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Das Gesicht der Zukunft

Von Reinhard Göweil

Leitartikel

Die europäische Jugend protestiert. Vorerst noch national organisiert, haben die von keiner Partei getragenen Demos und Sitzstreiks sehr wohl das Potenzial, sich zu einer europaweiten Bewegung auszuwachsen.


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Die Probleme sind überall ähnlich, wenn auch nicht gleich drängend. Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien liegt bei 45 Prozent, ein grauenhafter Wert. In Österreich liegt sie bei knapp über neun Prozent, doch die Themen sind austauschbar: Zu wenig Geld für Bildung, zu wenig Augenmerk für die Schulen, zu hohe Uni-Gebühren, ein Sozialsystem, das die heute über 60-Jährigen deutlich bevorzugt und die noch lange nicht 60-Jährigen ohne Idee hinterlässt. Der überall lastende Kostendruck begünstigt zudem prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Steigende Preise treffen so auf niedrige Einkommen.

Twitter, Facebook und das technologische Arsenal von Web 2.0 begünstigen die länderübergreifenden Jugendproteste, und sie werden wohl stattfinden - so sicher, wie Griechenland seine Schulden in der jetzigen Konstruktion nicht abstottern wird können.

Die Budget-Einsparungen in den EU-Ländern nehmen in der Tat wenig Rücksicht auf jene Generation, die das Europa von morgen bauen soll. Denn die "Alten" sind in der Mehrheit, gegen die über 60-Jährigen lässt sich heutzutage keine Wahl mehr gewinnen.

Diesem Machterhalt wird aber zu viel geopfert, wie die Jugend-Proteste von Lissabon bis Bukarest zeigen.

Auch anhand dieser neuen, unorganisierten Jugendbewegung zeigt sich, an welch entscheidender Wegkreuzung unser Wirtschafts- und Sozialsystem mittlerweile angelangt ist. Eines sollten die heute regierenden Politiker allerdings bedenken: In den Reihen jener zehntausenden in vielen Ländern protestierenden Jungen könnte sich das eine oder andere künftige Regierungsmitglied befinden. Und die werden sich von einer EU, die ihnen so wenig Perspektive bietet, eher angewidert abwenden.

Über den Tellerrand hinaus blicken - damit warb die heimische Industrie für ein gemeinsames Europa. Ein Blick über den Horizont wäre noch angesagter, wenn Europa seine Kraft erneuern will. Derzeit lebt der Kontinent ausschließlich von seiner Substanz.