Bei der Bestellung der Kommissionsspitze haben die EU-Abgeordneten das letzte Wort. Die Besetzung gehört verschoben.
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Am Abend des 26. Mai leuchteten die Sterne am Europa-Himmel besonders hell. Zum ersten Mal nach 20 Jahren waren bei einer EU-Parlamentswahl die Wähler gegenüber den Nichtwählern in der Mehrheit. In 20 Mitgliedsländern stieg die Wahlbeteiligung, EU-weit gegenüber 2014 um ganze 8 Prozentpunkte. Das Votum galt als Beweis für ein zunehmendes Interesse an europäischen Entwicklungen und kräftiges Lebenszeichen der europäischen Demokratie.
Einige Wochen später hat sich dieses Bild verdunkelt. Mit dem fast einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs, Ursula von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin zu nominieren, scheint das vor fünf Jahren erstmals erprobte Spitzenkandidatensystem ohne viel Federlesens begraben worden zu sein. Eine monatelange Kampagne des EU-Parlaments mit starker Ausrichtung auf die von den europäischen Fraktionen nominierten Spitzenkandidaten für den Kommissionsposten, die EU-weit um Wählerstimmen geworben hatten, wurde binnen 30 Stunden eines ihrer wichtigsten Eckpfeilers beraubt. Ein uneiniges EU-Parlament ermöglichte dem Europäischen Rat, die Spitzenkandidaten beiseitezuschieben.
Würde das EU-Parlament diesen Beschluss ohne weiteres akzeptieren, wäre dies nicht nur mit einer deutlichen Schwächung seines realpolitischen Einflusses verbunden, auch das eben erst wieder gestärkte Vertrauen in die EU wäre beschädigt.
Noch ist es aber nicht so weit. Bei der Bestellung des Kommissionschefs haben die EU-Abgeordneten das letzte Wort. Daran sollten sie sich jetzt erinnern und vorab auf eine verbindliche Reform des europäischen Wahlrechts drängen. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass das - nicht in den Verträgen festgelegte - Spitzenkandidatensystem weiterentwickelt gehört, will es sich nicht selber abschaffen. Niemand wird sich mehr als europäischer Spitzenkandidat aufstellen lassen, wenn die Staats- und Regierungschefs letztlich eine Person aus dem Hut zaubern, die in der gesamten Wahlauseinandersetzung in keiner Form in Erscheinung getreten ist. Die Parlamentarier sollten die Staats- und Regierungschefs jetzt in die Pflicht nehmen und ihre Zustimmung zur neuen Kommissionsspitze von einer grundlegenden Neuordnung des Spitzenkandidatensystems, mit transnationalen Wahllisten, abhängig machen.
Damit die Übung gelingt, müsste das EU-Parlament die Abstimmung an eine Reform des Wahlrechts koppeln, also den Ball zurück an die Mitgliedstaaten spielen. Damit könnten die Abgeordneten auch von der möglichen künftigen Kommissionspräsidentin eine detaillierte strategische Schwerpunktsetzung als Grundlage für ihre Wahlentscheidung einfordern.
Die gestiegene Beteiligung an den EU-Wahlen ist ein Auftrag, die demokratische Mitbestimmung auf EU-Ebene zu verbessern. Das System der Spitzenkandidaten war hierbei ein erster, wenn auch nicht zu Ende gedachter Schritt. Die EU-Abgeordneten verabsäumten es, sich mehrheitlich hinter einen der Spitzenkandidaten zu stellen. Jetzt liegt es an ihnen, ein besseres Wahlsystem durchzusetzen. Diese Chance sollten sie nutzen.
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.