Kandidaten-Kür für Nobelpreis verläuft noch sehr altmodisch. | Wer im Komitee für die Vergabe sitzt, wird überall hofiert. | Stockholm. (dpa) "Beim Nobelpreis sind wir altmodisch", seufzt Astrid Gräslund, ehe sie die Kandidaten-Kür für den berühmtesten Wissenschaftspreis der Welt erklärt: "Unsere Formulare lassen sich nur mit der Hand ausfüllen. Man muss sie auch mit der Post zurückschicken, Mails nehmen wir nicht an." Durch mehrere hundert handschriftliche Vorschläge mit (kurzer!) Begründung wühlen sich die Juroren jedes Jahr, ehe Anfang Oktober ein, zwei oder höchstens drei Chemiker einen Anruf aus Stockholm bekommen.
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Als "Ständige Sekretärin" des Chemie-Komitees in Schwedens Wissenschaftsakademie managt die Professorin für Biochemie nebenberuflich das genauestens vorgeschriebene Verfahren. Denn natürlich kann nicht jeder hergelaufene Hobby-Chemiker eine Nobelpreis-Initiative starten. Am Anfang stehen jedes Jahr "Einladungen" der Akademie an 2000 bis 3000 wissenschaftliche Einrichtungen und Chemie-Kapazitäten in aller Welt, bis 31. Jänner Vorschläge für den Nobelpreis nach Stockholm zu schicken.
Etwa 500 der Angeschriebenen antworten und schicken ihre Vorschläge. Gräslund sammelt sie in einem schön eingebundenen und geheimen Roten Buch: "Das ist groß und dick. Wir haben einige hundert Kandidaten, aber natürlich tauchen die meisten Namen ja immer wieder auf", berichtet sie und lächelt nur müde auf die Frage, ob man es mal anschauen dürfe. Sie selbst blickt immer wieder gerne rein: "Man bekommt einen einzigartigen Einblick in das, was sich forschungsmäßig so tut."
Mit sieben weiteren Mitgliedern im Chemie-Komitee wählt Gräslund im Frühjahr 20 bis 30 Namen im engeren Kandidatenkreis aus, für die dann weltweit Fachgutachten eingeholt werden. Nach den Sommerferien wird die Liste weiter "zusammengekocht". "Natürlich gibt es dabei Konflikte und auch unterschiedliche Vorlieben bei uns im Komitee", gesteht die Schwedin ein. Sie selbst freue sich immer besonders über einen Preis für Grundlagenforschung.
Jedes Jahr an einem Mittwoch im Oktober, nach dem Medizin- und dem Physikpreis und immer zwei Tage vor dem Friedensnobelpreis, wird von über hundert meist ergrauten und meist männlichen Mitgliedern der kompletten Wissenschaftsakademie die endgültige Entscheidung gefällt. "Es ist seit der ersten Vergabe 1901 einmal vorgekommen, dass die Akademie den Vorschlag des Komitees nicht angenommen hat." Da ging es wohl um innerschwedische Professoren-Fehden und Rachefeldzüge, man würde gern mehr hören.
So vage die Auskünfte hier bleiben, so entschieden weist die Komiteesekretärin die Vermutung zurück, dass es gezieltes "Lobbying" oder direkte Bestechungsversuche von Kandidaten oder anderen Interessengruppen für den Nobelpreis gibt. Immerhin kann diese Auszeichnung - neben der Ehre und der Dotierung von derzeit zehn Millionen Kronen (knapp einer Million Euro) - auch unbezahlbare Werbung für kommerzielle Aktivitäten von Preisträgern bringen.
Folgenlose Ermittlungen
"Im dunkelsten Afrika und Asien schlägt man sich schon einmal gegenseitig vor", berichtet die Schwedin mit etwas überraschender westlicher Überheblichkeit über etwas, was ihr Komitee überhaupt nicht mag. Gegen führende Mitglieder der Nobel-Komitees für Medizin, Physik und Chemie ermittelte die Staatsanwaltschaft vor zwei Jahren - folgenlos - wegen Verdachts auf passive Bestechung nach einer pompösen Einladungsreise durch China.
"Seitdem sind wir mit so etwas noch viel vorsichtiger", sagt Chemikerin, kann aber gewisse Dauerprobleme durch ihre Schlüsselrolle für Nobelehren nicht leugnen: "Man wird schon sehr zuvorkommend behandelt, wenn man auf Kongressen auftaucht." Bei der jährlichen Preisverleihung am Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833 bis 1896), dem 10. Dezember, hält Astrid Gräslund dann in Festkleidung die Fach-Laudatio auf den oder die Chemie-Preisträger.