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Das erfolgreichste Mittel gegen Spaltung ist Begegnung

Von Robert Schafleitner

Gastkommentare

Städte und Gemeinden als Keimzellen des sozialen Zusammenhalts.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ob in großen Metropolen oder 1.000-Einwohner Gemeinden: Wir erleben aktuell eine massive und weiter zunehmende gesellschaftliche Polarisierung. Während die Bewohnerinnen und Bewohner unserer Städte immer vielfältiger werden, schwinden die kohäsiven Kräfte. Gleichzeitig geht der Wille, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, vielerorts verloren. Es bilden sich dadurch isolierte gesellschaftliche Gruppen, und das Verständnis für andere schwindet.

Die Merkmale, die zur Abgrenzung herangezogen werden, sind mittlerweile hoch komplex und vielschichtig. Traditionelle Konfliktlinien - städtisch gegen ländlich, religiös gegen agnostisch, alt gegen jung, arm gegen wohlhabend, konservativ gegen progressiv, autochthon gegen neu zugezogen - reichen häufig nicht mehr aus, um Konflikte zu erklären. Verstärkt durch moderne Kommunikationstechnologien werden die tiefen Gräben innerhalb und außerhalb von Sozialen Medien immer klarer erkennbar.

Die Blase ist das neue Sinnbild für die Abkopplung der eigenen Lebensrealität. Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft gelangen so gar nicht mehr in den eigenen Wahrnehmungsbereich. Einige Kommentatoren erkennen in diesen Tendenzen bereits eine gesellschaftliche Verrohung die an die 1920er und 1930er Jahre erinnert, als bereits einmal die Gesellschaft auseinanderdriftete, mit katastrophalen Konsequenzen.

Diese negative Gesellschaftsdiagnose wurde in jüngster Zeit durch stetig neue innenpolitische und internationale Vorfälle gestützt. Doch fehlen den Entscheidungsträgern häufig die passenden Lösungen, um gegen die Spaltung anzukommen. Die zentrale Fragestellung bleibt: Wie finden wir wieder zusammen?

Begegnung als Grundlage des sozialen Friedens

In der Theorie ist das Gegenmittel zu gesellschaftlicher Spaltung einfach: Das Zauberwort heißt Begegnung. Der soziale Zusammenhalt hängt im Wesentlichen von vorhandenen Kontaktmöglichkeiten ab. Bereits seit den 50er Jahren ist bekannt, dass positiver und persönlicher Kontakt Vorurteilen entgegenwirkt. Haben verschiedene gesellschaftlichen Gruppen miteinander zu tun, so besagt die Kontakthypothese, dass Vorbehalte abgebaut werden oder erst gar nicht entstehen. Denn wer einander kennt, kann einander akzeptieren, und das Zusammenleben funktioniert reibungsloser.

Eine aktuelle Vielfaltsstudie der Robert-Bosch-Stiftung zeigt auf, warum es für uns wichtig ist, den sozialen Kitt zu festigen: Sind in Gemeinden die Akzeptanz von Vielfalt und der soziale Zusammenhalt stark ausgeprägt, so sind die Bewohnerinnen und Bewohner wesentlich zufriedener. Im Sinne einer glücklichen Lebensführung sollte es uns somit allen am Herzen liegen, dass wir die Begegnung zwischen diversen gesellschaftlichen Gruppen fördern.

Städten und Gemeinden stehen vielfältige Wege zur Verfügung, um diese Begegnungen aktiv zu ermöglichen. Ein sehr effizienter Weg ist es, sich gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohner auf Ziele zu einigen und sie auch bei der Umsetzung zu beteiligen. Eine Voraussetzung für erfolgreiche Partizipation ist dabei die Begegnung auf Augenhöhe. Die Wirksamkeit des gemeinsamen Engagements zu erleben, ist ein starkes Band, das Menschen eng verbinden kann.

Ein weiteres essenzielles Instrument, um Nachbarn zusammenzubringen, sind gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen (die freilich derzeit stark eingeschränkt sind). Denn: Begegnung passiert nicht einfach automatisch, häufig braucht es einen Anlass. Bereits bei der Planung muss man sich im Klaren sein: Wen spreche ich an? Und wen schließe ich dadurch aus? Dabei ist es essenziell, alle Gruppen aktiv zu beteiligen, insbesondere junge Menschen. Diese erleben meist, dass man ihnen zuhört, um zu erwidern, und nur selten, dass man sie anhört, um zu verstehen. Doch sind ihre Anliegen ebenso wichtig für den sozialen Zusammenhalt wie die aller anderen. Beteiligung von jungen Menschen bedeutet dabei auch, nicht nur die bereits Aktiven anzusprechen, sondern alle mitzunehmen.

Ein dritter Einflussfaktor ist der Raum. Nur wenn öffentliche Räume zur Verfügung stehen, an denen Menschen gut und gerne zusammenkommen, ist die Grundlage für sozialen Zusammenhalt gegeben. Viertens können in Städten und Gemeinden gezielt eines der vielen bereits erprobten Formate eingesetzt werden, um Hass abzubauen und ein Verständnis füreinander und Verbindungen miteinander herzustellen.

Modelle, von denen man lernen kann, gibt es in Wien viele: Die "Coole Straße" die in heißen Sommern kühle Orte der Zusammenkunft schafft, die Werkstatt "Junges Wien", die Jugendpartizipation aktiv lebt, oder die Brunnenpassage als Veranstaltungsort vieler Aktivitäten, um eine diverse Nachbarschaft zusammenzubringen. Diese und zahlreiche weitere internationale Projekte, die sich im heurigen Februar auf der Bürgermeisterkonferenz "NOW" in Wien präsentierten, sorgen dafür, dass der soziale Zusammenhalt gestärkt wird.

Was unseren Städten und Gemeinden aktuell fehlt

Begegnung findet auf der lokalen Ebene statt. Die meisten Kontaktmöglichkeiten von unterschiedlichen Gruppen finden sich direkt in der Nachbarschaft. Auch das Vertrauen der Menschen in ihre politische Vertreterinnen und Vertreter ist hier am stärksten ausgeprägt. Damit kommt Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern die zentrale Rolle zu, den sozialen Frieden zu gestalten. Doch trotz der Relevanz von Begegnungen und dem Wissen um die vielen Stellschrauben, um diese zu fördern, geraten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bei der Umsetzung häufig an ihre Grenzen.

Damit Städte und Gemeinden ihre Funktion als Keimzelle des sozialen Zusammenhalts erfüllen können, müssen die nötigen Rahmenbedingungen auf höheren politischen Ebenen geschaffen werden. Das betrifft zum einen die Finanzierung, um öffentliche Plätze attraktiv und sicher zu gestalten, von inklusiven Wohnprojekten und Nachbarschaftsinitiativen. Sozialer Zusammenhalt lässt sich nur schwer messen - doch wenn er funktioniert, ist das in Städten und Gemeinden stark spürbar. Die Ausstattung von Städten und Gemeinden für Begegnungsinitiativen mit den notwendigen Ressourcen ist daher eine zentrale Voraussetzung, um die Lebensbedingungen in Kommunen zu verbessern.

Zum anderen ist ein reger Austausch über besonders erfolgreiche Praktiken über Landes- und Parteigrenzen hinweg unverzichtbar. Nur gemeinsam können wir der Spaltung unserer Gesellschaft entgegenwirken. Darin kann der Austausch über erfolgreiche Praktiken entscheidend sein, wenn Erfahrungen die andernorts gemacht wurden, in der eigenen Gemeinde angewandt werden. Die weitaus schwierigste Voraussetzung ist es jedoch, dass politische Entscheidungen auf allen Ebenen sozialen Zusammenhalt priorisieren. Denn nur wenn sich ein respektvoller Umgang und wertschätzende Begegnung von der Verankerung in Sonntagsreden auch in die politisch gelebte Praxis verlagert, kann sie in jeder Gemeinde und jeder Nachbarschaft erfolgreich sein.