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Das Geschäft mit dem Müll

Von Petra Tempfer

Politik

Österreich exportiert so viel Müll, wie es importiert - aus Rom kam heuer weniger als festgelegt, ab 2018 ist Schluss.


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Wien. Fast ein Jahr ist es her, dass der erste Zug aus Rom bei der EVN-Müllverbrennungsanlage Dürnrohr in Niederösterreich eintraf: vollgefüllt mit 700 Tonnen italienischem Hausmüll in 62 Containern. Innerhalb eines Jahres sollten rund 70.000 Tonnen Müll aus Rom in Dürnrohr verbrannt werden, so die Vereinbarung. Auf diese Menge wird man aber wohl nicht mehr kommen. "Etwa drei Viertel davon sind verbrannt. Mehr wird aus diesem Vertrag wahrscheinlich nicht mehr kommen", sagt EVN-Sprecher Stefan Zach zur "Wiener Zeitung". Ab 2018 will die Stadt Rom ihren Müll nicht mehr in Österreich entsorgen, wie der Generaldirektor der römischen Entsorgungsfirma AMA, Stefano Bina, ankündigte. Man plane, den Müll dort zu entsorgen, wo er produziert wird.

Dass Österreich letztendlich nicht einmal die vertraglich festgelegte Menge bekam, sei den beschränkten Kapazitäten der Müllverbrennungsanlage aufgrund des Konjunktur-Aufschwungs im eigenen Land geschuldet, sagt Zach. Denn ein Wirtschaftswachstum habe immer auch ein größeres Müll-Aufkommen zur Folge. Die 70.000 Tonnen seien aber ohnehin ein Maximalwert gewesen, der Müll aus Niederösterreich hatte laut Vertrag immer Vorrang. "In der Praxis bedeutet das, dass die Italiener Anfang der Woche anrufen und nur dann einen Zug schicken, wenn wir Platz haben."

Win-win-Situation durch Import

Insgesamt werden in Dürnrohr 500.000 Tonnen Müll im Jahr verbrannt. Mit dem dadurch erzeugten Strom werden 170.000 Haushalte in der Region und Fernwärme für St. Pölten und Firmen erzeugt. Der Müll aus Italien stellte für Österreich eine Win-win-Situation dar.

Denn für jede ins Stromnetz eingespeiste Kilowattstunde gibt es zwischen drei und fünf Cent (Haushaltskunden zahlen inklusive Steuern, Abgaben und Netzgebühren rund 18 Cent). Gleichzeitig müsse man in Österreich zwischen 100 und 170 Euro an die Müllentsorger zahlen, um eine Tonne Abfall verbrennen zu lassen, präzisiert Hans Roth, Präsident des Verbands der österreichischen Entsorgungsbetriebe (VOEB) und Gründer von "Saubermacher".

Die römische AMA zahlte laut der römischen Tageszeitung "Il Tempo" 139,81 Euro pro Tonne an Dürnrohr. Für Italien ist das ebenfalls ein gutes Geschäft, weil es für einen Platz auf einer seiner heimischen Deponien rund 150 Euro pro Tonne zahlen müsste. Und Rom produziert immerhin bis zu 3000 Tonnen Müll pro Tag.

Schon von 2013 bis 2016 hatte die EVN 100.000 Tonnen Müll aus Neapel verbrannt. Pläne für die Errichtung von Müllverbrennungsanlagen in Italien scheiterten bisher an Anrainerprotesten. Dazu kamen Missmanagement und Korruption beim AMA, bei dem ein Finanzloch von 650 Millionen Euro klafft.

Den in der römischen Zeitung genannten Preis von 139,81 Euro für die Müllverbrennung in Österreich will Zach - aufgrund des Wettbewerbs - zwar nicht bestätigen. Kunden mit langfristigen Verträgen über große Mengen Müll zahlten aber grundsätzlich weniger als Kunden mit kurzfristigen Verträgen wie etwa Italien, sagt er.

"Abfall ist ein Handelsgut", ergänzt Roth. Und: "Die Abfallpreise haben europaweit ein ähnliches Niveau - wie beim Ölpreis." Unseren Müll in Ungarn verbrennen zu lassen, komme nicht billiger. Es sei aber näher.

Usus sei daher, näherliegende Müllverbrennungsanlagen aufgrund der kürzeren Transportwege zu bevorzugen, auch wenn sie auf der anderen Seite der Grenze liegen. Und das sei auch einer der Hauptgründe, warum Österreich in der - auf den ersten Blick kuriosen - Situation ist, nahezu gleich viel Müll zu importieren und zu exportieren. "Rund 700.000 Tonnen werden importiert, wir exportieren aber auch die gleiche Menge - allerdings nie ohne Genehmigung durch das Umweltministerium", sagt Roth. Insgesamt produziert Österreich rund 60 Millionen Tonnen Müll pro Jahr (inkl. Bodenaushub).

Müll ist kein starrer Markt

Österreichischer Müll landet somit vor allem in den Nachbarländern wie in der Slowakei, wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Das Zementwerk in Mannersdorf ist weiter von den grenznahen Ortschaften weg. Neben der Müllverbrennungsanlage ist ein Zementwerk wie dieses die zweite Möglichkeit der Energiebeschaffung durch Abfall als Brennstoff.

Müll ist kein starrer Markt. In den vergangenen Jahren haben sich rege Müll-Ströme entwickelt. Die Briten etwa, deren Land zu wenige Verbrennungskapazitäten und seit kurzem hohe Deponiesteuern bietet, bringen ihren Müll vor allem nach Holland und Deutschland.

Das führt wiederum zu einer Vollauslastung der deutschen Anlagen, wodurch die Zahl der Müll-Importe nach Österreich steigt. Seit rund zwei Jahren drängen Roth zufolge immer mehr Abfallmengen aus Deutschland, aber auch der Schweiz, Ungarn, Slowenien und eben Italien nach Österreich. Hauptgründe dafür seien nationale Gesetzgebungen und hohe Steuern.

Seit 2004 gilt in Österreich die Deponieverordnung, die das Entsorgen von Abfällen streng regelt. 23 der 28 EU-Länder betreiben jedoch nach wie vor Mülldeponien. Noch immer werden Roth zufolge jährlich rund 90 Millionen Tonnen Abfall in Europa deponiert. Das soll sich ändern: Die EU will das Kreislaufwirtschaftsgesetz neu auflegen, wonach Deponien künftig besser reguliert und Recyclingquoten auf bis zu 70 Prozent erhöht werden sollen. In Österreich wird derzeit etwas mehr als die Hälfte des Mülls recycelt.

Die Importe sorgen für eine gute Auslastung, die im Müllgeschäft ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Denn wer Müll verbrennt, verpflichte sich mitunter vertraglich, eine gewisse Menge Strom oder Fernwärme zu liefern - ist nicht genug Müll vorhanden, müsse man die Kunden mit Gas beliefern, so Zach. Die Kehrseite der Medaille: Müllimporte treiben die Preise beim Gewerbe- und Industrieabfall in die Höhe. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage greift.

Die Qualität des Hausmülls aus dem Ausland sei ähnlich wie bei unserem, sagt Zach. "Im Müll aus Rom waren lediglich mehr Spaghettiverpackungen und Nudelreste dabei." Dass Österreichs Müllverbrenner durch das Geschäft mit den Importen die heimische Umwelt belasten, sieht Zach freilich differenziert. "Bei der Verbrennung entsteht CO2, keine Frage. Auf der Deponie bildet sich aber Methan -und das ist 20 Mal klimaschädlicher als CO2." Eine Müllverbrennungsanlage produziere etwa 600 Kilogramm CO2 pro Tonne, sagt dazu Roth. Wird aus Abfall aber ein Ersatzbrennstoff hergestellt, der in der Industrie (Zementwerk) eingesetzt wird, erspare das dort den Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Steinkohle oder Gas. In Summe spare man beim Einsatz von Ersatzbrennstoffen rund 650 bis 900 Kilogramm CO2 pro Tonne ein. Nach der Verbrennung hat der Müll um 90 Prozent weniger Volumen und um 75 Prozent weniger Gewicht. Der Filterkuchen kommt auf eine Spezialdeponie. Tatsache ist laut Roth: "Die abfalllose Gesellschaft gibt es nicht."

Reform Abfallwirtschaftsgesetz

Auf nationaler Gesetzesebene wünscht sich der VOEB, der 220 Mitglieder zählt und rund zwei Drittel des Abfalls in 1100 Anlagen entsorgt, eine Reform des Abfallwirtschaftsgesetzes. Derzeit gibt es neun Landesgesetze und ein Bundesgesetz. Das hat laut Roth zur Folge, dass sich zum Beispiel in Kärnten ein Unternehmer den Entsorger aussuchen kann und in Tirol nicht. Ein gemeinsames Ressourcenwirtschaftsgesetz könnte die Verwaltung vereinfachen und faire Bedingungen schaffen.

Zudem fordert Roth eine klare Trennung zwischen Haus- und Industriemüll. Für Letzteren seien eigentlich die - vom VOEB vertretenen - privaten Entsorgungsbetriebe zuständig, für den Hausmüll die Gemeinden. Diese scheinen sich jedoch seit einiger Zeit zunehmend den Industrieabfall sichern zu wollen, sagt Roth - wohl aus wirtschaftlichen Gründen. Dem VOEB-Präsidenten gehe es dabei aber nicht um die Privatisierung der Müllentsorgung. Vielmehr seien Public-Private-Partnership-Modelle, bei denen Private und Gemeinden beteiligt sind, eine Möglichkeit. Schließlich hält Roth die Bündelung der Ressourcenwirtschaft, Energie und Umwelt in einem einzigen Ministerium für sinnvoll.

Der Müll aus Italien fehle Österreich wie eingangs erwähnt jedenfalls nicht, sagt Roth. Am sinnvollsten wäre es seiner Ansicht nach, wenn Italien tatsächlich in den Bau von Müllverbrennungsanlagen investiert - nicht zuletzt deshalb, "weil das auch für Österreich als eines der Vorreiterländer in Sachen Technologie eine riesige Chance darstellen würde".