Für Flüchtlinge gibt es de facto keinen legalen Weg nach Österreich. Die Schlepperei blüht deshalb.
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Wien. Akif und seine vierköpfige Familie: 11.000 Euro für die Reise von der Türkei nach Österreich, eingepfercht hinter einer Doppelwand im Lkw. Reza: 3200 Euro inklusive Dolmetscher-Rabatt von Afghanistan nach Österreich, tausende Kilometer davon zu Fuß. Mohammed: 3000 Euro für einen Platz in einem Schlauchboot von Libyen nach Italien.
Für Flüchtlinge gibt es praktisch keine legale Möglichkeit, nach Österreich oder in die EU einzureisen. Fast alle kommen deshalb mit Hilfe von Schleppern ins Land. Die Schlepperei floriert und offenbart grundlegende Fehler im europäischen Asyl-System.
Fast täglich sind die heimischen Behörden mit Schlepperei-Fällen konfrontiert. Immer wieder werden Flüchtlingsgruppen auf den Pannenstreifen heimischer Autobahnen ausgesetzt. Erst am Dienstagmorgen ist auf der Außenring-Schnellstraße beim Tunnel Vösendorf bei Wien ein Schlepperfahrzeug mit 50 Flüchtlingen verunglückt. Während der Fahrer, vermutlich der Schlepper, die Flucht ergriff, irrten die zum Teil verletzten Flüchtlinge auf der Fahrbahn umher.
"Ein Anstieg (der aufgegriffenen Schlepper, Anm.) ist deutlich zu spüren, eben aufgrund der Krisen und des Krieges in Syrien, Afghanistan und Irak", sagt Mario Hejl, Sprecher des Bundeskriminalamts, auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Allein heuer wurden 457 mutmaßliche Schlepper von den Behörden in Österreich aufgegriffen. Im gesamten Vorjahr waren es laut dem Schlepperbericht des Innenministeriums (BMI) 511. Im Vorjahr wurden laut Staatsanwaltschaft 227 Personen wegen bezahlter Schlepperei verurteilt. Im Juli saßen 147 Personen wegen Schlepperei in U-Haft.
"Die meisten Fälle landen bei der Staatsanwaltschaft in Eisenstadt", sagt Britta Tichy-Martin vom Justizministerium. In Eisenstadt deshalb, weil sich die Schlepperrouten heuer in Richtung Osten verlagert haben. Während 2014 die meisten Flüchtlinge über das Mittelmeer kamen, haben sich die Flüchtlingsströme auf die sogenannte Balkanroute verlagert. Viele Schutzsuchende bevorzugen den Landweg gegenüber der lebensgefährlichen Überfahrt über das Meer.
Keine Flucht ohne Schlepper
Die Kriege im Nahen Osten und in Afghanistan haben Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Die Flüchtlingsagentur der UNO, die UNHCR, spricht von der größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Rund 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Für Österreich erwartet das BMI heuer 80.000 Schutzsuchende. Das ist eine Verdreifachung gegenüber 2014.
Dass in erster Linie Schlepper von der Flüchtlingskrise profitieren, liegt daran, dass es für Flüchtlinge in der Praxis fast unmöglich ist, auf legalem Weg nach Österreich zu kommen. Einzig im Zuge der Familienzusammenführung oder über das sogenannte Resettlement-Programm der UNHCR dürfen Schutzsuchende ins Land einreisen.
Für Ersteres muss aber schon ein Familienmitglied in Österreich sein. "Praktisch alle Flüchtlinge kommen illegal ins Land", sagt Claudia Schmidt von der Caritas zur "Wiener Zeitung". Nur zehn Prozent der Flüchtlinge kommen laut BMI im Zuge der Familienzusammenführung.
UNHCR und BMI haben ein Kontingent von 1000 Syrern, die aus den überfüllten Flüchtlingscamps im Libanon und in Jordanien derzeit nach Österreich gebracht werden. Der Fokus wird dabei auf besonders gefährdete Menschen, also alleinstehende Frauen mit kleinen Kindern, Ältere und chronisch Kranke, gelegt.
"Das Asylsystem in Österreich ist solide, besonders im Vergleich zu anderen EU-Ländern", sagt Ruth Schöffl, Sprecherin der UNHCR in Österreich. Probleme seien die EU-Asylpolitik und eine zunehmende Abschottung, etwa durch Grenzzäune.
Alle 28 EU-Länder haben sich auf das Dublin-Regime geeinigt. Und dieses besagt: Jenes Land, in dem ein Schutzsuchender zuerst aufgegriffen wird, ist für dessen Asylverfahren zuständig. Dort sollen die Flüchtlinge auch mittels Fingerabdruck in der europäischen Eurodac-Datenbank registriert werden. Soweit die Theorie.
Österreich ist als Binnenland von EU-Ländern umgeben. Theoretische dürfte also kein Flüchtling österreichischen Boden betreten, der nicht vorher schon ein anderes EU-Land passiert hat. Gleiches gilt auch für Deutschland, das in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, und Schweden, das 2014 die höchste Flüchtlingsquote in der EU hatte.
In der Praxis schlagen sich aber viele Flüchtlinge, auch mit Hilfe von Schleppern, bis nach Österreich durch. Die EU-Länder mit einer Außengrenze wie Italien und Griechenland sind überfordert mit der hohen Zahl an Flüchtlingen, die täglich dort stranden. Diese Länder müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Flüchtlinge weiterziehen lassen, ohne sie in der EU-Datenbank zu registrieren.
NGOs fordern legale Einreise
Und auch Österreich steht in der Kritik, Schutzsuchende in Richtung Deutschland ziehen zu lassen. Der bayerische Innenminister Joachim Hermann möchte deshalb die Grenzkontrollen zu Österreich verschärfen, weil sich sie Anzahl der aufgegriffenen Schlepper heuer dort verdoppelt hat. Deutschland hat seine Prognosen für das laufende Jahr nach oben revidiert und erwartet 750.000 Asylanträge.
NGOs wie die Caritas und die UNHCR üben schon länger Kritik an den geltenden Asyl-Gesetzen und fordern fixe Resettlement-Quoten für Schutzsuchende oder eine Art Botschaftsasylrecht. Letzteres wurde 2001 von der schwarz-blauen Regierung und dem damaligen Innenminister Ernst Strasser abgesetzt. Bis dahin konnten Schutzsuchende direkt in ihrem Heimatland oder in einem sicheren Nachbarstaat bei einer österreichischen Botschaft einen Asylantrag stellen. Die Botschaftsmitarbeiter haben die Anträge überprüft und gegebenenfalls einen Asylstatus erteilt, mit dem die Schutzsuchenden legal nach Österreich kommen konnten. Das ist heute nicht mehr möglich. Das Botschafts-Asylrecht wurde mittlerweile von allen EU-Staaten abgeschafft.
Deshalb sind die Flüchtlinge fast gänzlich auf Schlepper angewiesen und den Mitgliedsstaaten bleibt nichts anderes übrig, als auf die Ankommenden zu reagieren. "Überall, wo viele Flüchtlinge sind, bilden sich Schlepperstrukturen", sagt Schöffl von der UNHCR. Legale Einreisemöglichkeiten und offene Kanäle für Schutzsuchende könnten die illegale Schlepperei etwas eindämmen. Vorausgesetzt die Kontingente seien realistisch und die Betreuung in den einzelnen Ländern sei gesichert.
"Solange die Konflikte andauern, wird die Situation nicht besser. In Syrien ist die halbe Bevölkerung auf der Flucht", erklärt Schöffl. Während viele Vertriebene in den vergangenen Jahren in den Lagern in den syrischen Nachbarstaaten zugewartet haben, dass sich die Lage entspannt und sie wieder nach Hause können, haben viele diese Hoffnung mittlerweile verloren. Jetzt machen sie sich in Richtung Europa auf.