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Das gemeinsame "Wir" in der Ökonomie

Von Richard Bärnthaler und Andreas Novy

Gastkommentare

Es ist höchste Zeit, sich vom verengten Verständnis von Wirtschaft zu lösen, das die jüngere Vergangenheit dominiert hat.


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"Gemeinsam schaffen wir das." Das ist der Duktus, mit dem, vom Bundespräsidenten angefangen, an Zusammenhalt und Solidarität appelliert wird. Nicht nur grüne Regierungsmitglieder, auch die türkisen sind sich diesmal einig: "Allen" muss geholfen werden, "niemand darf zurückgelassen werden". Anders als etwa in den USA und Ungarn fehlt hierzulande (noch?) jener unsägliche Sündenbock-Diskurs, der mit einfachen Schuldzuweisungen komplexe Probleme lösen will. Der öffentliche politische Wille ist klar und einheitlich, er umfasst auch die Opposition, die Sozialpartner und die überwiegende Mehrheit der Fachwelt und der Medien.

Dieser "Wir gemeinsam"-Diskurs hat auch das Reden über Wirtschaft erfasst, das Feld, von dem aus jahrzehntelang ein selbstbezogener Individualismus gepredigt wurde, der das Recht, als Konsument frei und ungehindert wählen zu können, zum Dogma menschlichen Zusammenlebens machte. Das freie Individuum sei nicht auf andere angewiesen. Eigenverantwortung bedeute, sich von kollektiven Sicherungssystemen zu emanzipieren, etwa durch private Vorsorgekassen, Wohnungseigentum oder Investitionen ins eigene "Humankapital". Wirtschaften heiße auch (Selbst-)Optimierung, so das Mantra der Wettbewerbsgesellschaft. Die uneingeschränkte Verfolgung von Einzelinteressen führe zum gesellschaftlichen Optimum.

Die Alltagsökonomie gewinnt in der Krise an Bedeutung

Dieses verengte Verständnis von Wirtschaft bestimmt heute nicht nur die Wirtschaftswissenschaften, sondern trat einen Siegeszug in immer neuen Feldern menschlichen Zusammenlebens an. Auch wenn die Fähigkeit, Abläufe zu optimieren, Kosten zu senken und Ressourcen zu sparen, tatsächlich wichtig für zukunftsfähiges Wirtschaften ist, untergräbt die einseitige Betonung des Optimierens den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität. Auch Einsparungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen zu identifizieren, ist sinnvoll. Doch niemals darf dies Selbstzweck und oberstes Ziel des Wirtschaftens sein. Covid-19 hat in wenigen Tagen geschafft, was die Sozioökonomik, eine an Karl Polanyi orientierte Disziplin, schon lange versucht: den Diskurs über Wirtschaften zu verändern. Endlich sprechen auch Regierungsmitglieder aus, dass "die Gesundheit" wichtiger ist als "die Wirtschaft". Das erinnert an die Kernthese der Sozioökonomik, dass nämlich die Wirtschaft in Gesellschaft und Natur eingebettet ist: Ohne sozialen Zusammenhalt gibt es keine zukunftsfähige Wirtschaft; ohne lebensermöglichendes Klima keine menschlichen Zivilisationen.

Covid-19 zeigt: Wirtschaften ist zuallererst die Organisierung und die Sicherung der Lebensgrundlagen. Wirtschaft dient menschlichem Zusammenleben. Sie sichert das geordnete Miteinander und ermöglicht es, den Alltag aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne ist Wirtschaften immer eingebettet in menschliche Gesellschaft, in Gemeinschaften, Freundeskreise, Familien, Vereine etc.

In der aktuellen Krisensituation gewinnt ein neues ökonomisches Konzept an Bedeutung: die Alltagsökonomie - all jene grundlegenden wirtschaftlichen Aktivitäten, die ein zivilisiertes Zusammenleben sicherstellen, von Wasser, Strom, Wohnen und Müllabfuhr bis zu Supermarkt, Post, Gesundheit und Pflege. Diese Sektoren repräsentieren mehr als ein Drittel des Volkseinkommens. Dafür gab es bisher wenig wirtschaftspolitische Aufmerksamkeit. Alltagsökonomie sind, vereinfacht gesprochen, jene Aktivitäten, die auch in Krisenzeiten tagtäglich gebraucht werden. Dies umfasst vor allem Nahversorgung und Daseinsvorsorge, also die wirtschaftlichen Aktivitäten des Sorgens - füreinander und miteinander.

Leistungsträgerinnen gesellschaftlich aufwerten

Diese Teile der Wirtschaft funktionieren anders als globale Märkte für Waren und Dienstleistungen, langfristiges ökonomisches Denken und Kooperation stehen stärker im Vordergrund als kurzfristige Gewinnmaximierung und bedingungsloser Wettbewerb. Sie sind die Grundlage funktionierender Gesellschaften, mit ihnen steht und fällt das gute Leben. Sie sind lokal und regional organisiert, produzieren Werte und Wohlbefinden "vor Ort".

In "normalen" Zeiten füllen globale Börsenberichte, Analysen von Hitech-Firmen, Exporterfolge und transnationale Investitionsabkommen die Wirtschaftsnachrichten. Und plötzlich, über Nacht, steht die Alltagsökonomie im Zentrum - und stehen Menschen, die schon lange zumeist unbemerkt und immer unterbezahlt die Voraussetzungen funktionierenden Alltagslebens sicherstellen, im Rampenlicht: Mit Kassiererinnen und Spitalspersonal gibt es neue Heldinnen, die das Rückgrat zukunftsfähigen Wirtschaftens bilden. Sie sind ohne Zweifel sympathischer als die Zuckerbergs und Musks. Und sie stehen für eine andere Art von Ökonomie: Für eine "Wir-Gemeinsam-Wirtschaft", in der die Leistungsträgerinnen nicht außergewöhnliche, zumeist männliche Einzelpersonen sind, sondern eine Vielzahl engagierter, fleißiger und kompetenter Menschen.

Wenn die Krise vorbei sein wird, bleibt hoffentlich die Erkenntnis, dass die Alltagsökonomie und die Heldinnen, die diese aufrechterhalten, die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen. Diese Leistungsträgerinnen, die allzu oft so wenig verdienen, dass sie nicht einmal Lohnsteuer zahlen, gilt es gesellschaftlich aufzuwerten. Wenn dies gelingt, wenn eine "Wir-Gemeinsam-Ökonomie" den Ausnahmezustand überlebt, dann könnte eine neue Balance aus wettbewerbsorientierter Marktökonomie sowie ver- und fürsorgeorientierter Alltagsökonomie entstehen. Sie würde unsere Gesellschaft freundlicher machen, und sie würde auch erlauben, andere Krisen mit der gleichen Haltung von Verantwortungsbewusstsein, Expertise und Solidarität anzugehen: allen voran die Klimakrise sowie menschliche Tragödien hinter den Zäunen der EU.

Richard Bärnthaler und Andreas Novy arbeiten an der Wirtschaftsuniversität Wien und haben zusammen mit Veronika Heimerl das Buch "Zukunftsfähiges Wirtschaften" (Beltz Juventa, 2020) verfasst.