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Das Geld, die Menschen, die Kontrolle

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Eine "Aktionsplan" genannte Absichtserklärung und die Vorbereitung eines Flüchtlingsdeals mit der Türkei: Was der EU-Afrika-Gipfel brachte.


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Valletta. Der zweite und letzte Tag des europäisch-afrikanischen Migrationsgipfels in Maltas Hauptstadt Valletta begann mit einer Überraschung, aus Sicht der Repräsentanten der EU-Institutionen mit einer unangenehmen. Schweden gab bekannt, dass es für mindestens die kommenden zehn Tage wieder Grenzkontrollen einführt. Ein nationaler Alleingang, über den Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ebenso erst im Nachhinein informiert wurde wie Ratspräsident Donald Tusk. Aber immerhin vom schwedischen Regierungschef Stefan Löfven persönlich.

Donald Tusk reagierte auf die Neuigkeit betont gelassen, angesichts des transeuropäischen Trends zur Wiederaufnahme von Grenzkontrollen und schlimmerem laute das Gebot "Schengen zu retten." Dies stelle freilich "einen Wettlauf mit der Zeit dar. Aber wir sind entschlossen, diesen Wettlauf zu gewinnen". Alle Konzentration müsse jetzt darauf ausgerichtet sein, "die Außengrenzen der Union effektiv zu schützen", weil sonst sei Schengen "tot". Die mittel- und langfristige Strategie der EU lautet nunmehr Vorbeugung, der Kern des Problems soll angesichts des Status quo und
der daraus resultierenden Zukunftsängste vieler ihrer Bürger quasi an der Wurzel gepackt werden.

Nicht umsonst lautete die gemeinsame Sprachregelung der europäischen Regierungschefs, dass der Gipfel von Valetta erst den Anfang eines langen Prozesses darstelle und die hier beschlossene schnelle Auszahlung von 1,8 Millionen Euro Hilfe an 35 afrikanische Staaten erst den Startschuss für eine neue Politik. (Die in Malta ansässige EU-Asylbehörde European Asylum Support Office-EASO zählte in diesem Jahr rund 168.000 Asylsuchende aus Afrika; insgesamt registrierte die EASO 2015 bisher eine Million Asylansuchen, die meisten davon aus Syrien.) Der diesbezüglich vorgestellte "Aktionsplan" stellt eine Kombination aus vielen einzelnen, für sich genommen wenig spektakulären Maßnahmen dar, die aber als ganzheitliches Paket zu einer deutlichen Verringerung der Migrationsströme führen sollen. Als Gegenleistung zur besseren Kooperation bei Rückführungen und beim Kampf gegen die Schlepperei will die EU langfristig die Entwicklungshilfe erhöhen und Fluchtursachen bekämpfen.

Keine Auffanglager in Afrika

Was die Erleichterung der legalen Migration nach Europa betrifft, konnten die afrikanischen Länder, die zuerst von der EU fixe Aufnahmequoten gefordert hatten, einen kleinen, aber merklichen Erfolg erzielen. Der gemeinsam beschlossene Text sieht nun sogenannte "Pilotprojekte" vor, die bis spätestens Ende des Jahres 2016 implementiert werden sollen und im Rahmen derer "einzelne EU-Mitgliedsstaaten Angebote legaler Migration bündeln (etwa für Arbeit, Studium, Forschung oder Berufsausbildung)". Nicht erfüllt wurde der Wunsch der Europäer nach Aufnahmelagern für Flüchtlinge entlang der Transitrouten in Afrika selbst, und es deutet auch nichts darauf hin, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Nach der Unterzeichnungszeremonie unter den Aktionsplan - dessen Inhalte freilich erst in die Tat umgesetzt werden müssen, was nicht immer selbstverständlich ist - geriet das Thema Afrika indes schnell aus dem Fokus und alle Aufmerksamkeit der Türkei. In diesem Zusammenhang beabsichtigt die EU eine klare Linie, die sich folgendermaßen darstellt: Jetzige wie künftige Flüchtlingsströme sollen buchstäblich vor der Haustür gehalten werden, indem man der Regierung des seit kurzem wieder mit absoluter Mehrheit regierenden Recep Tayyip Erdogan nicht nur mehr Geld (am Nachmittag des Gipfels war von drei Milliarden Euro die Rede, die er angeblich fordert; bisher zahlte die EU 1,1 Milliarden), sondern auch eine politische Perspektive gibt, Stichwort EU-Beitritt. Details werden erst fürs kommende Wochenende erwartet, wenn sich die Vertreter der G20-Länder in Antalya treffen. Angesichts der Situation fürchten in- wie ausländische Kritiker Erdogans nicht umsonst, dass die EU künftig nicht mehr nur ein, sondern beide Augen zudrücken wird, wenn sein Regime gegen Presse- und Redefreiheit verstößt. Für den Gastgeber, Maltas sozialistischen Premier Joseph Muscat, gibt es trotzdem keine Alternative zur intensiven Einbindung der Türkei, und er ließ keinen Zweifel darüber, was sich die Türken erwarten: "Mehr als nur ein finanzielles Bekenntnis. Ein aufrichtiges politisches Bekenntnis."