)
Im Südchinesischen Meer rostet zum Ärgernis Chinas ein havariertes philippinisches Schiff als militärischer Vorposten vor sich hin. Das Schiedsgericht in Den Haag klärt nun die Gebietsansprüche.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Peking. "BRP Sierra Madre". Das klingt ein bisschen nach Urlaub, Sommer, Sonnenschein. Doch auf dem havarierten Kriegsschiff, das auf einer etwa 1,5 Meter flachen Untiefe inmitten der Südchinesischen See festsitzt, möchte niemand Ferien machen: Die graue Stahlhülle ist von dicken Rostflecken überzogen, überall klaffen Löcher, Meerestiere haben es sich auf dem zerbeulten Schiffskörper bequem gemacht. Längst ist das Oberdeck morsch geworden. Wenn der Regen fällt - und das tut er oft -, tropft er in das Innere des schrottreifen Kahns. Türkisfarbenes Wasser umspült das trostlose Geisterschiff, das jeden Moment auseinanderzubrechen droht und sich perfekt als Filmkulisse für Endzeitfilme wie "Waterworld" eignen würde.
Und doch ist in der tropischen Hitze noch Leben an Bord: Neben Ratten und Kakerlaken schieben acht bis zwölf Soldaten der philippinischen Armee hier Dienst. Sie vertreiben sich den Tag mit Instandhaltungsarbeiten, gehen fischen und informieren ihre Angehörigen am Abend über ein Satellitentelefon, dass sie immer noch am Leben sind. Zu Hause in ihrer Heimat sind die bemitleidenswerten Marines Volkshelden. Regelmäßig berichtet das Fernsehen über ihren heldenhaften Einsatz für das Vaterland, das sich gegen einen übermächtigen Gegner zur Wehr setzen muss - gegen China.
Umstrittenes Niemandsland
Denn das morsche Schiff liegt nicht zufällig auf Grund, und der desolate Zustand soll nicht da-
rüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der "BRP Sierra Madre" um einen militärischen Vorposten handelt. Einst stand das 100 Meter lange Schiff im Dienst der USA und fuhr Einsätze im Zweiten Weltkrieg sowie später im Vietnam-Krieg. Danach übernahm es die philippinische Marine, die es 1999 mit Absicht an besagter Stelle auf Grund laufen ließ. In-
ternational ist der Ort als Second Thomas Shoal bekannt, die Philippinen nennen ihn Ayungin Shoal und die Chinesen sagen Renai Shoal dazu.
Schon die Namensgebung zeigt, dass die Situation verworren ist: Die Untiefe liegt inmitten der Spratly-Inseln, auf die neben den beiden Haupt-Kontrahenten auch Vietnam, Malaysia, Brunei und Taiwan teilweise überlappende Ansprüche erheben. Diese Gruppe von unbewohnten Inseln verteilt sich über eine Fläche von rund 427.000 Quadratkilometern, auf das Gebiet entfallen zehn Prozent des weltweiten Fischfangs, zudem werden unterhalb des Meeresbodens reiche Energievorkommen vermutet. Vor allem aber erklärt sich das Interesse durch die strategische Lage an einer der weltweit wichtigsten Schifffahrtsrouten.
Manila beansprucht die Untiefe als einen Teil seines Kontinentalsockels. China wiederum reklamiert fast alle Inseln und Riffe in der Südchinesischen See für sich; Pekings Anspruch auf fast 80 Prozent des Südchinesischen Meeres seien "unbestreitbar", betont das Außenministerium inzwischen fast wöchentlich. Schon seit einigen Jahren versucht die Volksrepublik nun, die Philippinen und andere Anrainerstaaten aus den von ihnen beanspruchten Gebieten herauszudrängen. Mit zunehmendem Erfolg: Baggerschiffe schütten Inseln und Riffe auf, die chinesischen Streitkräfte errichten Häfen und Flugpisten, auch Raketen wurden stationiert.
Philippinen reichten Klage ein
Manila hat auf den steigenden Druck mit zwei Antworten reagiert. Zum einen hat der Inselstaat das Bündnis mit den USA gefestigt. Zum anderen haben die Philippinen als erstes der betroffenen Länder 2013 eine Klage beim Schiedsgericht der Ver-
einten Nationen in Den Haag eingereicht, welche seit 2014 von Vietnam unterstützt wird. Die beiden Länder wollen durch das Gericht unter anderem klären lassen, ob die Ansprüche Chinas mit internationalem Seerecht vereinbar sind.
China droht mit Abschleppung
Peking sieht dies als selbstverständlich an und begründet seinen Anspruch offiziell historisch. Seit der Antike kreuzten chinesische Fischer in den Gewässern um die Paracel- und Spratly-Inseln. Es sei daher nur folgerichtig, dass die Volksrepublik diese Inseln nun besiedle und verteidige. China hat daher von vornherein seine Teilnahme an dem Schiedsverfahren in Den Haag ausgeschlossen und wiederholt angekündigt, ein Urteil in keinem Fall akzeptieren zu wollen. Unmittelbar vor dem Schiedsspruch am kommenden Dienstag hat die Volksrepublik Rhetorik und militärische Muskelspiele noch einmal verstärkt. Die chinesische Marine startete ein einwöchiges Manöver in der Südchinesischen See, das Staatsblatt "Global Times" forderte die Streitkräfte auf, sich auf eine "militärische Konfrontation" vorzubereiten und die USA in diesem Fall "einen zu teuren Preis" zahlen zu lassen. Zudem ließ die Zeitung "People’s Daily" in einem Leitartikel ausrichten, dass China "vollauf in der Lage sei", das havarierte Schiff der Philippinen abzuschleppen und nur wegen "guten Willens" Zurückhaltung zeige.
Auf der "BRP Sierra Madre" denken die Soldaten einstweilen nicht ans Aufgeben und bereiten sich ganz im Gegenteil darauf vor, im Falle einer Blockade durch-
zuhalten. Sie handeln aus Erfahrung: 1995 mussten philippi-
nische Soldaten vor einem Taifun ihren Stützpunkt auf dem Mischief Reef verlassen. Als sie zurückkamen, stellten sie verblüfft fest, dass sich dort in der Zwischenzeit die Chinesen einge-richtet hatten.