Spekulanten und Risikoscheue: Berlin werden derzeit Kredite nachgeworfen.
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Wien. Geld herzuschenken ist an den internationalen Finanzmärkten äußerst unüblich. Dennoch bekamen einige europäische Staaten zuletzt Kredite von Investoren zu keinen oder sogar negativen Zinsen. Nach Dänemark und den Niederlanden war es am Montag erstmals in der Geschichte auch Deutschland, das davon profitierte: Die Bundesrepublik verkaufte am Montag Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von sechs Monaten. Die Rendite - quasi der Zinssatz - für diese Papiere beträgt minus 0,0122 Prozent. De facto bekommen die Anleger also am Ende des Tages weniger zurück, als sie eingezahlt haben.
Warum tun sie das? Dass die Geldgeber (anders formuliert) eine Prämie dafür bezahlen, dass sie einigen Ländern Milliarden borgen dürfen, geschieht alles andere als uneigennützig: Geht die Rechnung auf, verdienen sie am Ende des Tages deutlich mehr als den - vordergründig in Kauf genommenen - Mini-Verlust.
Peter Brezinschek, Chef von Raiffeisen Research, sieht hinter den Investoren sogenannte Geldmarktfonds, die einerseits kurzfristige, viel gehandelte Papiere kaufen, um gegebenenfalls rasch in ertragreichere Anlageklassen wechseln zu können, andererseits aber auch ein Auge auf positive Währungsentwicklungen haben. Der Euro stehe derzeit zum US-Dollar relativ niedrig, so Brezin-schek. Tatsächlich fiel der Kurs der Einheitswährung in der Nacht auf Montag auf 1,2666 Dollar und damit den tiefsten Stand seit September 2010. Steige der Kurs in den kommenden sechs Monaten auf 1,30 oder 1,32, wäre für Investoren aus dem Dollar-Raum ein ordentlicher Wechselkursgewinn möglich, so der Raiffeisen-Chefanalyst: "Das Geld wird nicht in den Rauchfang geschrieben."
Italien noch unter Beschuss
Brezinschek betont, dass bereits vor einigen Monaten die Schweiz negative Zinsen verzeichnen konnte. Investoren würden nicht nur sichere Papiere suchen, sondern auch ihr Portfolio diversifizieren. Schweizer Franken, dänische Kronen und deutsche Euro-Papiere wären zum Beispiel ein solcher Mix, meint der Experte mit Blick auf die Liste jener Länder, die von der günstigen Zinsentwicklung profitieren.
Eigentlich sind die Negativzinsen ein positives Zeichen für die Eurozone: Schließlich wetten die Geldgeber auf einen Kursanstieg der Einheitswährung - und damit unter anderem auch darauf, dass in einem halben Jahr mehr Klarheit bezüglich der diversen Stabilisierungsversuche in der Staatsschuldenkrise herrscht. Mangels Sicherheit für Investoren sind bei den Negativzinsen freilich jene europäischen Länder außen vor, die ganz besonders auf eine günstige Refinanzierung ihres Staatshaushaltes angewiesen wären: Italien und Spanien verkaufen diese Woche Staatsanleihen an den Finanzmärkten. Brezinschek sieht insbesondere für Italien beim derzeitigen Renditeniveau von 7,1 Prozent noch nicht unbedingt ein Ende der steigenden Finanzierungskosten.
Italien müsse im ersten Quartal alleine für die Rückzahlung bestehender Schulden 130 Milliarden Euro aufnehmen, so der Experte. Vor allem im Februar und im März seien große Tranchen fällig. Gelinge es der Regierung und Neo-Ministerpräsident Mario Monti tatsächlich, Struktur- und Arbeitsmarktreformen auf den Weg zu bringen, könnten Investoren bei 7,5 Prozent ein Renditeniveau sehen, dass das Risiko abdecke, meint Brezinschek.
Viele Experten gehen freilich generell davon aus, dass bei Zinsen jenseits der 7 Prozent eine eigenständige nachhaltige Finanzierung des Staatshaushaltes problematisch wird. Italien hat hier allerdings gewisse Vorteile, da es über eine eher langfristige Schuldenstruktur verfügt.
Keine Negativzinsen erwartet Brezinschek auch für Österreich: Zuletzt haben die Sorgen in Zusammenhang mit Ungarn die Renditen heimischer Staatsanleihen und die Kosten für Kreditausfallversicherungen für diese nach oben getrieben. Österreich will heute, Dienstag, Papiere mit vier- beziehungsweise zehnjähriger Laufzeit begeben.
Kein Vertrauen in Banken
Generell leidet die Eurozone weiterhin unter einem Vertrauensverlust in ihrem Banksystem. Dies könnte ein weiterer Erklärungsansatz für die zuletzt gesehenen Negativzinsen bei Staaten mit besonders guter Bonität sein: "Negativzinsen sind ein Zeichen, dass man den Banken nicht mehr über den Weg traut", meint Thomas Wacker, Leiter der Kreditanalyse bei der Schweizer UBS in der "Financial Times Deutschland". Anleger würden Zweifel hegen, dass einzelne Kreditinstitute große Summen auf einem Schlag zurückzahlen könnten. Das gelte etwa für große Unternehmen, die Bargeld kurzfristig anlegen möchten und sichergehen wollen, dass es nach ein paar Monaten zuverlässig zur Verfügung steht.
Tatsächlich scheinen die Probleme im Bankensektor ungelöst. Die Institute trauen einander seit Monaten kaum über den Weg und räumen einander keine kurzfristigen Kredite mehr ein. Nicht zuletzt, damit dieser sogenannte Interbanken-Markt in Gang kommt, hat die Europäische Zentralbank im Dezember die Geldschleusen geöffnet und den Banken fast eine halbe Billion Euro an Kredit für die ungewöhnlich lange Laufzeit von drei Jahren eingeräumt.
Eine Hoffnung war, dass dieses Geld auch in Staatsanleihen investiert wird und somit die Finanzierungssorgen der Euro-Staaten lindert. Das dürfte aber nicht funktionieren - denn das Geld kommt in Frankfurt durch die Hintertür wieder herein: Tag für Tag werden neue Rekordbeträge gemeldet, welche die Banken der Eurozone bei der EZB zu schlechten Konditionen parken. In der Nacht auf Montag waren es 463,6 Milliarden Euro - abermals ein Höchststand. "Die EZB kann nur Sorge tragen, dass ausreichend Liquidität vorhanden ist. Was weiter damit passiert, liegt nicht in ihrem Handlungsspielraum", sagt Erste-Analystin Gudrun Egger.
Im Kampf gegen die steigenden Zinskosten haben die Währungshüter dafür selbst ihre Staatsanleihenkäufe wieder deutlich hochgefahren: In der abgelaufenen Woche haben sie Schuldtitel aus Italien und Co. um 1,1 Milliarden Euro erworben. In der Woche davor waren es 462 Millionen Euro gewesen.
Egger erwartet, dass die Zentralbank noch weitere Schritte gegen die Eskalation der Krise setzen wird. Die sinkende Inflationserwartung werde es ihr erlauben, die Leitzinsen noch einmal unter das bisherige Tief von 1,0 Prozent zu senken. Bei der nächsten Zinssitzung am kommenden Donnerstag dürfte EZB-Chef Mario Draghi zwar noch abwarten. Noch im ersten Quartal erwarten die Erste-Analysten allerdings zwei Zinsschritte bis auf 0,5 Prozent.