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Das Geschlecht zählt

Von Alexandra Grass

Wissen
Medikamente wirken bei Männern und Frauen oft unterschiedlich.
© © Benicce - Fotolia

Gender-Experten sehen dringenden Aufholbedarf bei der Frauengesundheit.


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Wien. Die Medizin war bis auf einige frauenspezifische Erkrankungen über viele Jahrhunderte hinweg von Männern dominiert. Nach wie vor sind viele Leitlinien etwa für Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten von männlichen Studienergebnissen abgeleitet. Und das, obwohl man weiß, dass Männer und Frauen auf Therapien oft verschieden reagieren.

Das klassische Beispiel ist der Herzinfarkt. Sowohl die Symptome als auch der Verlauf der Erkrankung und die Therapiewirkung sind gänzlich unterschiedlich. Vor allem bei chronischen Erkrankungen dominieren auch wegen komplexer hormoneller Veränderungen im Laufe des Lebens die Frauen. Frauen tragen ein höheres Risiko für Herzinfarkte, für Krebserkrankungen, Alzheimer-Demenz und Depressionen. Die Experten orten dringenden Aufholbedarf in der Praxis.

Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen. So hat zuletzt das renommierte Fachblatt "The Lancet" die Forschung dazu aufgerufen, mehr Frauen in klinische Tests zu involvieren und die Ergebnisse routinemäßig geschlechterspezifisch auszuwerten. Auch der im November erstmals stattgefundene Gipfel "European Gender Summit" in Brüssel hat diesem Thema Rechnung getragen.

An der Meduni Wien sind geschlechtsspezifische Aspekte mittlerweile in die Ausbildung integriert. Auch wird ein eigener postgradualer Lehrgang in Gender-Medizin angeboten, erklärte Vizerektorin Karin Gutiérrez-Lobos am Montag bei einer Pressekonferenz. Derzeit wird seitens der Ärzte bei Frauen oft nicht nach dem Beipacktext, sondern aus der Beobachtung und Erfahrung heraus gehandelt. Zu den in der medizinischen Forschung benachteiligten Gruppen gehören im Übrigen auch Kinder und ältere Menschen.

Immerhin geben 36 Prozent der Frauen an, schon einmal das Gefühl gehabt zu haben, vom Arzt falsch oder nicht ausreichend behandelt zu werden, weil sie "nicht ernst" genommen wurden. Auch ein Viertel der Männer stimmte bei einer GfK-Umfrage im Auftrag des Gesundheitsdienstleisters Vamed dieser Aussage zu. Gut die Hälfte der 500 Befragten verneinte, dass sie ausreichend über die unterschiedlichen Wirkungen von Medikamenten bei Männern und Frauen informiert sind. Gabrielle Dienhart-Schneider, medizinische Leiterin des "la pura women’s health resort kamptal", sieht einen dringenden Bedarf an frauenspezifischer Gesundheitsversorgung - besonders in der Prävention.