Staatssekretär Harald Mahrer über die Sozialpartner und sein Verständnis bürgerlicher Politik.
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Wien. Seit Ende der 90er Jahre gärt es in der ÖVP: zu verzopft, zu konservativ, zu wenig liberal - vor allem auch im Sinne von wirtschaftsliberal - sei die Partei. Als Co-Koordinator des ÖVP-Evolutionsprozesses soll Harald Mahrer nun dafür sorgen, dass der liberale Flügel der Partei Gehör findet.
"Wiener Zeitung": Der konservative britische Vordenker Phillip Blond ist überzeugt, dass konservative Volksparteien deshalb auf die Krise keine mehrheitsfähige Antwort finden, weil sie - etwa im angelsächsischen Raum - neoliberal wurden oder - wie in Kontinentaleuropa - weil sie sich zu Sozialdemokraten wandelten. Wie sozialdemokratisch ist also die ÖVP?
Harald Mahrer: Überhaupt nicht. Ich teile durchaus etliche Überlegungen Blonds zu den Problemen bürgerlicher Parteien, etwa deren neoliberalen Irrweg in den USA und Großbritannien. Blond sagt aber selbst, dass wir in Mitteleuropa eine andere Richtung eingeschlagen haben, nämlich die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und Österreich. Wo seine Kritik trifft, ist, dass wir es verabsäumt haben, dieses Politikkonzept des sozialen und ökosozialen Ausgleichs für die Bürger verständlich herunterzubrechen. Und wir geben den Menschen auf Gemeinde- und Landesebene noch immer nicht genug Instrumente an die Hand, um gewisse Dinge selbst zu regeln. Doch der soziale Ausgleich gelingt uns wesentlich besser als in den USA oder Großbritannien, nur noch immer nicht gut genug.
Das bestreitet Blond gar nicht, seine Kritik zielt darauf ab, dass selbst bürgerliche Parteien zu sehr auf den zentralistischen, alles regulierenden Staat setzen.
Es muss Kernposition einer bürgerlichen Partei sein, auf der Seite des Bürgers zu stehen, nicht auf der des Staates. Es braucht natürlich einen passenden Rahmen, eine subsidiäre Ausfallshaftung, im Regelfall aber sollte den Bürgern so viel Freiraum bleiben, dass sie die Dinge so lösen können, wie sie es wollen.
Wie passt das zu Ihrer Forderung, Kindergärten sollten nicht länger Gemeindekompetenz sein, sondern beim Bund ressortieren?
Das ist differenziert zu diskutieren, zu viel Zentralismus ist oft sinnlos; wie Qualitätsstandards umgesetzt werden, wird besser vor Ort entschieden. Wir müssen weg von diesen verideologisierten Debatten und hin zu einer seriösen, evidenzbasierten Diskussion darüber, auf welcher Ebene wir die Dinge machen. Und meistens lautet die beste Lösung: möglichst nah an den Bürgern.
Derzeit geht der Trend aber genau in die andere Richtung.
Ja, ein solcher Zugang ist tatsächlich ein Bruch mit der österreichischen Wirklichkeit, wahrscheinlich sind auch deshalb etliche bürgerlich gesinnte Menschen derzeit unzufrieden mit der Volkspartei. Wir handeln oft in guter Absicht, glauben überall helfen zu müssen, vergessen dabei aber, dass wir eigentlich Freiheit und Selbstverantwortung hochhalten sollten. Wir müssen uns stärker an den Bedürfnissen der Bürger orientieren, nicht an jenen von Institutionen. Dazu wird uns allein schon der Druck auf die öffentlichen Finanzen zwingen. In vielen Einzelfällen ist unsere Verwaltung auch innovativ und heimst internationale Auszeichnungen ein; es gelingt uns nur nicht, diese Best-Practice-Beispiele auf ganz Österreich auszurollen.
Das klingt alles wunderbar, in der Praxis scheitern solche Bemühungen an den Mentalitäten von Ländern und Gemeinden, die oft gar nicht mehr Verantwortung übernehmen wollen. Bestes Beispiel die Debatte über die Unterbringung von Asylwerbern.
Politik ist Kommunikation. Natürlich dominiert gerade beim Asyl-Thema das Florianiprinzip, aber das hilft uns nicht weiter, wir brauchen tragfähige gesamtgesellschaftliche Lösungen - auch in Europa. Das ist mühsam, ja, aber ohne Alternative. Ich habe aber den Eindruck, dass wir jetzt auf dem richtigen Weg sind.
Haben die Sozialpartner in Österreich zu viel Macht? Immerhin sind diese im Unterschied zu den Parteien im Parlament nur höchst unvollkommen demokratisch legitimiert.
Nein, ich halte das für eine Überbewertung der Medien. Die Sozialpartner haben einen gewissen Einfluss, das ist auch gut so, aber das Gerede mit der Nebenregierung ist ein Mythos.
Kennen Sie ein Politikkonzept von SPÖ oder ÖVP, das nicht von deren Sozialpartnern erarbeitet wurde?
Grundsätzlich ist alles, was in Österreich in den letzten Jahren diskutiert wurde, im Dialog mit den Betroffenen erarbeitet worden; eine Seite allein hat da gar nichts erfunden. Und mittlerweile kommen viele Konzepte aus der Zivilgesellschaft. Aber es stimmt schon: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und unsere Institutionen und Organisationen wurzeln noch in der Vergangenheit. Mein Eindruck ist, dass sich die Sozialpartner um Antworten für unsere Zeit bemühen; dass sie dabei auch ihren eigenen Einfluss absichern wollen, ist legitim, das kann ich keiner politischen Organisation verübeln.
Wichtig ist: Der Blick muss stets nach vorne gerichtet sein. Für die Parteien bedeutet das, dass sie sich viel stärker für Ideen aus der Zivilgesellschaft öffnen müssen. Hier hat die ÖVP noch einiges zu tun, das betrifft aber das gesamte bürgerliche Biotop.
Als Präsident der ÖVP-nahen Julius-Raab-Stiftung haben Sie sich in einer Streitschrift mit dem Titel "Eigentum" vehement gegen neue Belastungen für Haus- und Wohnungsbesitzer ausgesprochen. Glauben Sie wirklich, diese Haltung durchhalten zu können, wenn es um die Refinanzierung der Steuerentlastung geht?
Wir sind der festen Überzeugung, dass Eigentum und dessen Aufbau politisch gefördert werden müssen, nicht beschnitten. Einfach, weil Eigentum persönliche und unternehmerische Freiheit sowie soziales Verantwortungsbewusstsein schafft. Deshalb müssen wir es mehr, nicht weniger Menschen ermöglichen, Eigentum aufzubauen. Hierfür sollten wir uns neue Wege und Instrumente überlegen und nicht ständig darüber nachdenken, wie die Politik den Menschen wieder etwas von ihrem hart erarbeiteten Eigentum wegschneiden kann. Glücklicherweise will auch Finanzminister Hans Jörg Schelling zuerst darüber nachdenken, um wie viel und wen genau wir zu welchem Zweck überhaupt entlasten wollen. Diese Fragen strukturiert anzugehen, ist sehr viel sinnvoller, als sich ständig irgendwelche Ideen über die Medien gegenseitig an den Kopf zu werfen.
Eine deutliche Entlastung von Arbeit würde Menschen, die sich das jetzt nicht leisten können, beim Aufbau von Eigentum unterstützen.
Das stimmt, daraus aber die zwingende Notwendigkeit höherer Steuern auf Eigentum abzuleiten, halte ich für verkürzt. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept und das wird kommen.
Aus Sicht der SPÖ steht all das schon längst fest: sechs Milliarden Euro Entlastung, Gegenfinanzierung durch Vermögens- und Erbschaftssteuern.
Solche Forderungen auf den Tisch zu legen, gehört zum politischen Geschäft. Jetzt müssen wir uns in der Regierung auf ein gemeinsames Konzept einigen, bei dem wir den Menschen auch erklären, warum das gut für das Land ist. Da könnten wir uns von der Art und Weise, wie die große Koalition und Angela Merkel In Deutschland regieren, ein Stück abschauen.
In Ihrem Grundsatzpapier wenden Sie sich auch gegen jedwede Form von Entwertung. Die gibt es in Österreich aber zuhauf, etwa im Pensionssystem: Höhere ASVG-Pensionen werden im Laufe von 20 Jahren durch eine Anpassung unter der Inflation um rund 20 Prozent entwertet - ohne dass darüber eine ehrliche Diskussion geführt wird.
Die Politik wird bei allen Fragen, die unser Sozialsystem betreffen, in Zukunft nicht darum herumkommen, alle Fakten offen auf den Tisch zu legen. Wir müssen uns endlich von der bisherigen Verschleierungspolitik verabschieden. Wer eine staatstragende Partei sein will, muss sich der Wahrheit stellen. Dieses Ausmaß an Ehrlichkeit gehört zur Aufgabe eines Politikers.
Harald Mahrer
Seit 1. September ist der promovierte Betriebswirtschaftler und Unternehmer Staatssekretär im Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium. Geboren in Wien 1973 ist Mahrer seit 2011 Präsident der ÖVP-nahen Julius-Raab-Stiftung. Als Student war er ÖH-Vorsitzender der WU Wien.