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"Das Foul gab es in der Wirtschaft"

Von Martina Madner

Politik
Rudi Kaske will noch sechs Monate lang eine "starke Stimme" für Arbeitnehmer sein.
© Christoph Liebentritt

Arbeiterkammer-Präsident Rudi Kaske macht sich für die Pflichtmitgliedschaft, aber auch gegen Angriffe von außen stark.


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Wien. Arbeiterkammer-Präsident Rudi Kaske kündigte am Dienstag an, sein Amt aus "rein familiären Gründen" Ende April 2018 zurückzulegen. Bis dahin gibt er sich aber noch kämpferisch, für die Rechte von Arbeitnehmern, aber auch gegenüber manchen Arbeitgebervertretern und einer künftigen ÖVP-FPÖ-Regierung.

"Wiener Zeitung": Der Grund Ihres Rückzugs besteht in der schweren Erkrankung Ihrer Frau. Verändert sich mit so einer Herausforderung der Blick auf die politische Arbeit?Rudi Kaske: Der Blick auf die Arbeit hat sich bei mir schon in den 90er Jahren verändert. Meine damalige Frau ist innerhalb von drei Monaten an Krebs gestorben. Damals war ich wesentlich jünger, natürlich ist die politische Arbeit im Vordergrund gestanden. In stillen Stunden fragt man sich, wo ist die Familie geblieben. Jetzt im zweiten Anlauf sage ich ganz klar, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die mit dem Beruflichen nichts zu tun haben. Das habe ich mir zu Herzen genommen, und werde nun für die Familie, für meine Frau da sein.

Ist der Zeitpunkt für die Sozialpartnerschaft nicht sehr ungünstig?

Der Zeitpunkt ist nie der richtige. Aber ich sage ganz klar: Das Haus ist gut aufgestellt. Wir haben ein hervorragendes Funktionärinnen- und Funktionärsteam, und ich gehe davon aus, dass die Entscheidung für die Zukunft durch die sozialdemokratischen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im ÖGB im ersten Quartal 2018 getroffen wird.

Was muss Ihr Nachfolger mitbringen? Wird es eine Nachfolgerin?

Ich schließe überhaupt nichts aus. Vom Anforderungsprofil her sollte das jemand sein, der die Organisation auch in Zukunft mit ruhiger Hand führt und seine politischen Ideen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umsetzt.

Auch Erich Foglar wird vermutlich nach der Amtszeit nicht mehr weitermachen. Wie würde die optimale Kombination aussehen?

Ich gehöre nicht zur Fraktion der Kaffeesudleser, aber die Chemie zwischen den Personen muss passen. Wie heißt es so schön: Es darf kein Blatt Papier zwischen ÖGB und AK passen.

Diese werden auf eine ÖVP-FPÖ-Regierung treffen. Wird der Einfluss von ÖGB und AK schwinden?

Sozialpartner sind keine Nebenregierung. Wir sind Ideenspender, das gilt auch für eine künftige Regierung. Es geht ja um die Interessen von 3,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Und mit Verlaub: Das sind mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten. Deshalb wird man nicht an unseren Ideen vorbeikommen. Wer das wider besseren Wissens tut, wird sehen, wie wir dann handeln. Aber es gilt der alte Grundsatz: Wir bewerten die Regierung danach, was sie für Arbeitnehmer tut.

Schwarz-Blau I begegnete die Gewerkschaft gleich am Beginn mit Streiks gegen die Pensionsreformpläne. Ist das eine Kampfansage?

Ankündigen tun wir gar nichts. Wir machen einen Faktencheck, wenn es ein Regierungsprogramm gibt, werden beurteilen, ob die Auswirkungen auf Arbeitnehmer ein Vorteil oder ein Nachteil sind. Und dementsprechend werden die Maßnahmen gesetzt.

Schon im Wahlkampf kündigten ÖVP und FPÖ Steuerentlastungen an, was sagen Sie zu den Plänen?

Da war von Entlastungen in Milliarden-Euro-Höhe die Rede. Wir wissen aber noch nicht, welche Maßnahmen letztendlich gesetzt werden. Die spannenden Fragen aber sind: Wie wird das gegenfinanziert? Heißt das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass man das, was man ihnen in die eine Tasche hineingibt, aus der anderen Tasche wieder herauszieht? Das werden wir beurteilen, wenn es am Tisch liegt, unsere Mitglieder informieren und dann in einen Dialog oder auch Gegensatz zur Regierung treten.

Die FPÖ will auch die Pflichtmitgliedschaft abschaffen. Würden Ihre Mitglieder bei gutem Service nicht freiwillig Mitglied werden?

Die ÖVP hat sich vor der Wahl zur gesetzlichen Mitgliedschaft in den Kammern bekannt. Ich gehe davon aus, dass das auch nach der Wahl gilt. Bei der FPÖ war die Haltung auch klar: das Ende der Mitgliedschaft durch eine Volksabstimmung. Ich glaube aber, dass die Mitglieder die Leistungen der Kammern am besten beurteilen können, und die sind sehr zufrieden. Von den 3,6 Millionen sind 2016 zwei Millionen mit Fragen zum Arbeits-, Steuer- und Insolvenzrecht, Bildung und des Konsumentenschutzes zu uns gekommen. Daher gehe ich davon aus, und unsere Befragungen zeigen das, dass es Zustimmung zur gesetzlichen Mitgliedschaft und auch zum Mitgliedsbeitrag gibt.

Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt, sich als AK diese Zustimmung selbst von den Mitgliedern abzuholen?

Ich will mich jetzt da nicht verbreitern, aber wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Für durchschnittliche Mitglieder macht der AK-Beitrag knapp unter sieben Euro im Monat aus, das sind zwei Melange. Der Vergleich macht uns sicher, würde man sich für unsere Leistungen privat versichern lassen, würde das wesentlich teurer kommen. Und wir sind eine Solidarorganisation: Über 800.000 Mitglieder bekommen die Leistungen wie alle anderen, zahlen aber überhaupt keinen Mitgliedsbeitrag. Warum? Weil sie entweder arbeitslos, in Karenz oder in Ausbildung sind. Daher denke ich, dass diese Debatte von jenen angefacht wird, die die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschneiden wollen, nicht von den Mitgliedern.

Die Wirtschaftskammer wird ihre Mitglieder ab 2019 um bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr entlasten. Ist die AK nicht reformbereit?

Sparen ist sehr populär, aber die Frage ist, wo wird gespart. In unserem Fall würde eine Beitragssenkung Leistungskürzungen und eine Schwächung unserer Mitglieder bedeuten. Dass sich das manche in der Industriellenvereinigung wünschen, ist klar. Wir stehen aber nicht für die fünf Prozent, die eine neoliberale Agenda haben. Wir stehen für die anderen 95 Prozent, die es sich nicht richten können.

Warum braucht die Arbeitnehmer-Seite mit AK und ÖGB aber zwei Organisationen?

Es gibt beim Gegenüber auch die Wirtschaftskammer, die Industriellen-, die Hotelier-, die Mittelstandsvereinigung und den Gewerbeverein, um nur fünf zu nennen.

Aber nur einer davon ist Sozialpartner. . .

Die Industriellenvereinigung redet da von einem Machtkonstrukt und gibt vor, von außen drauf zu schauen. Sie ist aber in diesem Machtkonstrukt ebenfalls dabei. Warum? Weil die Funktionäre der IV auch in der Wirtschaftskammer sind. Wir haben zwei Organisationen mit eigenem Auftrag: Der ÖGB arbeitet eng mit den Betriebsräten zusammen und verhandelt Kollektivverträge. Wir begutachten Gesetze. Wir sind, wenn Sie so wollen, die Denkorganisation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich denke, dass das eine gute Aufteilung ist. An der werden wir auch ins Zukunft nichts verändern.

Die Arbeitswelt verändert sich. Warum sträubt man sich, manches individueller im Betrieb zu lösen?

Das System hat sich bewährt, wir werden international darum beneidet. Eine Wifo-Studie und auch die Wirtschaftsdaten zeigen, dass wir gut damit fahren. Weshalb sollten wir das aufgeben?

Unser hohes Lohnniveau und wenig flexible Arbeitszeiten sind im internationalen Wettbewerb ein Nachteil. Sind die Wünsche nach mehr Flexibilität nicht verständlich?

Das ist eine völlig falsche Darstellung. Ich bin in den Betrieben unterwegs, habe vor kurzem in einem Industriebetrieb von 42 verschiedenen Schichtmodellen gehört, individuell auf die verschiedenen Abteilungen abgestimmt. Da von Inflexibilität zu sprechen ist die größte Chuzpe, von der ich in den letzten Jahren gehört habe. Und im Handel sind die dort Arbeitenden bei 72 Stunden Ladenöffnungszeit von Montag bis Samstag wohl höchst flexibel. Wenn es aber um Wünsche wie Zeitsouveränität geht, dann ist das Gegenüber nicht flexibel. Da gibt es auch keinen gesetzlichen Anspruch darauf. Hier würden wir gerne eine Weiterentwicklung haben. Wenn Überstunden über zwei Jahre auszugleichen sind, würde das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 1,3 bis 1,5 Milliarden Euro weniger im Geldbörsel bedeuten. Da kann man wohl nicht verlangen, dass wir das gutheißen.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat Ihre Position in der Arbeitszeitflexiblisierungsdebatte und die Angleichung von Arbeiter- und Angestellten vor den Wahlen als zwei Fouls bezeichnet. Ist die Stimmung nun gestört?

Sozialpartnerschaft funktioniert 365 Tage im Jahr, das gibt es Kooperation und Konflikte, am Ende des Tages aber eine Einigung. Man kann die Sozialpartnerschaft nicht auf zwei Themen reduzieren. Und das Foul ist eigentlich innerhalb der Wirtschaft passiert. Die Gleichstellung wurde von den Sozialpartnern verhandelt und dann wurde Präsident Leitl von einem Teil seiner eigenen Arbeitgeber ausgerichtet: Da darfst du nicht nachgeben. Deshalb war es umso spannender, dass im Wahlkampf dann nicht die SPÖ, sondern Sebastian Kurz, also die ÖVP, das Thema aufgegriffen hat. Deshalb umso unverständlicher, dass die ÖVP dann nicht mitstimmt. Da stellt sich mir die Frage, wer sind denn dann die Blockierer? Wir waren es nicht.

Der künftige Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer, ist er ein Sozialpartner, ein Zukunftspartner, ein Liberaler?

Ich kenne ihn seit langer Zeit, schätze ihn persönlich. Ich glaube, er ist ein Zukunftspartner, der innovativ denkt. Er sollte uns aber, wo er zwar designiert, aber noch nicht bestellt ist, nicht über die Öffentlichkeit ausrichten, was Sozialpartnerschaft ist. Das ist kein guter Stil.

Die Wirtschaftskammer hat mit der ÖVP künftig nach wie vor einen Partner in der Regierung, die Arbeiterkammer aber nicht. Schwächt sie das?

Wir sind ja nicht monocolor, die Kammern in Vorarlberg und Tirol sind ÖAAB-geführt.

Aber die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter hat eine satte Hausmacht in der Arbeiterkammer.

Ja, durch demokratische Wahlen. In Wien sind bei der AK Wahl zwölf Listen angetreten, wir haben mehr als 58 Prozent erreicht.

Sollten sie künftig nicht unpolitischer agieren?

Unser aller Leben ist sehr politisch, warum sollten wir uns bei unseren Interessen nicht weiterhin politisch artikulieren? Ich bin Sozialdemokrat. Ich sehe mich als der Vertreter aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Da geht es nicht um parteipolitische Interessen, sondern um gemeinsame Interessen über die Parteigrenzen hinweg. Wir bleiben eine starke Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das werde ich mit aller Kraft auch bis April so leben.