risikofrei überprüfen und wären genetische Untersuchungen am Embryo wohl leichter zu machen. Die Folgen bleiben abzuwarten.