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Das Geheimnis der Wälder

Von Christina Mondolfo

Wissen
© © © Yevgen Timashov/beyond/Corbis

Er ist ein Ort voller Geheimnisse, voller Leben und Entdeckungen. Und er ist in Gefahr - zumindest in vielen Regionen der Welt: der Wald.


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Unser Planet ist nicht nur ein blauer, sondern auch ein grüner - immerhin sind rund 31 Prozent seiner Oberfläche mit Wald bedeckt. Diese umgerechnet vier Milliarden Hektar erstrecken sich vom Meeresniveau bis zu einer Höhe von knapp 4000 Meter, doch die weltweite Verteilung insgesamt ist unterschiedlich: 2010 hielten fünf Staaten 53 Prozent des gesamten Waldbestandes, davon konnte Russland mit 809 Millionen Hektar ein Fünftel für sich verbuchen. Noch, denn gerade in der russischen Taiga geht die Abholzung massiv voran, ebenso wie in Ländern mit tropischen Regenwäldern - sie müssen Acker- und Weideflächen weichen und tropische Edelhölzer erfreuen sich weiterhin reger Nachfrage. Zwar nehmen die Waldflächen in Europa und hier besonders in Mitteleuropa zu, doch die grüne Lunge des Planeten leidet bereits unter Bronchitis . . .

Ein mystischer, gefährlicher Ort

Seit jeher machte der Wald den meisten Menschen Angst, sie sahen in ihm einen Ort voller Gefahren, der bevölkert war von geheimnisvollen dämonischen Wesen, die aus dem Schutz der scheinbar undurchdringlichen Dunkelheit heraus den Menschen Schaden zufügen konnten. Diese Geister und verschiedene Götter, die ebenfalls im Wald beheimatet waren, mussten etwa durch Opfergaben oder rituelle Tänze besänftigt werden, um diesen Ort einigermaßen gefahrlos durchqueren oder ihn auf der Jagd oder der Suche nach Beeren und Brennholz durchstreifen zu können. Während manche die Besonderheit des Waldes erkannten und heilige Haine daraus machten, in denen weder gejagt noch gesammelt werden durfte, sahen andere in ihm eine Bedrohung und gingen gnadenlos gegen ihn vor: So bewies etwa König Salomon keine große Weisheit, als er die berühmten Zedern des Libanon rigoros abholzen ließ. Abgesehen von der scheinbaren Gefahr, die in den Zedernwäldern hauste, war das Holz allerdings unter anderem begehrt für den Schiffsbau - das Bewusstsein um wirtschaftliche Vorteile war also schon damals nicht unbekannt . . .

Wie eng das Überleben menschlicher Zivilisationen mit dem Wald verknüpft ist, beweisen die Nasca oder die Bewohner der Osterinseln: Sowohl die peruanische Frühkultur als auch die polynesischen Entdecker von Rapa Nui zerstörten durch die komplette Abholzung der Huarango- beziehungsweise Palmbaumwälder ihre Lebensgrundlage, ihre Kulturen verschwanden. Das Einzige, was von ihnen blieb, sind geritzte Felszeichnungen und riesige Steinstatuen - und kahler, erodierter Boden . . . Aber auch die Wälder Mitteleuropas litten unter dem Expansionsdrang der Menschen: Anfang des 18. Jahrhunderts waren durch den großen Holzverbrauch von Köhlereien, Glashütten, Salzsiedereien, Bergwerken und Schmelzhütten, aber auch durch den Brennholzbedarf der Bevölkerung ganze Landstriche entwaldet. Ackerbau und Viehzucht taten ein Übriges, um das Voranschreiten verkahlter Flächen zu fördern. Doch bereits im selben Jahrhundert erkannte der deutsche Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz, dass die Leistungsfähigkeit des Waldes an ihrer Grenze angelangt war. In seinem forstwissenschaftlichen Werk "Sylvicultura Oeconomica" ("Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht") von 1713 hielt er die Idee und den Begriff der Nachhaltigkeit erstmals schriftlich fest: Es darf nur mehr so viel Holz geschlagen werden wie nachwächst.

Die tatsächliche Rettung der mitteleuropäischen Wälder begann jedoch erst mit der Erschließung fossiler Rohstoffe wie Steinkohle, Erdöl oder Erdgas, die Holz als Energieträger weitgehend ablösten. Doch da diese Rohstoffe nur mehr sehr begrenzt zur Verfügung stehen, macht sich hierzulande eine Trendwende zurück zu Holz bereits wieder bemerkbar.

Dramatische Waldverluste

Während also die europäischen Wälder zum Großteil in Sicherheit sind, schreiten die weltweiten Waldverluste seit Jahrzehnten voran, wenn sich auch das Tempo leicht verringert hat: Während zwischen 1990 und 2000 im Durchschnitt noch 0,20 Prozent (8,33 Millionen Hektar) des weltweiten Waldbestandes pro Jahr verlorengingen, waren es im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2010 jährlich 0,13 Prozent (5,21 Millionen Hektar). Die Fläche der jährlichen Waldverluste entspricht gegenwärtig in etwa der Größe von Costa Rica. Die größten Verluste verzeichnen Südamerika, Ost- und Südafrika sowie Süd- und Süd-Ostasien. So entspricht etwa der Waldverlust von jährlich 2,64 Millionen Hektar in Brasilien einem durchschnittlichen Verlust von fünf Hektar pro Minute, das ist eine Fläche von sieben Fußballfeldern.

Etwa 36 Prozent des weltweiten Waldbestandes sind Urwälder, rund 57 Prozent sind natürliche Wälder, die deutlich durch menschliches Handeln beeinflusst sind, 6,5 Prozent sind Waldplantagen. Urwälder sind einzigartige Ökosysteme und haben eine besondere Bedeutung für die Biodiversität sowie für viele natürliche Kreisläufe, daher ist ihre Zerstörung ein besonderes Problem. Umso dramatischer ist es, dass im Zeitraum 2000 bis 2010 jährlich mehr als vier Millionen Hektar Urwald zerstört oder verändert worden sind. Die veränderte Nutzung hat abgesehen von der verringerten Sauerstoffproduktion unter anderem beträchtliche Treibhausgasemissionen zur Folge, denn in den Böden und Wäldern sind große Mengen Kohlenstoff gespeichert, die bei der Abholzung als Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben werden. Zudem fallen die alten Baumbestände, die für die Akkumulation von Kohlenstoff besonders wichtig sind, auch für die Zukunft aus.

Angesichts dieser Bedrohung haben die Vereinten Nationen das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr der Wälder erklärt. Ziel ist, das Bewusstsein und Wissen um die Erhaltung und nachhaltige Entwicklung aller Arten von Wäldern zum Nutzen heutiger und künftiger Generationen zu fördern. Dabei soll auf die besondere Bedeutung des Waldes und einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung auch im Rahmen der Bekämpfung der Armut hingewiesen werden. Doch wenn weiterhin durch die illegale Schlägerung wertvoller Tropenhölzer oder die Schaffung von Weideflächen für Rinderherden das rasche Geld zu machen ist, sieht es besonders für die Tropenwälder Südamerikas oder Indonesiens schlecht aus . . . Dass dabei außerdem täglich rund 100 Arten verschwinden, was die Biodiversität massiv schmälert, ist nur ein weiterer Aspekt des dringenden Handlungsbedarfs.

Waldreiches Österreich

Österreich kann einen Waldanteil von 47 Prozent für sich verbuchen, das sind 3,3 Millionen Hektar forstwirtschaftlich genutzte Fläche. Die Steiermark und Kärnten weisen die größten Waldflächen auf. In unseren Breiten wachsen außer Nadelwäldern und Mischbeständen auch ausgedehnte reine Laubwälder mit den Hauptbaumarten Buche, Eiche, Ahorn und Esche. Der Bergmischwald aus Buche, Tanne und Fichte gilt hierzulande als die wuchskräftigste Waldformation. Mit steigender Höhe beherrscht die Fichte dann den Waldaufbau, zum Beispiel im Alpenraum. In den Alpen und den Sudeten findet man als Besonderheit noch die Lärche. Ganz speziell für Österreich ist jedoch die Zirbe, die heuer auch zum Baum des Jahres gekürt wurde: Rund um die Turracherhöhe erstreckt sich nämlich Europas größter zusammenhängender Zirbenwald. Zirben sind ein besonderer und seltener Vertreter von Nadelbäumen. Ihr Lebensraum ist an die Höhenzonen um die Waldgrenze gebunden, sie sind äußerst robust, extrem kälteresistent, langsam wachsend und sie werden bis zu 1000 Jahre alt. Die ältesten Zirben auf der Turracherhöhe sind geschätzte 500 Jahre alt. Ihr Holz ist dementsprechend widerstandsfest gegen Schädlinge. Und noch eine Besonderheit kennzeichnet diesen Baum: Die ätherischen Öle im Stamm wirken sich auf die Frequenz des Herzschlags aus. Studien der Grazer Universität haben bewiesen, dass Menschen, die in einem Bett aus Zirbenholz schlafen oder zumindest mit Zirbenspänen versetzte Polster und Decken verwenden, tiefer und ruhiger schlafen und am nächsten Tag ausgeruhter und fitter sind. Wer es ausprobieren möchte, kann dies im "Seehotel Jägerwirt" auf der Turracherhöhe tun: Dort hat man sich diese Erkenntnisse zunutze gemacht und 25 Zimmer mit Zirbenholzbetten ausgestattet, die ab sofort den Gästen geruhsame Nächte und aktive Tage versprechen.

Romantisch und künstlich. Heutzutage hat der Wald in unserer aufgeklärten Gesellschaft natürlich jegliche Schrecken verloren, er wurde zum Erholungsgebiet, zum Treffpunkt für ein romantisches Stelldichein, zum Abenteuerspielplatz für Groß und Klein und zum vielbesungenen oder -besprochenen Mittelpunkt diverser Lieder, Romane und Filme. Dass sogar eingefleischte Städter einen gewissen Bezug zum Wald haben, äußert sich wohl im Begriff "Großstadtdschungel" als Bezeichnung für den urbanen Lebensraum. Dass es dann aber im Dschungel Oasen in Form von künstlich angelegten Wäldern, sprich Parks, gibt, ist dann doch etwas seltsam - ein Wald im Wald gewissermaßen . . . Denn im Grunde genommen müsste es im Dschungel eine Lichtung geben und auf einer solchen wachsen bekanntlich keine Bäume. Aber wenn es deren zu viele gibt, sieht man ja schließlich den Wald auch gar nicht mehr . . .

Ausstellung:

Im Wiener Museum für Völkerkunde ist noch bis 28. Mai 2012 die Ausstellung "Wald/Baum/Mensch" zu sehen. Über 600 Objekte aus dem Bestand des Museums dokumentieren das Verhältnis des Menschen zum Wald, zeigen mythische Verflechtungen und die Nutzung, aber auch die Ausbeutung des Waldes. Museum für Völkerkunde: Neue Burg, Heldenplatz, 1010 Wien, T: 01/525 24-5052 oder 5053, www.ethno-museum.ac.at, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag von 10 bis 18 Uhr.