Menschliches Gehirn ist groß, störungsanfällig und frisst viel Energie. | Nährwertreiche Kost wie Wurzeln, Knollen und Getreide nötig. | Berlin. Nichts ist nützlicher als ein großes Gehirn. Dennoch bringt die Natur bis heute unablässig Lebewesen hervor, die sich mit winzigen Denkapparaten begnügen müssen. Und gelegentlich bringt sie es sogar fertig, Gehirne zu verkleinern.
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Kürzlich haben die Zürcher Biologen Kamran Safi, Marc Seid und Dina Dechmann die Gehirngrößen, Körperformen, Jagd- und Ernährungsstrategien von 104 Fledermaus-Arten untersucht. Diejenigen, die sich auf die Insektenjagd in offenen Lufträumen verlegt haben, sind mit kleinen und schmalen Flügeln ausgerüstet. Damit können sie schnell fliegen, aber nicht gut manövrieren. Diese Fledermäuse leben in einer übersichtlichen Umwelt, die das Gehirn weniger beansprucht. Also haben sie sich ein kleineres zugelegt, das weniger Energie frisst.
Fledermäuse haben Gehirn an Umgebung angepasst
Genau entgegengesetzt ist die Evolutionsgeschichte jener Fledermäuse, die im Wald leben. Sie sind mit großen, breiten Flügeln ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, geschickt in der Luft zu manövrieren und blitzschnell jedem Hindernis auszuweichen. Derartige Kunststücke erfordern jedoch ein Gehirn mit einer beträchtlichen Rechenleistung.
Das menschliche Gehirn ist ein merkwürdiges Ding. Es ist übermäßig groß und komplex, ziemlich störungsanfällig, es frisst jede Menge Energie, und es ist eine Maschine mit nahezu unbegrenzten Einsatzmöglichkeiten.
In den Augen des britischen Evolutionsbiologen Robert D. Martin hat es wenig Sinn zu fragen, wofür eine Spezies ein größeres Gehirn braucht - denn schließlich könnte es keinem Tier schaden, klüger zu werden. Entscheidend sei vielmehr: Gehirne aufzubauen und zu unterhalten, kostet jede Menge Energie. Und ihr Wachstum ist bei den Säugetieren zum Zeitpunkt der Entwöhnung schon nahezu abgeschlossen. Also muss die Gehirngröße der Säugetiere in erster Linie davon abhängen, wie viel energiereiche Nahrung einer Mutter während der Schwangerschaft und des Stillens zur Verfügung steht. "Somit ist es in erster Linie der Energieumsatz der Mutter, der die Endgröße des Gehirns ihrer Nachkommen begrenzt", schlussfolgert Martin.
Delfine besitzen die meisten grauen Zellen
Oft wird behauptet, dass nicht nur Menschen, sondern die Primaten schlechthin mit einem größeren Gehirn als alle anderen Säuger ausgestattet wären. Doch bei den winzigsten unter den bisher untersuchten Säugern liegt der Prozentwert weit über jenem der Menschen. Die Säuger mit den meisten grauen Zellen sind die Delfine und ihre Verwandten.
Von den nicht-menschlichen Primaten hat der Kapuzineraffe das relativ größte Gehirn. Die Kapuzineraffen können nicht nur sehr geschickt mit Werkzeugen umgehen. Sie sind auch dafür bekannt, Feinschmecker zu sein und jede Kost zu verschmähen, deren Nährwert niedrig ist.
Irgendwann muss es den Frühmenschen gelungen sein, sich regelmäßig mit kalorienreicher Nahrung zu versorgen. Nach herkömmlicher Auffassung hat diese Kost entweder aus Aas oder aus dem Fleisch bestanden, das die Männer erbeuten konnten. Etliche Indizien sprechen allerdings dagegen. So waren die ältesten Hominiden kleinwüchsig und eher schlecht zu Fuß, und auch ihre Körperkraft war mäßig. Auch verfügten sie weder über genügend Intelligenz noch über schlagkräftige Waffen, um es mit den Raubtieren aufnehmen zu können. Ein anderes Szenario ist wahrscheinlicher. Danach sind die Frauen auf die clevere Idee gekommen, nach nährwertreichen Wurzeln und Knollen zu graben.
So konnte das Gehirn noch lange nach der Geburt weiterwachsen, die Intervalle zwischen den Geburten wurden kürzer als bei den Menschenaffen, und außerdem stieg die Lebenserwartung. Die Großmütter, die sich um die Enkelkinder kümmerten, gaben ihre Langlebigkeits-Gene weiter.
Doch etwas fehlt - nämlich die mehrfach ungesättigten Fettsäuren, ohne die das exzessive Wachstum des Gehirns nie hätte in Gang kommen können. Sie sind weder in Wurzeln und Knollen noch in fleischlicher Nahrung ausreichend enthalten. Also müssen sich die Frühmenschen ein Zubrot verschafft haben. Dabei könnte es sich um Meeresfrüchte gehandelt haben, aber auch um Maden. Maden sind regelrechte Kalorienbomben, sie sind reich an Kalium, Phosphor und Magnesium. Und allem Ekel zum Trotz haben sie einen entscheidenden Vorzug: Sie sind absolut keimfrei.
Spucke sorgt für Größe und Leistungsstärke
Es gibt noch eine Erklärung. Nach Auffassung des Anthropologen Nathaniel Dominy verdankt der Mensch sein außergewöhnlich großes und leistungsstarkes Gehirn in erster Linie einer Flüssigkeit - der Spucke. Kürzlich haben Dominy (Universität von Kalifornien) und sein Team 50 hell- und dunkelhäutigen Studenten Speichelproben und einige Zellen der Mundschleimhaut entnommen. Es kam Aufschlussreiches zu Tage.
Im Speichel stießen sie auf unterschiedliche Mengen des Enzyms Amylase, das für die Zerlegung der Stärke entscheidend ist. Entscheidend waren die Zellen aus der Mundschleimhaut: bis zu 15 Kopien des Gens AMY1, das die Bauanleitung für das Amylase-Protein liefert. Dies zeigte, dass desto mehr Amylase produziert werden kann, je mehr Kopien des Gens zur Verfügung stehen.
Es kam zu Tage, dass die Schimpansen arm dran sind. Weil sie mit nur zwei Kopien dieses Gens ausgerüstet sind, machen sie um stärkereiche Nahrung einen Bogen und greifen lieber zu leicht verdaulichen Früchten.
Nach Dominys Theorie besteht das ganze Erfolgsgeheimnis des Homo sapiens in seinem ungewöhnlich amylasereichen Speichel. Damit war er den anderen Primaten von Anfang an überlegen, denn anders als sie konnte er stärkehaltige Knollen wie Karotten, Erdäpfel oder Zwiebeln nutzen. Später erfand er das Kochen, was es ihm ermöglichte, seinen Speisezettel zu erweitern. Auch erfand er die Landwirtschaft, die seitdem ungeheure Massen von Stärkespendern wie Reis, Mais, Bohnen und Weizen hervorbringt. Und so gelang es dem Menschen, genug Nahrung zu produzieren, um sein immer mehr Energie fressendes Gehirn zu unterhalten.