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Das geliebte Stückwerk

Von Robert Schediwy

Reflexionen

Trotz struktureller Schwächen ist der Platz sehr viel besser als sein Ruf.


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Neulich war es wieder einmal so weit: In einem "Kulturmontag" des ORF wurde Stimmung gegen den Karlsplatz und den Resselpark gemacht. Die Bäume verdeckten dort die Gebäude, hieß es, und "mutige, kompromisslose" Architektur müsse her.

Wolfgang Kos, der scheidende Direktor des Wien Museums, vertraute uns an, der Karlsplatz sei in den 1980er Jahren ein gar fürchterlicher Ort gewesen, und erst der umstrittene blaugelbe Container der provisorischen Kunsthalle habe die Wende zum Besseren gebracht. Der Wien-Kenner vermerkt amüsiert bis alarmiert: Hier geht es wieder einmal um Stimmungsmache für ein Bauprojekt.

Vertane Chancen

Der Karlsplatz ist jener Teil der Ringstraßenzone, der die vielleicht unglücklichste Planungsgeschichte aller Wiener Plätze aufzuweisen hat. Otto Wagners schöner Entwurf für ein hier anzusiedelndes Stadtmuseum wurde leider nie verwirklicht (so mancher trauert ihm bis heute nach). Der Abriss des sogenannten Frühwirthhauses neben der Karlskirche und seine Ersetzung durch ein banales Versicherungsgebäude zählen zu den ärgsten Bausünden der 1960er Jahre. Um die Reste des altertümlichen Freihauses ist es heute noch schade, und manche Dachausbauten dekons-truktivistischer Art sind als Modetorheit zu werten - aber der Platz ist, so wie er sich heute darstellt, eigentlich besser als sein Ruf.

Gegen das Ergebnis des Gestaltungswettbewerbs im Gefolge des Baus der U-Bahnlinie U1 gab es eine ausgesprochene Medienkampagne. Eine Tageszeitung titelte etwa am 29. Mai 1977: "Verplant in alle Ewigkeit" und am 18. September 1977 sogar: "Der Horror am Karlsplatz", und ein Nachrichtenmagazin vom 25. April 1978 kritisierte die "Platzbejubelung" seitens offizieller Stellen.

Aber auch schon früher gab es immer wieder Konflikte um diese große, aber ungegliederte Freifläche, die durch die Einwölbung des Wienflusses und die Realisierung der Stadtbahn (heute U4) im Bereich Karlskirche zustandegekommen ist. Dem schon erwähnten, 1901 vorgelegten "Agitationsprojekt" Otto Wagners betreffend ein "Kaiser Franz Joseph Stadtmu-seum" folgte ein fast zehnjähriges Tauziehen, bis der Großarchitekt schließlich entnervt aufgeben musste. Auch in der wirtschaftlich schwachen Zwischenkriegszeit gab es immer wieder Versuche, den zentral und verkehrsmäßig günstig gelegenen Platz zumindest teilweise zu bebauen.

Ein Kino, ein Warenhaus, ein Ausstellungsgelände waren angedacht, renommierte Architekten wie Friedrich Ohmann, Josef Hoffmann und auch der junge Roland Rainer machten sich Gedanken. Realisiert wurde davon nichts. Allerdings standen hier seit Beginn der 1920er Jahre ziemlich schäbige Verkaufshallen an der Stelle des heutigen Wien Museums. Der Platz hatte, obwohl zentral gelegen, eigentlich vorstädtischen Charakter.

Wo lag das Problem? Die Karlskirche Fischer von Erlachs ist einer der bedeutendsten und eigenwilligsten Sakralbauten Wiens. Sie erhebt hier aber seit ihrer Errichtung einen monumentalen Dominanzanspruch, der weitgehend uneingelöst bleibt. Der großartige Kuppelbau mit seinen zwei - an Minarette, aber auch an die römische Trajanssäule erinnernden - Reliefsäulen würde es sich "verdienen", als Endpunkt einer großen Sichtachse (in Verlängerung der Herrengasse) zu fungieren, aber diese Möglichkeit wurde bei der Planung der Ringstraße verworfen. Die Situation vor dem U-Bahnbau bestand in einer äußerst kurzen, auf die Karlskirche zuführenden Straße und einer in mehrere "Splitter" zerteilten armseligen Grünfläche.

Die nach 1945 zum Ausdruck gebrachten Bauambitionen hatten eher kommerziellen Charakter (mehrere Vorstöße zielten etwa auf eine Ersetzung des bloß einstöckigen Künstlerhauses durch ein Bürogebäude). Häufig ging es dabei um eine Reduzierung der Platzfläche. Das gilt zum Beispiel auch für das Siegerprojekt des Wettbewerbs zur Gestaltung des Karlsplatzes und seiner Umgebung von 1946 von Adolf Hoch mit seinen, noch stark vom Neoklassizismus der sowjetischen und NS-Architektur geprägten Großblocks.

Der Wettbewerb von 1953 erbrachte dann den bescheidenen Bau des heutigen Wien Museums. Die Verkehrsplanung um 1973 (U1) hätte viel Schlimmes bringen können - unter anderem favorisierte eine Architektengruppe eine Hochstraße! Man bündelte aber die Verkehrsstränge in recht geschickter Weise und fasste die "Grünsplitter" des Resselparks zusammen. So entstand erst eine richtige Parkanlage.

Flaniert man von der evangelischen Schule zur Karlskirche, beginnt man sich zu fragen: Handelt es sich bei der heutigen Gestaltung in der Tat um eine "kulturelle Jahrhundertschande", wie das Kritiker behaupteten? Oder etwa doch um eine Aufwertung einer zuvor fragmentierten und herabgewirtschafteten Grünfläche? Ist der ovale Teich vor der barocken Kirche wirklich als Sakrileg zu werten, wie das manche empört anmerkten, oder doch als Glückstreffer? Ist die darin befindliche Plastik von Henry Moore als Fremdkörper anzusehen oder als bescheidener zeitgenössischer Kontrapunkt?

Beliebt, aber gefährdet

Der Verfasser ist nach eingehender Betrachtung zur persönlichen Schlussfolgerung gekommen: Der aktuelle Resselpark wird geliebt - und er scheint es zu verdienen! Seien es nun die Kinder der Evangelischen Schule, die sich hier in ihren Pausen, abgeschirmt vom Autoverkehr, beim Ballspiel austoben, seien es die Radler, die an der "alten TU" vorbeibrausen. Seien es die Studenten und Professoren, die in zwei Lokalen Gelegenheit haben, zu diskutieren, zu flirten und bei schönem Wetter den Garten zu genießen - der Karlsplatz, wie er jetzt aussieht, wird vom Publikum "angenommen".

Auch die Touristen scheinen zufrieden, wenn sie im Sommer ihre müden Füße im ovalen Wasserbecken vor der Karlskirche ausruhen können. Und die hier stattfindenden "Events"? Sie haben, von der städtebaulichen Studentenphantasie "Hypotopia" bis zum Adventmarkt, gegenüber jenen, die den Rathausplatz und die Ringstraße in Anspruch nehmen, etwas sympathisch Bescheidenes.

Der Wien-Kenner resümiert: Bei der Stimmungsmache gegen Karlsplatz und Resselpark scheint es wieder einmal um Raumgewinn für ein innerstädtisches Bauprojekt zu gehen, konkret um den bis Jahresende laufenden Wettbewerb für ein neues Wien Museum. Die Chance, in modernem Ambiente, konkret: beim neuen Hauptbahnhof, oder auf der Donauplatte einen interessanten zeitgenössischen Museumsbau zu gestalten, wurde leider aus unerfindlichen Gründen nicht genutzt. Im sensiblen Ringstraßenbereich könnte zwar, wie es heißt, mit durchaus bescheidenen Mitteln unterirdisch die gewünschte Vergrößerung des Museums geschaffen werden, Das Künstlerhaus, Ort mehrerer erfolgreicher Großausstellungen zur Wiener Geschichte böte sich ebenfalls an.

Jene Fraktion der Architektenschaft und des Kulturbetriebs, die ausgerechnet im unmittelbaren Umfeld der Ringstraße für "zeitgemäße" und "mutige", das heißt, den Maßstab der baulichen Umgebung sprengende Projekte eintritt, eröffnet aber offenbar eine neue Front jener Auseinandersetzung, die schon um "Wien Mitte" und den sogenannten "Leseturm" geführt wurde, und die heute die Eislaufvereinsgründe am Heumarkt betrifft. Die Kultur dient dabei als Türöffner - im Hintergrund warten die Investoren.

P. S.: Ein "Kunstprojekt" namens "Neues Vindobona" beunruhigte 2014 so manchen Besucher des Karlsplatzes. Es bestand aus einer Bautafel, die eine fast totale Überbauung der Grünanlage ankündigte. Letztlich nahm die Mehrzahl derer, die es wahrnahmen, die Sache als offenkundigen Jux - aber derlei hintergründig humoristische Interventionen haben schon auch ihr Moment der Wahrheit. Und ein Park voller störender Bäume ist manchen wohl wirklich ein Ärgernis.

Robert Schediwy, geboren 1947, lebt als Kulturpublizist in Wien. Verfasser zahlreicher Bücher, zuletzt: "Ringstraßenelegie. Der etwas andere Stadtführer durch Wiens Prachtstraße" (LIT Verlag, Wien, 2015)