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"Das Gegenteil von Pop-up heißt Stillstand"

Von Christian Rösner

Politik
"Wir Grünen sind tatsächlich die Taktgeber, die Impulsgeber in den wesentlichen Fragen der Stadtpolitik", sagt Birgit Hebein im Interview zur Wien-Wahl.
© WZ/Moritz Ziegler

Das Hauptziel der grünen Spitzenkandidatin Birgit Hebein für die Wahl ist, Wien zur Klimahauptstadt zu machen.


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Die frühere Sozialarbeiterin und jetzige Verkehrsstadträtin Birgit Hebein (53) geht für die Grünen erstmals als Spitzenkandidatin bei der Wien-Wahl ins Rennen. Sie ist seit 2019 Vizebürgermeisterin und Ressortchefin und hat seither, wie schon ihre Vorgängerin Maria Vassilakou, mit einigen Initiativen vor allem im Verkehrsbereich für Aufregung gesorgt.

"Wiener Zeitung": Wie wirkt sich für Sie Corona auf das Wahlkämpfen aus?

Birgit Hebein: Es ist spürbar, dass Corona das Leben aller durcheinandergebracht hat und wir jetzt unter anderem auf die Hausbesuche verzichten müssen. Was mir persönlich sehr leidtut, weil ich es sehr schätze, wenn in einem gewissen Rahmen der persönliche Kontakt möglich ist.

Hat sich bei Ihnen auch alles auf Online verlagert?

Ja, obwohl wir weiter versuchen, im kleinen Rahmen auf Hinterhofflohmärkten oder Märkten anwesend zu sein, den Dialog zu suchen, um wenigstens ein bisserl ein Gespür zu kriegen, wie es den Menschen geht und was ihre Bedürfnisse sind. Das ist für mich sehr wichtig.

Wie sieht Ihr Wahlziel aus?

Prozentzahlen nenne ich nicht - ich hoffe, ich halte das durch bis zum Schluss. Es geht um das stärkste Wiener Ergebnis der Grünen, und es geht inzwischen auch um Platz zwei. Denn das Entscheidende am 11. Oktober wird sein: Geht es in Richtung Zukunft mit uns Grünen - heißt Klimahauptstadt Europas - oder in Richtung Vergangenheit mit Rot-Schwarz - heißt Asphaltieren, Betonieren und dass Meinungsumfragen wichtiger sind als Menschen. Wir sind die Einzigen, die ganz klarmachen: Wir können die Corona-Krise nicht bewältigen und gleichzeitig sehenden Auges auf die nächste, die Klimakrise, zurasen. Es ist klar, dass die SPÖ Erste wird. Aber sie hat sich noch nicht entschieden. Genau um das wird es am 11. Oktober gehen.

Alle Parteien sagen: Michael Ludwig wird auf jeden Fall Bürgermeister - könnte das nicht auch eine Taktik sein, um die Stammwähler der SPÖ zu "demobilisieren" - nach dem Motto: "Es bleibt eh alles beim Alten, egal ob ich wählen gehe oder nicht"?

Aber das sind reale Fakten. Alle Umfragen attestieren der SPÖ bei 40 Prozent und mehr - da ist es doch keine Überraschung, wenn man sagt, die SPÖ wird Erster werden. Aber bei einem muss ich Ihnen recht geben: Ich spüre bei den Gesprächen mit der Bevölkerung nicht den Wunsch, dass etwas komplett anderes kommen muss.

Man sagt Ihnen gute Kontakte zu den Bundes-Türkisen nach - wie sieht es diesbezüglich in Wien aus, wo es ja noch mehr "Schwarze" als Türkise gibt?

Ja, die SPÖ betont immer wieder das innige Verhältnis zur Wirtschaftskammer, zu den Schwarzen. Gleichzeitig weiß ich aber, sie wird eine Koalition mit den Türkisen eingehen müssen, falls sie sich dazu entscheiden sollte - denn Herr Blümel ist der Spitzenkandidat. Alles, was ich Ihnen noch dazu sagen kann, ist, dass es die Grünen in Wien braucht, damit Wien auch weiterhin die lebenswerteste Stadt bleiben kann.

Das geht mit den Türkisen nicht?

Nein, weil wir Grünen tatsächlich die Taktgeber, die Impulsgeber in den wesentlichen Fragen der Stadtpolitik sind. Wir haben das gemerkt beim sehr erfolgreichen 365-Euro-Ticket, wo die SPÖ zuerst gesagt hat: Geht nicht. Jetzt sagen wir, dass eine 35-Stunden-Woche für die Bediensteten der Stadt wichtig wäre, wenn wir als größter Arbeitgeber vorangehen wollen, um damit vor allem Frauen - Pädagoginnen und Pflegerinnen - zu entlasten und gleichzeitig 7.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Auch hier zögert die SPÖ, wie bei so vielen anderen Themen in den vergangenen zehn Jahren.

Angenommen, es kommt wieder zu Rot-Grün - was müsste sich aus Ihrer Sicht grundsätzlich ändern?

Ich werde jetzt keine Forderungen für Koalitionsverhandlungen aufstellen. Das Entscheidende für mich ist tatsächlich, dass wir Wien zur Klimahauptstadt machen - wenn wir nichts tun, wird sich unsere Stadt bis 2050 um 7,6 Grad aufheizen. Das hat gravierendste Auswirkungen. Wir haben extrem gute Vereinbarungen und Beschlüsse in der Koalition, aber den Schritt zu machen, es auch umzusetzen, halte ich für enorm wichtig und dafür sind wir da. Und seitdem ich Vizebürgermeisterin bin, habe ich von Anfang an gesagt: Verbinden wir die Klimakrise mit der sozialen Frage, denn es betrifft vor allem Kinder, alte und kranke Menschen. Und auch Corona stellt uns vor enorme Herausforderungen und ich sage auch immer wieder: Weder Wien wird es alleine schaffen, noch die Bundesregierung - das geht nur gemeinsam. Und deswegen sollten wir auch den Hickhack zu dem Thema aus dem Wahlkampf heraushalten, was aber gerade nicht besonders gut gelingt, wie man sieht. Wir Grünen reden von einem Aufbruch, den wir schaffen müssen, indem wir die Corona-Krise und die Klimakrise gemeinsam angehen. Das wird die entscheidende Frage sein in den nächsten Monaten.

Ist der für die Grünen doch sehr populistisch geführte Wahlkampf eigentlich als Zugeständnis für die Boulevardmedien zu verstehen?

Wie kommen sie auf so etwas?

In der Außenwahrnehmung hört man über Sie immer Dinge, die im Zusammenhang mit Pop-Radwegen, Pop-up-Begegnungszonen und kleine Sprühnebelanlagen stehen. Themen, die mehr oberflächliche Symptombehandlung als nachhaltige Ursachenbekämpfung darstellen und Ihren Namen oft in die Schlagzeilen gebracht haben.

Da muss ich Ihnen massiv widersprechen. Die temporären Begegnungszonen und Radwege waren reine Covid-19-Maßnahmen und dazu stehe ich. Ich bin diesbezüglich in engem Austausch mit Rudi Anschober und wir haben beim Lockdown bemerkt, dass das Platzschaffen, das Spazierengehen können enorm wichtig ist.

Und die Regierung die Bundesgärten gesperrt hat . . .

Ein Grund mehr, warum wir rasch handeln mussten. Das Gegenteil von Pop-up heißt Stillstand. Und es war richtig, öffentliche Plätze zu öffnen, denn laut Technischer Universität, die diese Maßnahmen begleitet hat, gab es zwischen 700 und 900 Radfahrten pro Stunde. Deswegen habe ich die Pop-up-Radwege auch um zwei Monate verlängert. Das kann man mögen oder nicht, ich halte das definitiv für die richtigen Maßnahmen.

Die sie medial für den Wahlkampf nützen können.

Ja, die Verkehrspolitik und der öffentliche Raum emotionalisieren stark. Aber ich habe von Anfang gesagt - und ich halte dieses Versprechen auch ein -, dass ich den öffentlichen Raum umverteilen werde. Ein Viertel aller Fahrten werden mit dem Auto getätigt und drei Viertel der Verkehrsflächen werden von den Autos ruhend und fahrend benutzt. Hier schaffe ich Platz für die Fußgängerinnen und Fußgeher, für die Radlerinnen und Radler - das sind auch die schützenswertesten Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Da gehören Begegnungszonen genauso dazu wie coole Straßen und eine Stadtplanung, wo wir Stadtteile mit günstigem Wohnraum, viel Freiraum und Zwischennutzungskonzepten mit Flüchtlingswerkstätten und Ähnliches entwickeln. Kurz: Klimaschutz, Wirtschaftspolitik und sozialer Zusammenhalt machbar ist.

Dann ist es die Schuld der Medien, dass Sie nur mit Begegnungszonen und Pop-up-Radwegen in die Öffentlichkeit kommen?

Es ist nicht meine Aufgabe, Schuldfragen zu klären. Dass Wahlkampf eine Zeit fokussierter Unintelligenz ist, wissen wir alle: Viel Kindergarten, viel Klopfen auf nicht vorhandene Brusthaare - da muss man mit Haltung durch. Aber ich halte die Verkehrsberuhigung der Inneren Stadt genauso für ein wichtiges Projekt wie Tempo 30 innerhalb des Gürtels oder eine neue Parkraumbewirtschaftung. Bei allen diesen Dingen geht es um die Zukunft der Stadt, das macht man ja nicht, weil einem gerade fad ist, sondern das ist Verantwortung, die wir tragen zum raschen Handeln. Und das sehe ich tatsächlich als meine Aufgabe.

Viele Menschen in der SPÖ vermissen bei Ihnen jene Handschlagqualität, die sie mit Maria Vassilakou hatten - sind Sie kompromissloser als Ihre Vorgängerin?

Wir haben in der Koalition gemeinsame Vereinbarungen getroffen. Und das heißt, wir wollen den CO2-Ausstoß bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Wir wollen den Anteil des motorisierten Individualverkehrs bis 2025 von 25 auf 20 Prozent reduzieren - zwischen 2013 und 2019 war es ein Prozent, das wir geschafft haben. Wenn wir also net anzahn, dann nehmen wir unsere eigenen Vereinbarungen nicht ernst. Ja, ich erlebe die SPÖ oft abgebremst und zögerlich, da muss man eben manchmal vorangehen.

Sie setzen also jene Dinge um, bei denen die SPÖ zögert, deswegen ist die SPÖ sauer auf Sie?

Ich erlebe, dass der SPÖ zum Beispiel manchmal Parkplätze wichtiger sind als die Vereinbarungen, die wir getroffen haben.

Ihre Vorgängerin hat bei ihrer letzten Wahl im Fall von Stimmverlusten ihren Rücktritt angekündigt und ist dann doch geblieben. Wie werden Sie es damit halten?

Ich sage keine Zahl, sondern spreche vom besten Wiener Ergebnis für die Grünen und bin guten Mutes, dass wir das erreichen werden.