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Das finnische Beispiel und die Türkei

Von Martyna Czarnowska

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Ohne Unterstützung ihrer Nachbarn kann die EU ihre Grenzen nicht sichern.


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Die Finnen müssen so einiges richtig machen. Zumindest beim Grenzschutz. Das skandinavische EU-Land hat die längste Außengrenze der Gemeinschaft: Gute zweitausend Kilometer hat es zu sichern, und an die 1300 davon teilt es sich mit dem Nachbarn Russland. Die Behörden sind stolz auf ihre modernen Kontrollsysteme, die Gesichtserkennungs-Technologie auf dem Flughafen, den Überwachungsapparat auf See, die Vernetzung der Informationen. Die Landgrenze jedoch markiert lediglich ein niedriger Zaun. Dennoch war die Zahl der illegalen Übertritte überschaubar: 80 Fälle wurden im Jahr 2011 verzeichnet, 67 waren es 2012 und gerade einmal 18 in der ersten Hälfte des Jahres 2013.

Die Antwort auf die Frage, warum es so wenige Einreise-Versuche gegeben hat, ist einfach: Russland. Dieses hat nämlich auf seiner Seite noch die Überwachungssysteme aus Zeiten der Sowjetunion erhalten - vier Meter hohe Zäune, dazwischen Erdstreifen, auf denen alle Spuren zu sehen sind, sowie tausende Grenzschutzbeamte.

Was das mit den aktuellen EU-Debatten rund um die Flüchtlingskrise zu tun hat? Dass das finnische Beispiel in die Diskussion um Grenzkontrollen einbezogen werden sollte, findet die Denkfabrik ESI (European Stability Initiative). Die Sicherung eines Gebietes hänge nämlich auch davon ab, ob die benachbarte Region ebenfalls dazu willens und fähig sei, illegale Migration zu verhindern und Menschen davon abzuhalten, in die EU weiterzureisen.

In einem aktuellen Diskussionspapier zieht die Organisation, die einen Sitz auch in Istanbul hat, eine Parallele zwischen Finnland/Russland und EU/Türkei. "Den Schlüssel zur Eindämmung der unkontrollierten Ankunft hunderttausender Migranten und Asylwerber in der EU hält die Türkei", heißt es in dem Dokument.

Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das Land, das selbst zwei Millionen syrische Flüchtlinge zu betreuen hat, der EU ohne weiteres verstärkt bei deren Grenzschutz helfen wird. Daher hat ESI einen Vorschlag: Deutschland, das ohnehin mit der Aufnahme hunderttausender Menschen rechnet, sollte in den nächsten zwölf Monaten eine halbe Million Asylwerber von der Türkei übernehmen. Umgekehrt würde sich die EU-Kandidatin dazu verpflichten, das Abkommen zur Rückübernahme von Migranten, die illegal in die Union eingereist sind, anzuwenden.

Das würde zum einen die Gefahr eindämmen, dass Schutzsuchende, vor allem aus Syrien, die Überfahrt über die Ägäis auf sich nehmen, weil sich ein legaler Weg in die EU öffnet. Auf der anderen Seite würde laut ESI eine weitere illegale Migrationsroute unattraktiver: Einwanderer aus Asien, die über die Türkei nach Europa gelangen wollen, müssten damit rechnen, wieder in die Türkei abgeschoben zu werden.

Solche Überlegungen waren beim Besuch des deutschen Außenministers in Ankara freilich kein Thema. Doch plädierte Frank-Walter Steinmeier sehr wohl für mehr Unterstützung für die Transitstaaten. Denn auch den EU-Politikern ist bewusst, dass diese nötig ist. Die EU-Kommission will daher bis zu einer Milliarde Euro für Flüchtlingshilfe in die Türkei fließen lassen. Ein Vielfaches davon hat das Land schon allein aufgebracht.