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Das Erlebnis steht im Mittelpunkt

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

"Work is Theatre and every Business is a Stage": Für den angesehenen US-Ökonomen B. Joseph Pine erleben wir gerade den Übergang von der Dienstleistungs- zur Erlebnisökonomie. Hier wird die Arbeit zum Theater und jedes Unternehmen zur Bühne. Im Mittelpunkt, um den sich alles dreht, steht das Erlebnis. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläutert Pine, warum dieses - und nicht Güter und Dienstleistungen - künftiges Wirtschaftswachstum erst sicherstelle.


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Für etwas zu bezahlen, das früher einmal umsonst war: Das ist laut Pine der Schlüssel zu jeder wirtschaftlichen Entwicklung. Erst die Spezialisierung in eine Unzahl von Berufen habe zu unserem heutigen Wohlstand geführt. So wie vor einigen Jahrzehnten die industrielle Gesellschaft von der Dienstleistungsgesellschaft abgelöst wurde, stünden wir heute am Übergang zu einer Ökonomie, in der sich alles um das Erlebnis drehen werde.

Wer allein auf der Basis des Preises konkurriere, erzeuge im Grunde Massenware, die sich kaum oder überhaupt nicht vom Angebot der Wettbewerber unterscheide. Pine macht überzeugend klar, dass Güter und Dienstleistungen nicht länger genügen, dass das zukünftige Wirtschaftswachstum auf Erlebnissen beruhen wird. Für die Unternehmen werde sich alles darum drehen, wie sie neuartige Vorführungen für ihre Kunden inszenieren können.

Pine, der u.a. an der Universität von Kalifornien (UCLA) und an der MIT Sloan School of Management lehrt, identifiziert dabei das Erlebnis als neue ökonomische Kategorie, das sich von Dienstleistungen genauso unterscheidet, wie diese von Gütern. Bis heute sei das Potential von Erlebnissen allerdings weitgehend unentdeckt geblieben. "Wer eine Ware kauft, erhält etwas Greifbares; kauft er eine Dienstleistung, erwirbt er eine Kombination ungreifbarer Tätigkeiten, die in seinem Auftrag ausgeführt werden. Doch wer ein Erlebnis kauft, der zahlt dafür, für eine bestimmte Zeit lang ein unvergessliches Ereignis zu genießen, das ein Unternehmen inszeniert, um ihn auf eine persönliche Weise einzubeziehen", so Pine in seinem Buch "Die Erlebnisökonomie".

Im Prinzip also genau das, was stattfindet, wenn man in Wien ins Kaffeehaus, zum Heurigen oder nach Schönbrunn geht? Ja, allerdings verdiene man mit diesen Erlebnissen hierzulande, so Pine, in der Regel kein Geld, habe es noch nicht als Gut von Wert entdeckt.

Europa im Allgemeinen hinke hier aufgrund seiner mangelnden Flexibilität und rigiden Strukturen hinterher. Pine plädiert dabei im Sinne Schumpeters auf "schöpferische Zerstörung": Wer Wirtschaftszweige älterer Sektoren besonders fördere, verzögere den Strukturwandel, vernichte Wertschöpfung und behindere Innovationen. In den USA denke und handle man dagegen nach dem Motto "Bedürfnisse sind die Mutter jeder Erfindung".

Natürlich existierten Erlebnisse und das Bedürfnis nach ihnen seit jeher. Jetzt würden sie allerdings neu definiert und direkt angesprochen werden. Dass sich diese Vorstellung vom Erlebnis als Gut in einem Spannungsverhältnis mit dessen Authentizität befindet, ist Pine sehr wohl bewusst. Denn verliere es für den Einzelnen erst diese, habe es auch keinen "Wert" mehr. Wie dieses Spannungsfeld aufzulösen sei, will der Ökonom in seinem nächsten Buch erläutern.

Im Rahmen des "Wiener Stadtfests" hält Joseph Pine heute abend einen Vortrag im Kaleidoskop Kultiplexx, 1020, Zufahrtstraße 140/Prater, Einlass 19 Uhr.