13 Forschungseinrichtungen sollen am "Human Brain Project" beteiligt sein.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Innsbruck/Wien. Kann ein Computer genau so funktionieren wie das menschliche Gehirn? Bisher sagten Wissenschafter: Nein. Der Computer verarbeite Informationen linear, das Gehirn könne dagegen viele Dinge gleichzeitig bedenken und sei zu komplex, um elektronisch nachgeahmt werden zu können.
Wissenschafter der Medizinischen Universität Innsbruck und das Institute of Science and Technology Austria (Ista) in Maria Gugging könnten diese These auf den Kopf stellen. Im Rahmen des "Human Brain Project" (HBP) wollen sie zusammen mit elf weiteren europäischen Forschungseinrichtungen einen Hochleistungscomputer bauen, der das Gehirn simulieren soll. Das Projekt, das Neurowissenschaften und Informationstechnologien revolutionieren soll, wurde am Dienstag in Innsbruck präsentiert. Ziel des "Human Brain Project" soll sein, alle Aspekte unseres Denkorgans zu messen. "Die Hirnforschung kennt bereits viele Teilfunktionen des Gehirns. Wir wissen, wie einzelne Zellen funktionieren, wie sie genetische Information verarbeiten, Verknüpfungen mit benachbarten Zellen bilden und einander Signale übertragen", erklärt Alois Saria, Leiter der Abteilung für Experimentelle Psychologie der Medizinuni Innsbruck: "Aber wir wissen nicht, wie das Gehirn als Ganzes funktioniert."
Die Hirnforschung gilt als einer der wichtigsten Forschungsbereiche des 21. Jahrhunderts. Jährlich erscheinen weltweit 60.000 Publikationen in der Neurologie. Doch kein einzelner Hirnforscher ist in der Lage, all diese Daten zusammenzufügen.
Diese Arbeit soll nun ein Super-Computer übernehmen. Er soll mit mathematischen Modellen gefüttert werden, die anhand der bereits vorhandenen biologischen Erkenntnisse erstellt werden. Aus ihnen kann der Rechner die fehlenden Teile ableiten - ein bisschen, wie man fehlende Worte anhand vorhandener Buchstaben und gestellter Fragen in einem nicht vollständig ausgefüllten Kreuzworträtsel einsetzt. "So können wir etwa erfahren, wie komplexe Nervenzellen funktionieren", sagt Saria. Und er fügt hinzu: "Klimaforscher oder Astronomen arbeiten ähnlich, wenn sie Modelle der Umwelt erstellen oder Bereiche des Kosmos ergründen."
Die Forscher haben sich viel vorgenommen. Immerhin ist unser Gehirn 300.000 Mal leistungsfähiger als heutige Hochleistungs-Computer. Das "Human Brain Project" ist eines von sechs Pilotprojekten der Future and Emerging Technologies (FET) Flagship-Initiative der EU. Im Frühjahr 2013 werden zwei Flaggschiff-Projekte der europäischen Forschung ausgewählt, die für eine Dauer von zehn Jahren mit einem Budget von bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet werden sollen. Wenn es den Zuschlag erhält, wird das "Human Brain Project" in Bedeutung und Größe mit dem Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf vergleichbar sein.
"Das würde einen enormen Innovationsschub für die Hirnforschung bedeuten", erklärt Peter Jonas, Hirnforscher am Ista. Ganz zu schweigen von den Informationstechnologien. Um das menschliche Gehirn simulieren zu können, soll innerhalb des HBP eine neue Generation von Supercomputern, genannt "neuromorphe" Computer, geschaffen werden. Die Struktur ihrer Chips soll der Architektur der Nervenzellen des menschlichen Gehirns gleichen.
Computer, die auf Gefühle reagieren können
"Statt wie heutige Prozessoren nur linear zu rechnen, sollen diese neuartigen Chips Informationen auch parallel verarbeiten können, so wie unser Gehirn, und zwar mit der Leistungsaufwendung einer Glühbirne von 40 Watt", sagt Saria. Ein Computer auf dieser Basis könne bereits in fünf bis zehn Jahren gebaut sein.
Wird es aber jemals einen Computer geben, der genau so viel kann wie das Gehirn? "Es wird sicher gelingen, Computer zu bauen auf der Basis eines mathematischen Modells, das dem Gehirn sehr nahe kommt", so der Psychologe. Auch Modelle von Gefühlen werde man diesen Rechnern eingeben können. "Damit kann der Computer selbst zwar nicht fühlen, aber er kann sehr wohl reagieren auf die Emotionen von Menschen."
Das HBP könnte laut seinen Initiatoren auch die Erforschung von Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten neurologischer Erkrankungen erleichtern. Derzeit könnten viele Krankheiten des Gehirns, wie Alzheimer oder Parkinson, nur eingeschränkt behandelt werden, was Pflegekosten von jährlich 800 Millionen Euro nach sich zieht. Die notwendige Sanierung des maroden Gesundheitssystems könnte die EU-Fördergeber wohl durchaus für das Projekt motivieren.