Selbstfahrende Autos sind noch Zukunftsmusik. Wie das in der Praxis funktionieren könnte, wird momentan getestet.
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Wie von Geisterhand dreht sich das Lenkrad, nachdem sich der weiße Ford Fusion mit dem schwarzen Scheckmuster in Bewegung gesetzt hat. Der Fahrer, wenn man ihn so nennen kann, wählt das Ziel per Knopfdruck auf seinem Tablet aus und schon setzt sich das selbstfahrende Auto auf der etwa zwei Kilometer langen Teststrecke am südwestlichen Stadtrand von Graz mit einer Geschwindigkeit von rund 30 Stundenkilometern in Bewegung. Anfangs verspürt man ein leichtes Kribbeln im Bauch, wenn man das erste Mal im Leben mit einem selbstfahrenden Auto mitfährt. Dass der Sicherheitsfahrer jederzeit eingreifen kann und das Team des steirischen Forschungsunternehmens Virtual Vehicle sehr gelassen wirkt, helfen allerdings dabei, dass sich die Fahrt nach den ersten paar Minuten bald sehr normal anfühlt.
16 Sensoren, darunter Kameras, Radar und das sogenannte Lidar-System, das nicht sichtbares Laserlicht ausstrahlt, helfen dem Auto dabei, auf Kurs zu bleiben und zwischen einer freien Fahrbahn und etwaigen Hindernissen zu unterscheiden. Auf einem Bildschirm im Cockpit lässt sich das Sichtfeld der Sensoren live mitverfolgen, ein im Kofferraum platzierter handelsüblicher PC dient sozusagen als Gehirn der Fahrt. Doch nicht auf alle Eventualitäten ist das autonome Gefährt derzeit vorbereitet: Als der Ford Fusion in einer Kurve zu nah an den Randstein gerät, übernimmt wiederum kurzzeitig der Fahrer das Steuer.
Europa und die USA: Zwei gegensätzliche Zugänge
Dass es einen Sicherheitsfahrer geben muss, ist in Österreich und Deutschland - anders als etwa in den USA und in China - gesetzlich vorgeschrieben. Und auch sonst unterscheiden sich die Zugänge bei der Erprobung von selbstfahrenden Autos in Europa und den USA deutlich. "Überspitzt formuliert sperrt man sich in Europa im Meetingraum ein und überlegt Szenarien wie ‚Was wäre, wenn jemand im Morgenrot einen roten Pullover anhat. Sehe ich den überhaupt?‘", erklärt Daniel Watzenig, technischer Direktor (CTO) bei Virtual Vehicle. Da komme man aber schnell vom Hundertsten ins Tausendste. "Alternativ macht man es wie die Amerikaner und fährt einfach und sammelt Daten und Erfahrungen."
Möglich ist das nicht zuletzt deshalb, weil in den USA ein System der Selbstzertifizierung gilt. "Du kannst dein Auto aufbauen und dann bist du auch schon fertig und kannst damit auf die Straße gehen", sagt Watzenig, der außerdem Professor für autonomes Fahren an der Technischen Universität Graz ist. Problematisch wird es allerdings, wenn das autonome Testfahrzeug etwa einen grob fahrlässigen Unfall verursacht. "Wenn du verklagt wirst, ist die Firma an die Wand gefahren und du wirst rechtlich belangt", Watzenig. "Ein Unfall und du bist um Jahrzehnte zurückgeworfen."
Österreich: Klare Vorgaben zur Verkehrssicherheit
In Österreich dürfen selbstfahrende Autos auf öffentlichen Straßen dagegen nur dann getestet werden, wenn es das Verkehrsministerium genehmigt. So will es die "Automatisiertes Fahren Verordnung", die dafür unter anderem eine Streckenanalyse, eine Risikobewertung und ein Risikomanagement auf einer im Vorhinein zu bestimmenden fixen Teststrecke verlangt. Diese Sicherheitsanalyse sei sehr bürokratisch gewesen, moniert einer der eingesetzten Ingenieure, während er Interessierten den selbstfahrenden Ford Fusion in Graz-Puntigam erklärt.
Projektleiter Joachim Hillebrand will das so nicht stehen lassen: "Das ist eine sinnvolle Arbeit. Wir haben in der Sicherheitsanalyse die ganze Strecke in einzelne Teile sequenziert und für diese Segmente individuell das Risiko analysiert. Da sind wir systematisch durchgegangen, was überall passieren kann." Ein Resultat der Sicherheitsanalyse war im konkreten Fall, dass der Sicherheitsfahrer den Ford Fusion auf einem Teil der Teststrecke der Vorsicht halber manuell steuern muss.
Wie weit die Technologie inzwischen ist
Eine Lanze für das europäische System bricht auch Martin Ruiss, der Geschäftsführer von AustriaTech. Die Kontaktstelle Automatisierte Mobilität dieser bundeseigenen Agentur fungiert gewissermaßen als Scharnier zwischen Organisationen, die selbstfahrende Autos in Österreich testen wollen, und dem Verkehrsministerium. Im Gegensatz zu Watzenig kritisiert Ruiss den US-amerikanischen Ansatz scharf: "Es gibt ein paar Technikfreaks, die haben coole neue Technologie, die an der Börse gut bewertet wird. Dass das dazu führt, dass es in Amerika ein besseres Mobilitätssystem geben wird, glaube ich nicht." Ruiss weist auch darauf hin, dass den US-amerikanischen Größen im Bereich der automatisierten Mobilität wie der Google-Tochter Waymo und der General-Motors-Tochter Cruise die "Infrastrukturbetreiber egal" sind, während es in Europa hingegen entsprechende Kooperationen gibt - wie etwa in Österreich mit der ASFINAG.
Selbstfahrende LKWs gegen den Fahrermangel?
Bleibt die Frage, wann es so weit sein wird, dass wir selbstfahrenden Autos als Selbstverständlichkeit auf unseren Straßen begegnen. Dazu lässt sich sagen, dass es in der Stufe 3 (siehe Grafik) des automatisierten Fahrens (hochautomatisiertes Fahren) mit dem Stauassistenten der Mercedes S-Klasse bereits ein am US-Markt zugelassenes Produkt gibt. Der Ford Fusion, der in Graz-Puntigam seine Runden dreht, ist hingegen bereits der Stufe 4 (vollautomatisiertes Fahren) zuzurechnen. Realistische Anwendungsszenarien wären hier in mittlerer Zukunft etwa Mikro-ÖV-Fahrzeuge, die die letzte Meile zwischen Bahnhof und Zuhause abdecken oder etwa auch selbstfahrende LKWs auf Autobahnen - die gerade aufgrund des zu erwartenden LKW-Fahrermangels an Bedeutung gewinnen dürften. "Das geht bei geringen Geschwindigkeiten und vordefinierten Routen schon sehr gut, aber nicht so, dass ein Hersteller sagt, ich übernehme die volle Haftung", sagt Watzenig. Stufe 5 wäre hingegen ein Auto, das in allen Situationen selbständig unterwegs sein kann. Das ist derzeit noch Science-Fiction.
Zurück nach Graz-Puntigam, dort wird der Ford Fusion von Virtual Vehicle im Rahmen des von der EU-geförderten Projekts SHOW als selbstfahrendes Gratistaxi zwischen dem Bahnhof und einem Einkaufszentrum getestet (Interessierte können noch zwischen 13. und 17. März von 14 - 18 Uhr mitfahren). Ziel des Projekts ist nicht zuletzt Feedback von der Öffentlichkeit einzuholen, sagt Christoph Pilz, Ingenieur bei Virtual Vehicle: "Wir haben zum Beispiel mitbekommen, dass sich die Leute oft fürchten mitzufahren. Das hatten wir überhaupt nicht auf dem Radar. Wir sind leidenschaftliche Techniker, wissen was funktioniert und wie gut es funktioniert." Das Team habe schließlich versucht, gerade ängstliche Leute zur Mitfahrt einzuladen: "Das Feedback ist dann so, dass sich die anfängliche Angst ins Gegenteil umkehrt. Plötzlich ist es den Meisten zu langsam, wenn wir nur 30 Stundenkilometer fahren", berichtet Pilz.