Zum Hauptinhalt springen

Das EU-USA-Handelsabkommen gehört storniert

Von Kurt Bayer

Gastkommentare
Kurt Bayer ist Ökonom und war Board Director in Weltbank (Washington, D.C.) und EBRD (London) sowie Gruppenleiter im Finanzministerium.

Inhaltlich und demokratiepolitisch ist TTIP bisher ein Desaster.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

1. Zielsetzung dieses Handelsabkommens (TTIP) ist nicht das Senken von Zöllen und anderen Handelshemmnissen, sondern die Harmonisierung von Regulierungen. Das klingt nur harmlos.

2. Dies begünstigt Unternehmen und schadet Konsumenten - im Gegensatz zu Zollsenkungen, die eher Konsumenten nützen können.

3. Globale Handelserleichterungen können theoretisch Verbesserungen für alle bringen, in der Realität führen sie jedoch zunehmend zu Arbeitsplatzproblemen, Lohnsenkungen, Senkung von sozialen und ökologischen Standards, von Unternehmenssteuern und Umweltsteuern. Weitere Liberalisierungen müssen daher zwingend konkrete Schutzmechanismen enthalten.

4. Eines der Hauptprobleme bei TTIP ist der Klagsmechanismus (ISDS), der Klagen von Unternehmen gegen Staaten wegen Beeinträchtigung ihrer Gewinninteressen durch Normenänderungen vor privaten Schiedsgerichten erlaubt. Dies wirft massive demokratiepolitische Probleme auf:

a) Damit können ausländische Unternehmen Staaten klagen, aber nicht umgekehrt.

b) Damit wird das Rechtsmonopol der Staaten ausgehebelt (auch wenn Befürworter von der Entlastung der Gerichte schwärmen).

c) Derzeit ist kein Berufungsmechanismus vorgesehen.

d) Bisher waren solche Schiedsvereinbarungen - in tausenden Investitionsschutzabkommen enthalten - zum Schutz der Multis aus reichen Ländern, die in Ländern mit wenig rechtsstaatlichem Schutz investieren, enthalten, um ihre Investition vor Enteignung, Beeinträchtigung "legitimer" Interessen, etc. zu schützen. Warum braucht man so etwas zwischen entwickelten Rechtssystemen wie USA und EU?

e) Die bekannten Fälle (zum Beispiel Vattenfall gegen Deutschland wegen Energiewende, Philipp Morris gegen Australien wegen Aufdrucksverbot der Marke) greifen massiv in die Politikfähigkeit der Staaten ein, wenn Gesetze zum Schutz oder im Interesse der eigenen Bevölkerung eingeklagt werden - und im Erfolgsfall die Staaten hohe Bußen zahlen müssen.

Unternehmen lassen sich durch solche Verfahren auch das unternehmerische Marktrisiko von den Staaten, in denen sie ihre Waren verkaufen, absichern: Was unternehmen sie dann noch?

f) Mit dem ISDS werden heimische Unternehmen gegenüber ausländischen benachteiligt, da Erstere nicht klagen können.

5. Die Intransparenz des gesamten Aushandlungsprozesses hat zwar jetzt auf öffentlichen Druck hin zur Veröffentlichung des Verhandlungsmandats geführt, doch bleibt der Prozess extrem unbefriedigend. Laufende Informationen über Verhandlungsfortschritte sind nötig, es müsste auch eine Regel aufgestellt werden, wie bei Regulierungsunterschieden zwischen EU und USA vor-
gegangen wird. Wie wird die Regel harmonisiert: nach unten oder oben?

6. Als Voraussetzung für Zustimmung der Öffentlichkeit sind Transparenz, die grundlegende Richtung bei unterschiedlichen Standards, die Streichung des Streitbeilegungsverfahrens sowie vor allem die Verankerung ganz starker sozialer und ökologischer Konditionalität als zwingend vorgeschriebene Maßnahmen notwendig. Inhaltlich und demokratiepolitisch ist TTIP bisher ein Desaster.