In einer Ära, in der jeder zu allem eine Meinung hat, behielt die Queen die ihre eisern für sich.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ein Staatsoberhaupt stirbt nach 70 Jahren im Amt, wird als Symbol seiner Nation weltweit betrauert - und alle Politikerinnen und Politiker stellen sich die Frage: Wie konnte es der Queen nur gelingen, beinahe universalen Respekt und stratosphärische Zustimmungswerte zu erreichen?
Die Antwort fällt durchaus differenziert aus: Elizabeth II. war nicht immer diese unantastbare Ikone, sondern durchlebte sehr wohl Phasen, in denen sie die öffentliche Meinung polarisierte, allen voran in Zusammenhang mit ihrer Schwiegertochter Diana. Am Höhepunkt ihrer Unpopularität beugte sich die Queen dem Druck der öffentlichen Meinung und bezeugte angesichts des Unfalltods der "Königin der Herzen" öffentlich Respekt und Empathie.
Die Queen musste also, wie jeder andere Politiker auch, Rücksicht auf die Stimmungen nehmen. Als Monarchin auf Lebenszeit war sie allerdings nicht dem demokratischen Prozess regelmäßiger Wahlen unterworfen. In anderen Worten: Sie konnte Krisen einfach aussitzen und auf bessere Zeiten warten. Wer dabei in Jahrzehnten denken darf und nicht im Hamsterrad einer atemlosen News-Gesellschaft mitlaufen muss, verfügt als öffentliche Figur über einen unschätzbaren Vorteil.
Entscheidend für die allgemeine Akzeptanz war jedoch ein anderes Kennzeichen ihrer außerordentlichen Amtszeit: Die Queen achtete peinlich darauf, keinen Streit, keine Auseinandersetzungen zu verursachen. In einer Ära, in der jeder und jede zu jedem und allem eine Meinung hat und diese unablässig mitteilt, behielt Elizabeth II. ihre eigene konsequent und eisern für sich.
Ein solches Selbstverständnis ist, zugegeben, unvereinbar mit unseren Vorstellungen von einer liberalen Öffentlichkeit und Demokratie, deren Grundlage und Substanz die friedliche Austragung entgegengesetzter Interessen und unterschiedlicher Positionen sind. Doch je mehr der Dissens das öffentliche Klima prägt, desto mehr macht sich eine Sehnsucht nach Refugien von Gemeinsamkeit und Einigkeit breit, die sich bedingungslos dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Wer die zahllosen Nachrufe und persönlichen Erlebnisschilderungen einfacher Menschen, normaler Prominenter und echter Weltstars in Großbritannien verfolgt, gewinnt eine Ahnung von der Lebensleistung dieser Frau.
Das wirft die Frage auf, wer in Österreich - und jedem anderen Staat - diese öffentliche Integrationsaufgabe auszufüllen vermag. Die Gesellschaft, die keine solche einigende Kraft benötigt, ist noch nicht erfunden. Zumal mit dem Dissens die Notwendigkeit steigt. Nur machen wir uns das inmitten des täglichen Getöses viel zu selten bewusst.