Daesung-dong ist die einzige Siedlung innerhalb der Waffenstillstandslinie, die beide Koreas trennt.
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Seoul. Wer das sogenannte "Friedensdorf" Daesung-dong besuchen möchte, muss zunächst mehrere Militärcheckpoints passieren, Straßenblockaden und ein Landminenfeld. Gleichzeitig jedoch durchqueren Besucher des 194-Seelen-Dorfes ein seit sieben Jahrzehnten von menschlicher Hand unberührtes Stück Natur. Daesung-dong ist die einzige Siedlung innerhalb der Waffenstillstandslinie, die seit 1953 beide Koreas am 38. Breitengrad voneinander trennt. Nur einen Kilometer entfernt findet am Freitag der innerkoreanische Gipfel statt.
Flagge zu Propagandazwecken
Auf den ersten Blick mag das verschlafene Dorf geradezu archetypisch für die südkoreanische Provinz wirken: Sandgelbe Backsteinhäuser säumen die leeren Straßen, unterbrochen von kleinen Gewächshäusern.
Bei genauerem Hinschauen mehren sich die Anzeichen, dass eine der hochgerüstetsten Landesgrenzen nur einen Steinwurf entfernt ist: Am Kirchplatz weht eine überdimensionierte Südkorea-Flagge auf einem 40 Meter hohen Fahnenmast. Aufgestellt wurde er zu Propagandazwecken, er ist kilometerweit sichtbar auf der nordkoreanischen Seite. Am Dorfeingang patrouillieren Soldaten mit Camouflage-Uniform und Maschinengewehren. Die Bewohner erzählen vom Leben mit der Sperrstunde ab Mitternacht. "Besonders im letzten Jahr, als der Nordkorea-Konflikt eskaliert ist, hatten wir eine harte Zeit", sagt Bürgermeister Kim Dong-gu auf dem Dach seines Gemeindezentrums, das einen atemberaubenden Panorama-Blick Richtung Nordkorea freigibt. Doch die Idylle trügt: Fast rund um die Uhr wurde das Dorf mit nordkoreanischen Propaganda-Lautsprechern entlang der Grenze beschallt, mit Marschmusik und politischen Botschaften.
Zudem stieg seit Donald Trumps verbalen Drohungen die Sorge um einen Militärkonflikt. Bürgermeister Kim sagt: "Dass jetzt Frieden in greifbare Nähe gerückt ist, fühlt sich an, als wenn eine dichte Wolkendecke von strahlendem Sonnenschein abgelöst wird." Man wünsche sich Frieden, wolle einfach seinem Alltag nachgehen können.
Grenztourismus-Spektakel
Die 62-jährige Jo Yeong-suk pflichtet bei: "Angst habe ich zwar nicht, aber das Leben hier ist ungleich härter." Sie erinnert sich noch gut daran, als sich ihr damals zehnjähriger Sohn Mitte der 1990er Jahre das Bein gebrochen hat. Allein zum nächstgelegenen Krankenhaus zu fahren war - ob der Militärcheckpoints und Passkontrollen - eine Tortur.
Am Freitag trifft Südkoreas Präsident Moon Jae-in auf Diktator Kim Jong-un zum ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen seit elf Jahren. Zusammentreffen werden die zwei Machthaber im südkoreanischen Teil des Friedensdorfs Panmunjom: Wo vor nun mehr 65 Jahren der Koreakrieg mit einem Waffenstillstandsabkommen beendet wurde, könnte nun der lang überfällige Friedensprozess zwischen den zwei Nachbarländern seinen Anfang nehmen.
Wer den historischen Ort entlang der Grenze besichtigen möchte, wird zunächst in einem Besucherraum des UN-Kommandos ideologisch gebrieft. Shuttlebusse führen dann die Reisegruppen vorbei an Minenfelder und Wachposten, während ein Soldat mit Pilotenbrille und Schirmmütze die Regeln erklärt: Nicht mit dem Finger Richtung Norden zeigen, nicht laut auflachen, Handys auf stumm stellen. Die Anspannung ist Teil des Grenztourismus-Spektakels, der einen Nachmittag Kalte-Kriegs-Stimmung für Schaulustige verspricht. Da passt es nur allzu gut ins Bild, dass Ex-Präsident Bill Clinton die DMZ als "furchteinflößendsten Ort der Welt" bezeichnet hat.
In der Tat kann die scheinbare Ruhe in Panmunjom jederzeit umschlagen. Am 18. August 1976 wurden hier zwei US-Soldaten von Nordkoreanern erschlagen, als sie eine Pappel fällen wollten. Grund des brutalen Mordes: Laut den Nordkoreanern hätte Staatsgründer Kim Il-sung einst jenen Baum gepflanzt. Acht Jahre später floh ein sowjetischer Doktorand bei einem Besuch in Panmunjom nach Südkorea. Damals kam es zu einem 40-minütigen Schusswechsel zwischen beiden Seiten.
Spektakuläre Flucht
Der vielleicht spektakulärste Vorfall ereignete sich erst jüngst im November, als ein nordkoreanischer Soldat in einem Jeep durch mehrere Absperrungen raste und schließlich die letzten Meter zur Grenze rannte. Seine Landsleute feuerten auf ihn und trafen den Abtrünnigen fünf Mal. Verwundet am Boden liegend, zogen ihn südkoreanische Soldaten in letzter Sekunde in Sicherheit. Später fanden Chirurgen einen 27 Zentimeter langen Wurm im Magen des Flüchtlings - ein Indiz für den Parasitenbefall nordkoreanischer Lebensmittel. Da chemische Düngermittel Mangelware sind, greifen Bauern auf Fäkalien zurück.
"Trotz aller Vorfälle sollte man nicht vergessen: Statistisch gesehen ist man in Panmunjom wesentlich sicherer als in jedem US-Bundesland", sagt Steve Tharp, ein stämmiger Mann mit Südstaaten-Akzent, schwarzer Sonnenbrille und Militärschnitt. Tharp kennt Panmunjom wie kaum ein zweiter, wegen seiner exzellenten Koreanischkenntnisse wurde der mittlerweile pensionierte US-Militär Ende der 1990er Jahre dorthin entsandt, um Verhandlungen mit den Nordkoreanern zu führen: "Ich war quasi der Mann mit den Geldkoffern, für keine Jobs zu schade." Etwa, wenn es darum ging, die Gebeine von im Koreakrieg gefallenen US-Soldaten von den Nordkoreanern ausgehändigt zu bekommen, feilschte Steve Tharp um den Preis.
Schnaps statt Ideologie
Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten verliefen jedoch oftmals geradezu herzlich ab, die ideologischen Fronten waren spätestens nach der zweiten Runde Schnaps vergessen. "In den neunziger Jahren war alles noch lockerer: Vor den Verhandlungen haben wir die Nordkoreaner mit Marlboro und Heineken versorgt - die wiederum brachten Schlangenschnaps mit. Am Ende lagen wir uns nicht selten lachend in den Armen", sagt Tharp.
Derzeit fühlt er sich jedoch wie in einer Zeitmaschine: Während der Sonnenscheinpolitik nach der Jahrtausendwende schienen die innerkoreanischen Beziehungen ebenfalls vor einem Durchbruch zu stehen, damals kam es zu zwei Gipfeltreffen zwischen Nord und Süd. "Letztendlich hat Nordkorea die ganze Welt geblendet - es ließ sich für die Verhandlungen mit üppigen Wirtschaftshilfen bezahlen und forschte heimlich an seinem Atomprogramm weiter", meint Tharp. Der Ex-Militär befürchtet, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen.